Anders als erwartet

In die falsche Schublade gesteckt

Farbige Schubladen (Symbolbild)
Wir sind schnell im Urteilen über andere und stecken sie direkt in diverse Schubladen. Dabei liegt die Entscheidung bei mir: Was sehe ich im Gegenüber, Trennendes oder Verbindendes? Ein Erlebnis von Stef Gerber.

Ich bin irritiert. Kann es sein, dass ich mit meinem Vorurteil falsch liege? Im kath.ch-Medienspiegel werde ich auf einen Weltwoche-Artikel von Roger Köppel hingewiesen. Darin lässt er den Theologen Karl Barth und den Aktivisten Charlie Kirk in einen fiktiven Dialog treten.

Mein Interesse ist geweckt, einerseits weil ich vor einigen Monaten die spannende Karl Barth-Biografie von Christiane Tietz las, anderseits weil mich die emotionale Freund-/Feind-Diskussion um die Ermordung von Charlie Kirk sehr beschäftigt.

Im Freund-/Feind-Schema gefangen

Dass Roger Köppel etwas dazu zu sagen hat, erstaunt mich nicht. Was er sagt und wie er es tut, verblüfft mich dann doch. Raffiniert bringt er Kirk in ein theologisches Gespräch über Gott, Moral und Politik mit Barth. Wohlwollend im Ton, hinterfragend im Inhalt: Instrumentalisierst du nicht Gott für deine eigenen Zwecke?  

Ich lag falsch: Köppel entpuppt sich hier nicht als Kirk-Freund. Und schon merk ich, wie schnell ich zwar gerne Brückenbauer sein möchte, und gleichzeitig dann doch sehr schnell im Freund-/Feind-Schema gefangen bin. So vieles wird heute zugspitzt – rechts-links, richtig-falsch, gut-böse. Es lebe die Polarisierung und mit ihr die Feindbilder.

Stefan Gerber

Darf ich zugeben, dass mich ein Artikel von Roger Köppel anspricht? Und wenn ja, muss ich dann gleich hinterherschieben, dass ich also sonst das Heu gar nicht auf seiner Bühne habe? Die trumpische MAGA-Kommunikation ist schnell (im Urteilen), laut (IN FETTEN LETTERN) und klar (komplexe Zusammenhänge werden vereinfacht dargestellt). Da stehen wohlüberlegte, leise und differenzierte Töne in Gefahr unterzugehen.

Und natürlich befeuern die heutigen Kommunikationsmittel eine Giftpfeil-Rhetorik, echter Dialog mit echtem Interesse am Gegenüber sucht mensch in den Kommentarspalten allermeistens vergebens.

Ganz ehrlich, das Beispiel mit dem ansprechenden Artikel von Roger Köppel hält mir da einen unbequemen Spiegel vors Gesicht: Ich warte nur darauf, dass meine Vorurteile bestätigt werden. Mitmenschen werden gedanklich in Schubladen parkiert. Wer nicht in meiner Schublade, in meiner Bubble ist, hat es schwer, mich zu überzeugen. Wir haben mehr und mehr gelernt, sofort das Trennende zu entdecken.

Das Verbindende suchen

Ich will mich auf das Wagnis einlassen, in Begegnungen zuerst das Verbindende zu suchen. Ob mir das gelingen kann? Ich weiss es nicht. Doch ich danke Roger Köppel dafür, dass er mich überrascht hat.

Der lesenswerte Artikel legt Karl Barth zum Schluss diese wunderbaren Worte in den Mund: «Trinken wir auf uns, auf die Kinder Gottes und auf das unbegreifliche Geschenk der Gnade, das wir beide nicht verdient haben. Wir alle sind geliebt von Gott, auch Sie, aber nicht, weil Sie sein Anwalt, sein Durchschauer sein wollen und ruhelosen Einsatz leisten, sondern weil er Sie, wie andere, die Sie gar nicht kennen, ohne ersichtlichen Grund als Vollmitglied in seinen Heilsplan einbezieht.»

Zusammen ein Kafi, Bier oder Wein trinken – das verbindet. Tischgemeinschaft hat einfach eine andere Wirkung als Facebook-Kommentare!

Das Leben und die Liebe als unbegreifliches Geschenk zu entdecken und entfalten – auch das verbindet. Mit dem Göttlichen, miteinander. Nicht weil ich Recht habe, nicht weil ich die Wahrheit kenne, nicht weil ich geleistet habe.

Geliebt. Weil ich bin, nicht weil ich tu. Ich. Und du auch! Wir. Die Menschheitsfamilie.

Stef Gerber ist Pfarrer der Netzwerkkirche gms Seeland (EMK), Coach und Autor von «Glück finden – hier und jetzt». Täglich schreibt Stef einen Artikel in seinem GlücksBlog www.glück-finden.ch, wo auch dieser Artikel zuerst erschien.

Zum Thema:
Dossier: Glauben wir einander den Glauben noch? 
31-jähriger Charlie Kirk: Evangelikaler Trump-Unterstützer erschossen  
Köppels Weihnachtspredigt: «Wer die Bibel liest, muss kein anderes Buch mehr lesen»

Datum: 24.09.2025
Autor: Stef Gerber
Quelle: glück-finden.ch

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