Reformationsjahr eröffnet

Was feiern wir da - Asche oder Feuer?

Der Reformationstruck ist in Europa unterwegs. Menschen sollen der Reformationsgeschichte begegnen und neue Perspektiven für Kirche und Gesellschaft gewinnen. 500 Jahre Reformation. Was feiern wir da eigentlich? Dieser Frage geht idea-Chefredaktor Rolf Höneisen auf den Grund.
Reformationsjahr 2017
Gottfried Locher
Thomas Schirrmacher
Max Schläpfer

Im 16. Jahrhundert wird die westliche Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Gesellschaftlich fest verankerte Überzeugungen wanken. Korruption und religiöse Machtpolitik geraten ins Zwielicht. Das Evangelium verbreitet den Duft individueller Freiheit. Doch statt zur Kirchenreform kommt es zum Dreissigjährigen Krieg. In Europa sterben bis zum Westfälischen Frieden Millionen von Menschen. Die Berufung auf das eigene Gewissen rückt den einzelnen Menschen verstärkt ins Zentrum. Kirche, Staat und Bürgertum werden zu unabhängigen Institutionen. Renaissance und Humanismus beschleunigen diese Entwicklung. Sie beinhaltet gleichzeitig den Keim des Säkularismus, der in der Aufklärung zu blühen beginnt. Schon bald trennt sich die Reformationsbewegung in eine bibelbezogene Linie nach Luther und eine humanistisch motivierte nach Erasmus von Rotterdam. Demokratie und Menschenrechte sind keine reformatorischen Begriffe, aber sie sind darin angelegt, haben ihren Nährboden in der Gleichheit aller Menschen vor Gott.

«Luther ist ein religiöser Fundamentalist»

Wenn heute aus säkularer Sicht über Luther geschrieben wird, klingt es so wie bei Alan Posener in der «Welt»: «Luther ist kein Aufklärer. Er ist ein religiöser Fundamentalist.» Wo sich Schrift und Verstand widersprächen, sei Luther immer für die Schrift. Und «Der Spiegel» sieht in ihm den «ersten Wutbürger»: Rechthaberisch sei er gewesen und zänkisch. Doch als er die Bibel übersetzte, habe er «erleuchtet agiert, war er modern». Feiern wir 500 Jahre später die Ideen eines religiösen Fundamentalisten? Wie werden die Reformationsfeiern gestaltet? Welche Botschaft wird vermittelt?

Locher: «Es geht um die Reformation als Bewegung»

In Genf sagte SEK-Präsident Locher: «Es geht uns um die Reformation als Bewegung. Es ist eine Bewegung, deren kulturelle, gesellschaftliche und politische Kraft seit 500 Jahren nachwirkt. Die Reformation war ein wichtiger Schritt in der Entwicklung zur modernen Gesellschaft.

Vor Gott sind alle Menschen gleich: Diese reformatorische Einsicht wurde zur Triebfeder für den globalen Siegeszug der Demokratie. Der moderne säkulare Rechts-, Verfassungs- und Sozialstaat wurde stark geprägt von der Reformation. Die Schweiz wäre ohne die Reformation nicht die Schweiz von heute.» Im Vordergrund stehe nun die Frage, was die Reformation für die Generationen von heute und morgen bedeute. Locher ist gleichzeitig Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE).

Kaum noch Differenzen mit der katholischen Kirche

Was auffällt: Im Gegensatz zu früheren Reformationsjubiläen wird keine konfessionelle Abgrenzung mehr betont. Thomas Schirrmacher von der Weltweiten Evangelischen Allianz war im schwedischen Lund, als Papst Franziskus mit Lutheranern zusammen die Reformationsfeiern eröffnete. Er bestätigt: «Die Kernanliegen Luthers, das 'sola gratia' ebenso wie sein Ruf zur Reform, wurden von allen als wegweisend gewürdigt.» Der Papst sagte in Lund: «'Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?' - Das ist die Frage, die Luther ständig umtrieb.

Tatsächlich ist die Frage nach der rechten Gottesbeziehung die entscheidende Frage des Lebens. Bekanntlich begegnete Luther diesem barmherzigen Gott in der Frohen Botschaft vom menschgewordenen, gestorbenen und auferstandenen Jesus Christus. Mit dem Grundsatz 'allein aus Gnade' werden wir daran erinnert, dass Gott immer die Initiative ergreift und jeder menschlichen Antwort zuvorkommt, und zugleich, dass er versucht, diese Antwort auszulösen. Daher bringt die Rechtfertigungslehre das Wesen des menschlichen Daseins vor Gott zum Ausdruck.» Die belastende Vergangenheit will Franziskus zurücklassen. Gemeinsam wolle man «Gottes barmherzige Gnade bezeugen, die im gekreuzigten und auferstandenen Christus sichtbar geworden ist».

Calvin, Luther, Zwingli: Kirche, Kommunikation, Konvivenz

Wie und was feiern die Evangelischen in der Schweiz? Bettina Beer-Aebi ist Projektleiterin beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK). Sie sagt: «Wir feiern 500 Jahre Reformation und bezeugen, dass die Botschaft der Reformation immer noch aktuell ist.» Christina Aus der Au – die Schweizer Theologin ist notabene Präsidentin des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentags 2017 – hielt einen viel beachteten Vortrag über die theologischen Herausforderungen im Jubiläumsjahr. Sie nimmt Calvin als Beispiel für Kirche, die Grundfeste der Wahrheit sein soll. Luther setzt sie für Kommunikation, für die «Verlebendigung, Visualisierung, Verleiblichung des Wortes Gottes in die Probleme, Fragen und Freuden des Alltags hinein». Zu Zwingli stellt sie Konvivenz, die Überzeugung, dass Christsein eine öffentliche Dimension hat, weil Christus König aller Lebensbereiche ist und sich das im Leben von Christ und Kirche auch manifestieren soll.

Gefeiert wird auf nationaler, aber vor allem auch auf kantonalkirchlicher und lokaler Ebene. «Die nationalen Events starteten am 3. November 2016 in Genf und enden am 5. November 2017 mit Gottesdiensten in den Kantonalkirchen», sagt Projektleiterin Beer-Aebi. Auf kantonaler Ebene finden Veranstaltungen teils erst ab Herbst 2017, dafür bis 2019 statt.

Und die Katholiken und Freikirchler?

Was ist mit den Katholiken und Freikirchlern? «Sie beteiligen sich an einigen Anlässen», weiss Bettina Beer-Aebi, und nennt eine ökumenische Feier am 1. April 2017 in Zug. Die Schweizer Bischofskonferenz und der Kirchenbund werden mit einem gemeinsamen Pavillon an der «Weltausstellung Reformation» in Wittenberg präsent sein. Und das evangelische Jugendfestival «ReformAction» im November 2017 in Genf wird gemeinsam vom Kirchenbund, verschiedenen Jugendverbänden und von der Schweizerischen Evangelischen Allianz mitgetragen. Auch Freikirchler machen in der Organisation mit.

Für Freikirchen ist die Türe offen

Max Schläpfer, Präsident des Freikirchenverbands VFG, bestätigt, man habe ausgiebig über das Reformationsjubiläum gesprochen. «Ohne Reformation gäbe es keine Freikirchen», sagt er. Dennoch habe der VFG keine gemeinsame Feier vorgesehen. Das Reformationsjubiläum sei primär jenes der reformierten Kirche und kein Freikirchenjubiläum. Doch grundsätzlich steht die Türe für Freikirchen offen. Gemeinsam mit der SEA hat sich der VFG um eine Variante des Reformations-Logos bemüht. Gemeindeverbände, die eine Reformationsveranstaltung planen, dürfen das «R» für ihre Kommunikation benützen.

SEA: «Verhaltenes Interesse»

SEA-Generalsekretär Matthias Spiess hofft, dass weitere Kirchen und Gemeinden die Vorlage des Reformationsjubiläums für Veranstaltungen nutzen. Zurzeit sei das Interesse noch verhalten. Zwar höre er immer wieder Stimmen, die sagen, man solle «etwas machen». Die grosse Frage sei aber das Wie. Er habe die Präsidenten der Allianz-Sektionen motiviert, diese Chance zu packen und öffentliche Veranstaltungen zum Thema Reformation zu planen. Involviert ist die Evangelische Allianz beim Jugendanlass «ReformAction» und zusammen mit Livenet wird die Allianz eine Sonderzeitung zum Reformationsjubiläum produzieren. 

Dies ist ein Auszug aus der Titelgeschichte im Wochenmagazin ideaSpektrum Nr. 45-16.

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Datum: 11.11.2016
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: Idea Spektrum Schweiz

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