Umgang mit Scheidung

«Wir alle sind gescheitert - jeder auf seinem Gebiet»

Seit fünf Jahren besteht im deutschsprachigen Raum ein Kurs, der Geschiedenen hilft, ihr Scheitern in der Ehe zu bewältigen. Roger Götz von FamilyLife koordiniert die Angebote. Für Gemeinden sei wichtig im Blick zu halten, dass jeder in einem gewissen Sinn gescheitert ist, sagt er im Livenet-Interview.
Scheidung (iStock: 13606565)
Roger Götz

Livenet: Roger Götz, Sie sind bei FamilyLife unter anderem für den Kurs «lieben – scheitern – leben» verantwortlich. Was ist das Ziel dieses Kurses?
Roger Götz: In erster Linie wollen wir in den «lieben – scheitern – leben»-Kursen eine innere Heilung bei Menschen, die eine Scheidung hinter sich haben, ermöglichen. Sie sollen nach der gescheiterten Ehe wieder persönlich gestärkt werden und Boden unter den Füssen kriegen. Unser Fokus ist, dass die Person, die den Kurs besucht, wieder als Single leben kann. Und natürlich wünschen wir uns auch, dass sie die Freude am Leben wiederentdecken kann. Das Leben soll wieder lebenswert sein.

Soll der Kurs «lieben – scheitern – leben» jemanden auch wieder auf eine Beziehung vorbereiten?
Das steht nicht im Vordergrund. Natürlich ist es so, dass eine bessere Voraussetzung für eine spätere Beziehung geschaffen wird, wenn jemand die Vergangenheit gut aufarbeitet und loslässt. Uns geht es aber um eine Aufarbeitung für die einzelne Person, dass sie wieder Halt bekommt.

Wie gehen Gemeinden in der Schweiz mit dem Thema «Scheidung» um?
Die Gemeinden werden immer wacher auf diesem Gebiet. Viele Pastoren sind sehr sensibilisiert. Wann immer ich jemanden zu diesem Thema anspreche, höre ich, das ist wichtig, das betrifft uns. Aber gleichzeitig herrscht eine grosse Verunsicherung, weil man oft nicht weiss, wie man mit betroffenen Gemeindegliedern umgehen soll. Oft wird aus dieser Verunsicherung heraus falsch reagiert. Dann werden Menschen, die eigentlich Hilfe benötigen würden, fallen gelassen und dadurch tief verletzt. Der Kurs kann Gemeinden helfen, sich mit diesen Themen zu auseinanderzusetzen. Denn es gibt keine Gemeinde, die nicht betroffen ist.

Die Leiter der Gemeinden sind im Zusammenhang mit Scheidungen ja auch mit dem Thema «Wiederheirat» konfrontiert. Wie sprechen Sie dieses Thema im Kurs an?
Wir geben gar keine theologische Lehrmeinung dazu ab. Es würde die Leute nur verwirren, wenn sie im FamilyLife-Kurs eine Meinung hören würden, aber ihr Pastor eine ganz andere Linie verfolgt. Deshalb halten wir uns da zurück und überlassen die Beantwortung dieser Frage der jeweiligen Gemeindeleitung. Auf diese Art können wir den Kurs auch in unterschiedlichen Gemeinden durchführen. Darauf legt auch die anglikanische «Holy Trinity Brompton Church» in London, die den Kurs ursprünglich entwickelt hat, grossen Wert. Es ist übrigens dieselbe Kirche, von der auch das Alphalive-Kurskonzept stammt.

Im Kurs geben Sie also keine konkrete Antwort darauf, ob und unter welchen Voraussetzungen es erlaubt ist, wieder zu heiraten. Aber geben Sie hier im Livenet-Interview Ihre persönliche Meinung dazu Preis?
Ja, ich möchte aber nochmals betonen, dass dies nur meine persönliche Meinung ist. Heute bin ich der Überzeugung, dass eine neue Ehe gesegnet sein kann, wenn eine Scheidung wirklich aufgearbeitet ist und wenn die neue Beziehung oder die Aussicht auf eine neue Beziehung nicht schon ein Scheidungsmotiv darstellt. Die Motivation, für eine Ehe zu kämpfen, darf auf keinen Fall untergraben werden. Das Scheiden und erst recht das Wiederheiraten darf also nicht leicht gemacht werden. Die einfache Grundlage, an die ich glaube, lautet: Gott schützt Ehen! Wir müssen deshalb alles daran setzen, dass Krisen bewältigt und Ehen erhalten werden.

Was wünschen Sie sich von den Gemeinden im Umgang mit Geschiedenen?
Es kann eine wichtige Erkenntnis für eine Gemeinde sein, dass wir alle «Gescheiterte» sind, jeder von uns auf seinem Gebiet. Das Scheitern in der Ehe wird dann nicht als die speziell grosse Sünde betrachtet, obwohl es natürlich eine Sünde mit gravierenden Auswirkungen ist, ja, es ist und bleibt eine der gravierendsten Formen von Scheitern. Aber wir sollten nicht aus dem Blick verlieren, dass wir alle irgendwo gescheitert sind, sonst bräuchten wir keine Erlösung und keine Vergebung. Diese Einsicht verändert auch das Verhalten gegenüber Geschiedenen, ob sie nun in die Kirche kommen oder nicht. Menschen, die durch Krisen gehen, sind oft sehr offen für das Evangelium. Dies eröffnet eine ganz neue Sicht. Wir können Mitmenschen, die durch eine Scheidung gehen helfen, egal ob sie zur Kirche gehören oder nicht. Jesus ist schliesslich für die Kranken gekommen, nicht für die Gesunden.

Roger Götz, 51 Jahre, ist bei FamilyLife zuständig für die Kurse «lieben – scheitern – leben» und für die Ehevorbereitungskurse «Paar mit Vision». Er war ursprünglich Ingenieur und hat berufsbegleitend seinen Bachelor of Arts in praktischer Theologie am IGW gemacht.

Datum: 12.07.2014
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet

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