Kanton Zürich veröffentlicht Studie über das Wohlbefinden der Muslime

Bei den Muslimen sind viele Probleme kulturell und nicht religiös bedingt.

Eine systematische Benachteiligung der Muslime im Kanton Zürich lässt sich nicht feststellen. Das ist das Ergebnis einer vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Zürich durchgeführten Studie. Am Mittwoch, 10. Dezember, wurde der 200-seitige Bericht in Zürich vorgestellt. Sein zweites Fazit: Verbesserungen in einzelnen Bereichen sind wünschenswert.

Vor dem Hintergrund der kontrovers geführten politischen Diskussion um den Bau von Minaretten hatte der Zürcher Kantonsrat im Dezember 2006 die Regierung beauftragt, einen Bericht über die Situation der Muslime im Kanton zu erstellen.

Derart vielfältig waren die Fragen der Postulanten, dass der Regierungsrat sie auf jene Bereiche eingegrenzt hat, bei denen der Staat Einfluss nehmen kann. So entstanden Teilstudien zu den Themen Bildung, Gesundheit, Sozialhilfe, Straf- und Massnahmenvollzug. Summarisch wurden die Bestattungspraxis, die Frage der Gebetsräume, das Leben im Alter und der Staat als Arbeitgeber untersucht.

Kulturell bedingte Probleme

Diese Feststellung vorweg: Alltag und öffentliches Leben in der Schweiz sind christlich geprägt; dies kann in gewissen Bereichen zu Problemen führen. Bei den Muslimen sind jedoch viele Probleme kulturell und nicht religiös bedingt.

Im Kanton Zürich leben etwa 65‘520 Muslime, das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 5,3 Prozent. Die meisten stammen aus der Türkei und Ex-Jugoslawien, etwa ein Viertel ist in der Schweiz geboren und 14 Prozent haben den Schweizer Pass. Die Zuwanderung hat sich seit 2000 verlangsamt; so das Ergebnis der Volkszählung 2000 sowie die Auswertung der Entwicklung der muslimischen Bevölkerungszahl in 29 Gemeinden. Auffallend: Muslime sind eher jünger als der Schweizer Durchschnitt, und ihre Treffen sind eher völkerorientiert denn nach der Religion.

Bildung und Gesundheit

Die Teilstudie Bildung ergab: In den Zürcher Kindergärten und Schulen werden rund 15‘000 Kinder mit muslimischem Hintergrund unterrichtet, davon etwa 1‘500 bis 2‘000 aus streng religiösen Familien. Probleme seien Einzelfälle, und auch hier spielten kulturelle Differenzen wesentlich mit. Konkrete Massnahmen sind nach Ansicht der Verfasser der Studie im Bildungsbereich nicht nötig.

Zum Thema Gesundheit basiert die Studie auf Schätzungen: In den Spitälern sei eine grundsätzliche Sensibilität gegenüber der muslimischen Bevölkerung vorhanden. Die religiöse Betreuung wird jedoch als mangelhaft bezeichnet. Dieses Angebot sei auszuweiten, lautet die Empfehlung. Es gelte zudem, Rückzugsräume für das Gebet und für Krankenbesuche mit vielen Angehörigen zu schaffen. Den muslimischen Gemeinden wird empfohlen, die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Mitglieder bekannt zu machen.

Auch bei der Sozialhilfe fehlen konkrete Daten, da die Fürsorgebehörden nicht nach der Religionszugehörigkeit fragen. Schätzungen zufolge sind etwa 20 bis 30 Prozent der ausländischen Sozialhilfebezüger muslimisch. Dies wird teilweise auf den Arbeits- und Lehrstellenmarkt zurückgeführt: Zahlreiche Arbeitgebende würden keine Kopftuchträgerinnen einstellen. Dies erschwere die Rückführung in die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Positiv wertet die Studie die soziale Mitverantwortung innerhalb der Mitglieder der Volksgruppen. So unterstützt, beanspruchen sie die staatliche Sozialhilfe wenig.

Ein Drittel der Strafgefangenen muslimisch

Geringeres Betreuungsangebot, weniger gerichtlich angeordnete Therapien, ein Unterangebot an religiöser Betreuung und grössere Anpassungsschwierigkeiten im Vollzugsalltag. Das sind die Defizite, die die Teilstudie zum Straf- und Massnahmenvollzug festhält. Erhoben wurden dazu die Daten der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf ZH. Von den 461 Insassen waren ein Drittel Muslime, eine Quote, die im schweizerischen Durchschnitt liegt. Die muslimischen Insassen, in neun von zehn Fällen Ausländer, sind dabei wesentlich jünger als andere. Zu prüfen ist laut Studie die Möglichkeit, einen Imam fest anzustellen.

Die Hauptschwierigkeiten der Zürcher Muslime liegen nicht in den durch die vier Teilstudien untersuchten Bereichen. Problematisch sind laut Studie aktuell Fragen der Bestattung. Während Muslime der ersten und zweiten Generation noch in die Heimat zurückgeflogen werden, hat bei der dritten ein Umdenken eingesetzt. In vielen Gemeinden fehlen jedoch muslimische Grabfelder. Muslimische Friedhöfe könnten regional eingerichtet werden, empfiehlt die Studie. Dies trifft auch auf die Bildung von religiösen Zentren zu.

Empfehlungen

Regierungspräsident Markus Notter, der die Studie in Zürich vorstellte, sieht keinen aktuellen Handlungsbedarf. Er werde aber die Vorschläge als Antwort auf das Postulat in die Politik zur Diskussion weitergeben.

Konkret lauten die Empfehlungen: Es braucht Konzepte zum Umgang mit religiöser und kulturellen Diversität. Die statistischen Daten zur Erfassung der religiösen Zugehörigkeit müsste angegangen und der Austausch zwischen dem (christlich) geprägten Staat und religiösen Gemeinschaften verbessert werden.

Hinsichtlich der Sozialarbeit empfehlen die Autoren, dass die Mitarbeitenden über die Zusammenhänge von Religion und Kultur vertieft nachdenken. Private und staatliche Sozialhilfe sollte koordiniert und vernetzt werden. Mit der demographischen Entwicklung stellen sich zudem neue Aufgaben in der Alterspflege. Die Studie geht davon aus, dass die familieninterne Betreuung eher abnehmen wird. Darauf hat sich die Spitex vorzubereiten, etwa mit der Einführung der Rubrik "Religionszugehörigkeit".

Muslime anstellen

Studienleiter Thomas Widmer wies darauf hin, dass der Staat mit der Anstellung von Muslimen einen aktiven Beitrag leisten könne, insbesondere in den Bereichen Strafvollzug, Gesundheitswesen, einschliesslich der Alterspflege, sowie im Bildungs- und Polizeiwesen. Damit liessen sich interreligiöse und interkulturelle Schwierigkeiten besser lösen.

Links zum Thema:
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Datum: 19.12.2008
Quelle: Kipa

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