«Richtiger Grieche ist orthodox»

Griechen halten Weltrekord in Sachen «Nationalreligion»

Mehr als die Hälfte aller Griechen ist überzeugt, dass eine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche unbedingt zu ihrem Nationalcharakter gehört: Wer nicht orthodox ist, kann kein «richtiger» Grieche sein. In der Schweiz gilt «Nationalreligiosität» nur für 11 Prozent.
Orthodoxe Kirche in Griechenland

In einer vom Pew Research Center in Washington angestellten Untersuchung rangiert Griechenland weltweit mit 54 Prozent «Nationalreligiösen» vor Polen (34%) und Italien (30%), wo man katholisch sein muss, um als echter Italiener zu gelten. Aber auch in den USA sind 32 Prozent davon überzeugt, dass die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche den wahren Amerikaner ausmacht. In der Schweiz hingegen verknüpfen nur 11 Prozent die nationale Identität mit einer Kirchenmitgliedschaft.

Als Grieche ist man orthodox

Auch unter jenen Griechinnen und Griechen, die sich als «politisch links» einordnen, vertreten 40 Prozent die unauflösliche Einheit von Nation und Orthodoxie. Nach Altersgruppen überwiegen insgesamt die über 50-Jährigen (65%), gefolgt von den 35- bis 49-Jährigen (49%) und der Jugend (39%). Nach einer vom Athener Unterrichts- und Kultusministerium in Auftrag gegebenen Umfrage sind die meisten Bewohner Griechenlands gläubig, ohne regelmässig zur Kirche zu gehen. Sie beten gern und häufig, aber nicht in der Öffentlichkeit. Bibel, Dogmen und Geistlichkeit stehen sie fern.

Die Bilderbibeln machten das Rennen

Die Wurzeln dafür sieht der Professor für vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Athen, Marios Begzos, schon bei den alten Griechen und ihren Mysterienkulten. Für die «Bibelferne» der griechischen Orthodoxen wird hingegen der Bilderstreit im 8./9. Jahrhundert verantwortlich gemacht. Damals siegten die «Bilderbibeln» der Ikonen und Wandgemälde über das biblische Wort. Niemand im Volk las und diskutierte mehr die Botschaft der Bibel, nur an den Sonntagen wurden Ausschnitte aus dem Evangelium verlesen. Dabei hörte aber kaum jemand zu.

An die Stelle der Bibel traten Fest- und Heiligenlieder. Noch heute können viele Menschen in Griechenland zwar oft hunderte dieser volkstümlichen Hymnen auswendig, wissen aber kaum Sätze der Bibel aus dem Gedächtnis vorzutragen.

Orthodoxie verbindet Griechen weltweit

Der linkssozialistische Generalsekretär im Kultusamt, Georgios Kalantzis, hält in Griechenlands führender Zeitung «Kathimerini» (Tagblatt) das Bekenntnis zur Orthodoxie für das wichtigste Merkmal, das alle Griechen auf der Welt verbindet, «ob sie ihren Glauben praktizieren oder nicht.» Erst dann komme die gemeinsame Sprache, die aber von vielen Auslandsgriechen besonders im englischen Sprachraum kaum noch beherrscht wird.

Kirche als Bewahrer der griechischen Sprache

Andererseits gebühre der griechisch-orthodoxen Kirche mit ihren gottesdienstlichen Texten das Hauptverdienst für die kontinuierliche Bewahrung des Griechischen vom Altertum bis in die Gegenwart. Dafür gebe es nur beim Armenischen und Aramäischen Parallelen, wobei die Leistung ebenfalls den Kirchen zu verdanken sei. Das Hebräische hingegen war schon lang eine tote bzw. Gelehrtensprache, ehe zunächst künstlich das moderne Hebräisch geschaffen und in Israel etabliert wurde.

Sogar die Marxisten...

Dazu kommt die Tatsache, dass 1821 bis 1830 beim Freiheitskampf der Griechen von der Jahrhunderte langen Türkenherrschaft die orthodoxe Kirche eine führende Rolle spielte. Dann wieder 1941-44 im Widerstand gegen die hitlerdeutschen Besatzer und sogar im folgenden griechischen Bürgerkrieg oft auch an der Seite der linksrevolutionären Kräfte. Das erklärt auch, weshalb heute sogar ein grosser Teil der in Athen regierenden Marxisten an der Einheit von Volk und Orthodoxie festhält.

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Datum: 19.02.2017
Autor: Heinz Gstrein / Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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