«Sie werden lachen: die Bibel»

Alte Wege für neues Verständnis

Nach dem überwältigenden Erfolg seiner «Dreigroschenoper» wurde Bertolt Brecht gefragt, welches Buch den stärksten Eindruck in seinem Leben hinterlassen hätte. Seine Antwort war: «Sie werden lachen: die Bibel.» Gerne zitieren Christen diese Würdigung ihrer Heiligen Schrift. Doch genauso gern übersehen sie, was Brecht tatsächlich getan hat: Er hat die Bibel gelesen.
Eine Frau liest die Bibel
Bertolt Brecht
Hauke Burgarth

Tatsächlich hat Brecht nicht nur Motive der Bibel in seiner «Dreigroschenoper» verwendet, er hat sie wirklich gelesen. Ganz. Wahrscheinlich mehrmals. Und genau damit lege ich bis heute den Grundstein dafür, dass dieses Buch mein Leben intensiv prägen kann. Zugegeben, dieser Gedanke ist nicht neu. Aber manchmal lohnt es sich, auch alte Gedanken noch einmal neu zu denken – und umzusetzen.

Wiederholung ist die Mutter …

«Repetitio est mater studiorum» – Wiederholung ist die Mutter des Studierens. Mit Sätzen wie diesem hat man uns (jedenfalls mir!) in der Schule klargemacht, dass sich Langeweile auch noch potenzieren lässt. Ich musste nicht nur trockene Vokabeln lernen, ich sollte sie auch noch regelmässig wiederholen… Dabei kann Wiederholung etwas völlig Natürliches und Schönes sein. Alle, die Kinder haben, die Abend für Abend ihre Lieblingsgutenachtgeschichte hören wollen – und wehe, es fehlt ein Satz! –, können das bestätigen. Auch die wissenschaftliche Lerntheorie unterstützt die Wirksamkeit des Wiederholens. Längst ist klar, dass dadurch neuronale Netze in unserem Gehirn gefestigt werden. Sprich: Das Wiederholte ist mir präsent, verfügbar, es prägt mich. Der Autor von Psalm 119 hatte keine Ahnung von diesen Zusammenhängen, aber er lebte sie und wusste: «Ich bewahre dein Wort in meinem Herzen, damit ich nicht gegen dich sündige» (Psalm, Kapitel 119, Vers 11).

Sie wissen so gut wie ich, wie sich das umsetzen lässt. Zum Beispiel, indem ich regelmässig in der Bibel lese, auch einmal längere Abschnitte in ihrem Zusammenhang. Oder indem ich einen Text oder ein ganzes Buch der Bibel immer wieder lese. Versuchen Sie es einmal mit dem ersten Johannesbrief und lesen Sie ihn einen Monat lang jeden Tag einmal durch. Das dauert jeweils zwölf Minuten. Okay, gegen Ende des Monats sicher länger, weil Sie Spass daran bekommen werden und so viele Zusammenhänge entdecken, die Sie einmal kurz nachschlagen möchten. Nebenbei wird Ihnen praktisch jeden Tag etwas auffallen, was Sie vorher noch nie bemerkt haben. Wiederholung prägt.

Bildhafter Überblick

Ich denke in Bildern. Und Bilder oder auch Landkarten helfen mir ungemein, mir das vorzustellen, was ich gerade lese. Als ich das erste Mal den «Herrn der Ringe» las, hatte ich die Karte im Buch ständig ausgeklappt daneben liegen. Mit dem Finger auf der Landkarte war ich vom Auenland bis Mordor dabei.

Ähnlich mache ich es mit der Bibel. Auf der Karte schaue ich nach, wie weit Jona bis Ninive gehen musste – und höre seitdem die Nachrichten anders, wenn vom irakischen Mossul die Rede ist. Die Strecke von Jericho nach Jerusalem, die der barmherzige Samariter ging, ist heute ein Wanderweg durchs Wadi Qelt. Von dort gibt es fantastische Karten und Fotos. Sie bilden natürlich die heutige Wirklichkeit ab, aber sie helfen mir vorzustellen, dass der Überfallene im Gleichnis eben nicht neben einer heutigen Autobahn lag.

Von der Höhle zum Bronzeschwert

Genauso spannend ist die zeitliche Einordnung. Vielen Christen gefällt der Satz: «Die Bibel ist nicht aktuell, sie ist ewig!» Da ist etwas dran – allerdings ist es nur die halbe Wahrheit. Denn die ewigen Gedanken Gottes finden wir in der Bibel mitten in Raum und Zeit wieder, als Teil von Gesellschaft und Kultur, also zeitgebunden.

Abraham stammte aus einer mesopotamischen Hochkultur in Ur. Aber er fuhr weder Auto noch wählte er sich seine Frau selbst aus, denn das war im zweiten Jahrtausend vor Christus (oder sogar noch früher) nicht möglich. Wir befinden uns hier in der sogenannten Kupfersteinzeit. Das bedeutet nicht, dass man damit alles, was die Bibel über Abraham schreibt, als antiquiert beiseite wischen kann, aber es erklärt, warum Gott seinen Bund (1. Mose, Kapitel 15) mit Abraham dadurch schloss, dass er durch zerteilte Tiere hindurchging.

König David erlebte den Beginn der Eisenzeit. Sein bekannter Gegner, der Riese Goliat, trug bereits eine eiserne Rüstung (1. Samuel, Kapitel 17, Vers 7). Schon deswegen waren die Philister den bronzezeitlichen Israelis eigentlich haushoch überlegen.

Paulus und seine Apostelkollegen reden im Neuen Testament von Jesus, den sie als «Gottes Sohn» verkünden, dessen «Reich» gekommen ist. Das Ganze bezeichnen sie als «Evangelium». Doch was heute so christlich klingt, sind politische Begriffe (siehe Livenet-Artikel), die auch die Römer verwendeten. Sie verkleinern nicht, was Paulus meinte, aber sie erklären die unerhörte Provokation dahinter.

Stereo lesen

Wie lesen Sie in der Bibel? Online oder im Buch? Höchstwahrscheinlich aber in Ihrer Lieblingsübersetzung. Das ist völlig okay. Jeder hat diese Übersetzung, die ihn oder sie am besten anspricht. Kleiner Tipp: Ich lege gern das andere Extrem daneben. Zu meiner Neues-Leben-Bibel nehme ich die Einheitsübersetzung dazu oder zur Elberfelder die Volxbibel. Das bürstet meine Lesegewohnheiten gegen den Strich. Ich brauche mein vertrautes Umfeld, aber wenn ich möglichst nah an die griechischen und hebräischen Grundtexte herankommen möchte, dann hilft oft eine andere Übersetzungsstrategie.

«Meine» Bibel lesen

Zum Schluss möchte ich noch ein Plädoyer fürs Offline-Lesen hinzufügen. Natürlich habe ich eine Bibel-App auf meinem Handy und gebrauche sie regelmässig. Selbstverständlich nutze ich den Bibelserver mit seinen zahlreichen Übersetzungen. Aber ich persönlich geniesse es auch, in «meiner» Bibel zu lesen. Also einer normalen Bibel zwischen zwei Buchdeckeln. Die Übersetzung wechsle ich ab und zu. Aber ich kann hier ein Ausrufezeichen an den Rand machen, das sogar noch da ist, wenn ich mein Handy gewechselt habe. Und ich weiß, dass diese Jesaja-Stelle mit den Müden, die auffliegen wie Adler, auf der linken Seite in der Mitte steht.

Diese Bibel ist mehr als EINE Bibel. Es ist MEINE Bibel. Ich weiss nicht, wie oft ich sie schon durchgelesen habe. Ich habe keine Strichliste geführt. Aber sie hat mich geprägt. Und das tut sie hoffentlich noch weiterhin.

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Datum: 25.06.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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