Diplomatie gescheitert: Bush stellt Irak letztes Ultimatum von 48 Stunden

IrakKrieg

Washington. Die USA geben dem irakischen Staatschef Saddam Hussein eine letzte Frist von 48 Stunden, das Land zu verlassen. Das sagte US-Präsident George W. Bush in seiner mit Spannung erwarteten Fernsehansprache an die Nation.

Innerhalb dieser Frist müssten Staatschef Saddam Hussein und seine Söhne das Land verlassen, sagte Bush. «Der Tyrann wird bald gegangen sein», versicherte Bush.

Als Gründe für einen Krieg nannte Bush die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen, die er mit Terroristen teilen könnte. In Irak gebe es zudem eine Geschichte des Hasses auf Amerika. Das Regime in Bagdad trage zur Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens bei.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sei seiner Verantwortung nicht nachgekommen, sagte Bush. Daher werde jetzt seine Regierung ihre Verantwortung erfüllen. Sie habe die Autorität dazu. Die amerikanischen Streitkräfte würden «zu einem Zeitpunkt unserer Wahl» einen Krieg beginnen.

An die irakische Bevölkerung gerichtet sagte der Präsident: «Der Tag Ihrer Befreiung ist nahe.» Die USA haben an den Grenzen Iraks rund 250.000 Soldaten in Stellung gebracht, die sich seit Wochen auf einen Einmarsch vorbereiten.

Die Soldaten der irakischen Streitkräfte rief Bush zum Desertieren auf: «Wenn der Krieg kommt, so kämpft nicht für ein sterbendes Regime, das Euer eigenes Leben nicht wert ist!» Er warnte die irakischen Streitkräfte, keine Ölquellen zu zerstören oder Massenvernichtungswaffen einzusetzen.

Iraks Aussenminister Nadschi Sabri hat die Aufforderung der USA zurückgewiesen, Präsident Saddam Hussein solle ins Exil gehen, um einen Krieg zu vermeiden.

Keine neue Abstimmung im Sicherheitsrat

Gestern Nachmittag hatten die USA und ihre Verbündeten den Entwurf für eine zweite Irak-Resolution im Weltsicherheitsrat zurückgezogen. Die Entschliessung scheitert damit am Widerstand Frankreich, Russlands, Deutschlands und anderer Staaten.

Abzug des UNO-Personals

UN-Generalsekretär Kofi Annan hat sich am Abend in New York "enttäuscht und frustiert" über den Alleingang der USA und ihrer Verbündeten geäussert. Im Anschluss an eine Krisensitzung des Weltsicherheitsrates sagte Annan: "Wir sind gescheitert. Ich glaube das Ende des Weges ist erreicht." Kofi Annan hat die Ausreise des gesamten internationalen UNO-Personals aus dem Irak angekündigt. Zuvor hatte es bereits nach Angaben eines ranghohen Diplomaten geheissen, die UNO-Waffeninspektoren würden heute die irakische Hauptstadt Bagdad verlassen. Am Flughafen in Bagdad stehe eine Maschine bereit, um bis zu 200 UNO-Mitarbeiter aus dem Irak zu bringen. Beim letzten Mal, als UNO-Waffeninspektoren im Dezember 1998 den Irak verliessen, begannen die USA und Grossbritannien rund zwölf Stunden später mit militärischen Einsätzen.

Dieser Krieg hat einen hohen Preis

Die Theorie scheint ehrenhaft: In den USA gebe es politische Überlegungen, wonach eine Demokratisierung im Nahen Osten in mehreren Stufen zu erreichen sei. Schaffe man es, im Irak eine auf Demokratie und Menschenrechten basierende Regierung zu etablieren, könne man schliesslich in weiteren Stufen den Druck auf den Iran und auf Saudi-Arabien erhöhen, gleichfalls demokratischere Staatsformen einzuführen.

"Bedenkt, wie unberechenbar der Verlauf eines Krieges ist", warnte schon der antike Historiker Thukydides. Noch heute ist dieser Spruch so aktuell wie vor 2400 Jahren. Niemand vermag sicher zu sagen, wie sich ein neuerlicher Irak-Krieg abspielen wird und welche Folgen daraus erwachsen. Trotz verlorenem Golfkrieg und erzwungener Abrüstung - die irakische Armee gilt mit mehr als einer Million aktiver Soldaten und Reservisten immer noch als drittgrösste der Welt. Sie untersteht direkt Saddam Hussein, der zugleich Chef des Nationalen Verteidigungsrats ist.

Über die mögliche Zahl der Toten war im Vorfeld des Krieges in Washington wenig zu hören, ebenso wenig über die Kosten des Krieges. Experten schätzen dass die Ausgaben für die Militäroperation und die unmittelbaren Kriegsfolgekosten auf 100 bis 200 Milliarden US-Dollar. Dabei sind die Kosten für eine längerfristige Besetzung des Irak noch nicht berücksichtigt.

Globale Konfrontation?

Wenn die USA mit ihren Verbündeten den Irak angreifen, müssen christliche Minderheiten in überwiegend moslemischen Ländern auf die Rache islamischer Extremisten gefasst sein. Auch der irakische Machthaber Saddam Hussein hat damit gedroht, eine mögliche Konfrontation mit den USA "auf dem gesamten Globus" auszutragen. Sollte "der Feind den Krieg beginnen", müsse er damit rechnen, dass die Auseinandersetzung überall geführt werde." Nur ein Bluff - oder hat Saddam Vorbereitungen getroffen?

Öl unter US-Kontrolle

Das Angenehme an den Amtsträgern, die US-Präsident George W. Bush um sich geschart hat, ist ihre Vorliebe für klare Worte. Larry Lindsey, Ex-Wirtschaftsberater des obersten Amerikaners, drückte das Kriegsziel im vergangenen September so aus: "Wenn es einen Wechsel des Regimes im Irak gibt, kann man das globale Angebot an Rohöl um drei bis fünf Millionen Barrel erhöhen - ein erfolgreicher Krieg wäre also gut für die Wirtschaft."

Für viele ist "Blut-für-Öl"-Erklärung simpel. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit im Januar 2001 entwarf aber die Bush-Regierung eine neue nationale Energiepolitik für die USA, wo vier Prozent der Erdbevölkerung mehr als ein Viertel der weltweiten Energie verbrauchen. Anlass waren damals massive Engpässe in der Stromversorgung, die über Monate Hunderttausende Bürger Kaliforniens immer wieder ohne Licht und Wärme liessen. Vize-Präsident Richard Cheney, selbst jahrelang mächtiger Chef des Ölzulieferer-Konzerns Halliburton, traf sich daraufhin mehrfach hinter verschlossenen Türen mit amerikanischen Energie-Magnaten. Ihre Namen sowie die Protokolle der Gespräche hält die US-Regierung bis heute geheim, was sonst nur in Fragen der nationalen Sicherheit üblich ist.

Im Mai 2001 legte Cheney dann einen wegweisenden Kommissions-Bericht vor mit dem Titel: "Wie ist der Erdölbedarf der USA in den nächsten 25 Jahren zu sichern?" Die Autoren des Berichts empfahlen, dass "der Präsident Energiesicherheit zu einer Priorität in unserer Handels- und Aussenpolitik" mache.

Gefährlicher Reichtum

Der Irak besitzt mit 112 Milliarden Barrel Rohöl die zweitgrössten Vorkommen der Welt. Mehr liegt nur in Saudi-Arabien mit 262 Milliarden Fass, etwa einem Viertel der globalen Reserven. Um Ölquellen für den verschwenderischen American way of life zu sichern, plädiert der Cheney-Report für ein globales Engagement der USA an wichtigen Rohstoff-Lagerstätten wie dem Kaspischen Meer, Russland und Westafrika. Das Hauptaugenmerk aber fällt auf die Golfregion: "Die Ölproduzenten des Mittleren Ostens bleiben entscheidend für die Ölversorgung der Welt." Schon heute müssen die USA etwa die Hälfte ihres Brennstoffbedarfs importieren. Da die eigene Rohölproduktion deutlich sinkt, werden die Einfuhren in zwei Jahrzehnten zwei Drittel betragen. Die politischen Folgen sind brisant: Seit der Ölkrise von 1973 benutzt das arabisch dominierte Opec-Kartell das Öl als Faustpfand und Druckmittel gegenüber dem Westen. Um ihre Abhängigkeit von den Scheichs zu mindern, verfolgen die USA seit Jahren das Ziel, ihre Ölversorgung zu "diversifizieren".

Vielen in Washington behagt die saudische Macht nicht. Mittelfristig sucht die US-Regierung einen neuen Verbündeten und Haupt-Öllieferanten im Mittleren Osten, und da kommt der Irak ins Spiel. Sein Anteil von zwölf Prozent an den Weltölreserven macht das Land zur einzigen Alternative. Eine von amerikanischen Streitkräften installierte Regierung in Bagdad müsste ohnehin versuchen, das abgewirtschaftete und womöglich von einem Krieg zerstörte Land mit Hilfe maximaler Petro-Einkünfte wieder aufzubauen. Auch die militärische Statthalterverwaltung durch US-Generäle, die das Pentagon für die Zeit nach einem Krieg vorsieht, will sich Washington nach Aussage von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit irakischem Öl bezahlen lassen.

Ein von US-Militärs eingesetztes neues Regime in Bagdad würde Bohrrechte zweifelsohne bevorzugt an US-Firmen vergeben. Achmed Chalabi, der Führer der dubiosen irakischen Exil-Opposition, hat sich bereits mehrfach mit Managern von ExxonMobil and ChevronTexaco getroffen: "Amerikanische Unternehmen werden einen fetten Anteil am irakischen Öl bekommen", verhiess Chalabi danach. Ganz abgesehen davon, dass Washington künftig auch den Ölpreis diktieren könnte. Wenn es erst einmal die Produktion im Irak ankurbeln könnte, dann würde der Preis weltweit sinken, würde die Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) machtlos und die Weltwirtschaft wieder anziehen. Zum Vorteil vor allem der USA und zum Nachteil besonders Saudi-Arabiens.

Washington muss damit rechnen, dass Riad früher oder später zur Gegenoffensive übergeht: Mit dem Abzug seiner Öl-Milliarden aus den USA und der Reduzierung seiner Öl-Produktion. Eine amerikanische Kontrolle über den Irak würde zumindest letzteres wirkungslos machen. So simpel ist die Öl –These also nicht.

KOMMENTAR
Bruno Graber

Bush von Gott zum Krieg legitimiert?

Amerika ist das beste Beispiel dafür, dass trotz Säkularisierung, Kapitalismus und Hochtechnologie das Religiöse nicht verschwunden ist. Religiöse Züge der Politik werden als Instrumente gewertet, die Rechtmässigkeit des politischen Handelns zu stützen. Georg Bush ist von einem religiös motivierten politischen Auserwähltheitsglauben geprägt: Amerika als neues "auserwähltes Volk" soll der Welt das Heil - Freiheit, Demokratie, Frieden - bringen.

Dem 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten war der Terror von Anfang an Beweis dafür, dass das Böse existiert. So hatte der Präsident nach den Anschlägen keinerlei Mühe, sich auf die terroristische Diskursebene einzulassen: «Wir stehen vor einem monumentalen Kampf zwischen Gut und Böse. Aber das Gute wird siegen» Für Bush ist Krieg die logische Fortsetzung seines Glaubens mit anderen Mitteln. Damit ist er keineswegs allein: Eine US-Umfrage unter «wiedergeborenen Christen» ergab, dass 72,5 Prozent der Befragten sich mit dem Satz einverstanden erklärten: «Ich glaube daran, dass wir derzeit die Anfänge jenes Krieges sehen, der zum Antichristen und Armageddon führt».

Jetzt ist also eine Politik angesagt, die im Namen des Absoluten unbegrenzte Ziele verfolgt. Die Millionen Menschen, die auf die Strassen gingen, die sich in Umfragen in selten gesehener Einmütigkeit gegen den Krieg stellen, stehen für die verbreitete Furcht vor der angekündigten guten neuen Welt. Die Vereinten Nationen und vielleicht auch unsere Zivilisation stehen auf dem Spiel.

Nach der Bibel ist Gott der Gott aller Menschen. Nirgendwo hat dieser Präsident ein göttliches Mandat erhalten zu bestimmen, wer die Guten und wer die Bösen sind, um dann das Böse "präventiv" auszurotten. Keine Nation ist absolut im Recht. Die Grenze zwischen Gut und Böse geht mitten durch Amerika und dem Irak, mitten durch das Weisse Haus und mitten durch das Herz eines jeden einzelnen Menschen.

Gott lässt sich auch von einer Supermacht nicht einspannen. Der amerikanische Präsident ist kein Erwählter Gottes, sondern ein Gewählter des Volkes. Wer aus dem Neuen Testament die Pflicht zum Präventivkrieg herausliest, den Tod von Hunderttausenden von Menschen in Kauf nimmt, der entfernt sich mit Siebenmeilenstiefeln davon.

Übrigens: Die Amerikaner haben ihre Jahresausgaben zur Bekämpfung der Armut in der Welt gerade auf 1,7 Milliarden Dollar reduziert. Das ist nicht einmal so viel, wie sie in zwei Tagen fürs Militär in Friedenszeiten ausgeben.

Datum: 18.03.2003
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch

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