Pakistan

Todesurteil gegen Asia Bibi aufgehoben

Neun Jahre sass Asia Bibi hinter Gittern. Wegen angeblicher Blasphemie forderte die Anklage die Todesstrafe. Nun wurde das Todesurteil aufgehoben, das Oberste Gericht ordnete ihre Freilassung an. Der Fall von Asia Bibi ist nur einer von vielen. Der Freispruch kann zur Gefahr für andere Christen werden.
Asia Bibi

Neun Mal verbrachte die Christin Asia Bibi Weihnachten hinter Gittern und bereits zeichnete sich das traurige Jubiläum ab. Während vieler Jahre wurde ihr Fall von mehreren Gerichtsstufen des Landes verschleppt oder ohne Begründung verschoben, zuletzt am 8. Oktober dieses Jahres. Dies geschah auch aufgrund der Drohkulisse verschiedener Islamisten-Bewegungen.

Richter unter Druck

Heute Mittwoch (31.10.2018) wurden in der Hauptstadt Islamabad hohe Sicherheitsmassnahmen getroffen und Strassen gesperrt, insbesondere in der Nähe der Viertel, in denen Richter und die diplomatische Gemeinschaft leben.

Radikale Islamisten hatten die Richter in den letzten Wochen massiv unter Druck gesetzt. Auf einer Pressekonferenz drohte die strenge islamische Partei, «Tehreek-e-Labaik Pakistan» (TLP), den Richtern und sagte, wenn Asia Bibi begnadigt würde, stünden sie vor einem «schrecklichen» Ende. In einer Videobotschaft mobilisierte Khadim Hussain Rizvi, Hauptkleriker der TLP, seine Anhänger, auf die Strasse zu gehen und bereit zu sein, zu handeln und zu sterben, falls sich das Urteil des Obersten Gerichtshofs für Aasiya Bibi ausspreche.

Eine weitere religiöse Gruppe, die Rote Moschee von Islamabad, hat den Obersten Gerichtshof aufgefordert, anzuordnen, dass Asia Bibi das Land nicht verlassen kann, wenn sie freigelassen wird. Zur Roten Moschee gehört die grösste Koran-Schule Pakistans. Sie zählt über zehntausend Schüler und bekennt sich offen zu den Taliban.

Asia Bibi – Ehrenbürgerin von Paris

Die Richter zitierten ausführlich aus dem Koran und anderen islamischen Schriften und wiesen darauf hin, dass dort stehe, dass mit Nicht-Muslimen freundlich umgegangen werden solle.

«Wir sind erleichtert, dass der pakistanische Oberste Gerichtshof die Anklage gegen Asia Bibi aufgehoben hat. Sie beruhte lediglich auf ihrer christlichen Identität und falschen Anschuldigungen», sagte ein Sprecher von Open Doors. «Diese Entscheidung gibt uns Hoffnung, dass Pakistan weitere Schritte unternehmen wird, um die Religionsfreiheit und die Menschenrechte im Land zu stärken.»

Asia Bibis Fall sorgte weltweit für Schlagzeilen. Im Jahr 2015 hatte Papst Franziskus eine ihrer Töchter getroffen. Asia Bibi hatte auch die Unterstützung der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo erhalten, die sie begnadigte und 2015 zur Ehrenbürgerin ihrer Stadt ernannte.

Menschenrechtsverteidiger sehen Asia Bibi als Exempel für die Missbräuche des Blasphemiegesetzes in Pakistan, das nach Ansicht seiner Kritiker oft zur Lösung persönlicher Konflikte instrumentalisiert wird.

Ein Leben lang vor Bedrohungen fliehen

Seit der Verhaftung von Asia Bibi 2009 haben ihr Mann und ihre Familie keine Ruhe mehr: «Wir sind ständig auf der Flucht. Unser Leben ist in Gefahr», sagt Bibis Ehemann Ashiq Masih. «Wir erhalten ständig Morddrohungen und ziehen von einem Ort zum anderen.»

Bleibt Asia Bibi auf freiem Fuss, wird die Gefahr andauern. Bereits Mitte Oktober sagte ihr Mann, dass Asia bei einem Freispruch nicht in Pakistan bleiben könne.

Gefahr auch für andere Christen

Verschiedentlich zeigte sich in Pakistan, dass der Zorn gegen einen einzelnen Christen rasend schnell eine ganze christliche Gemeinschaft treffen kann. «Dies ist eine sehr angespannte Situation für die religiösen Minderheiten, insbesondere für pakistanische Christen. Sie haben Angst vor Verfolgung und Angriffen auf Kirchen und andere Güter», sagen einheimische Christen zu Open Doors. «Deshalb fordern wir die pakistanische Regierung und den Obersten Gerichtshof auf, den Drohanruf von Khadim Rizvi zur Kenntnis zu nehmen. Wir fordern auch, dass TLP und alle ähnlichen extremistischen Gruppen, die an Hassreden beteiligt sind und die Religion als Instrument zur Förderung von Gewalt in der Gesellschaft einsetzen, verboten werden. Wir fordern die Regierung und die Strafverfolgungsbehörden ferner auf, die Sicherheit zu verstärken und den Einsatz von Militärtruppen zu gewährleisten, um das Leben und das Eigentum religiöser Minderheiten, insbesondere der Christen und Kirchen, zu schützen.»

Kurz nach dem Urteil wurden manche Büros und Schulen geschlossen. Ein einheimischer Christ sagt: «Eltern sind besorgt um ihre Kinder, insbesondere um diejenigen, die eine Schule mit muslimischer Mehrheit besuchen. Betet, dass sie auf ihrem Heimweg nicht als Christen erkannt werden und keine Aufmerksamkeit erregen.»

Asia Bibi, eine von vielen

Obwohl der Anteil von Christen in der Bevölkerung nur etwa zwei Prozent beträgt – bei rund 96 Prozent Muslimen – waren mehr als ein Viertel der Anklagen wegen Blasphemie seit 1990 gegen Christen gerichtet; ebenso ist die hinduistische Minderheit proportional deutlich übervertreten.

Bei Streitigkeiten wird immer wieder der Blasphemievorwurf  erhoben, um einen missliebigen Konkurrenten in höchste Schwierigkeiten zu bringen. Denn Freisprüche münden nicht selten in eine Lynchjustiz (laut «The Economist» wurden bislang mindestens 62 Menschen während oder nach dem Gerichtsfall getötet) oder das fluchtartige Verlassen der Ursprungsgegend.
So ist es auch zwei namhaften Unterstützern von Asia Bibi ergangen, dem Politiker Salmaan Taseer und Shahbaz Bhatti. Beide wurden 2011 getötet. Sie hatten den Fall der jungen Frau nachdrücklich unterstützt und sich für eine Reform der Blasphemiegesetze im Land ausgesprochen.

Banaler Streit war vorausgegangen

Als Tagelöhnerin war Asia Bibi am 19. Juni 2009 im Dorf Itanwali, 75 Kilometer westlich von Lahore, verhaftet worden. Beschäftigt in einer Obstplantage, ging Bibi auf Anordnung eines Landwirts für die Feldarbeiterinnen Wasser schöpfen. Diese weigerten sich jedoch zu trinken, sie behaupteten, dass das Gefäss «unrein» sei, weil es von einer Christin berührt worden war.

Ein Streit entbrannte. Asia Bibi wurde von aufgebrachten Muslimen zu einer Moschee geschleppt. Dort sollte sie ihren christlichen Glauben verleugnen. Als sie sich weigerte, wurde sie geschlagen und vergewaltigt, bevor man sie der Polizei übergab. Am 8. November 2010 verurteilte sie ein Gericht in Nankana westlich von Lahore aufgrund des Blasphemiegesetzes zum Tode durch den Strang.

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Datum: 31.10.2018
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Open Doors / Livenet

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