Asylpolitik

Typische Missverständnisse und wie man ihnen begegnen kann

Die Asylpolitik bringt Herausforderungen in die Gesellschaft
Im vergangenen Wahljahr war die Migrationsfrage das alles dominierende Thema. Die verschiedenen Aspekte der Migration wurden dabei bunt durcheinandergewürfelt. Das Ziel dieser Vernebelungsaktionen war, möglichst starke mediale Resonanz zu erzeugen.

Ein Produkt dieser Zeit sind Verwirrungen, Missverständnisse und eine in Bezug auf die tatsächlichen Verhältnisse getrübte und verschobene Realitätswahrnehmung. Daniel Ziblatt, Politikprofessor an der Harvard-Universität, hat in einem Interview die Demokratie der Schweiz gerühmt: «Wie andere habt ihr [d.h. die Schweiz] über die Jahre ein Set ungeschriebener politischer Normen entwickelt, an die sich die meisten halten – das stärkt die Demokratie. In der Schweiz sind dies etwa Normen der Zurückhaltung.» (NZZ am Sonntag, 3.12.2023) Hoffen wir, dass die Schweiz auf den Pfad dieser Tugend der Zurückhaltung und – damit verbunden – zur Redlichkeit zurückkehrt.

Migration bedeutet nicht zuerst Asylzuwanderung, sondern Arbeitszuwanderung

Viele Menschen denken heute und aufgrund der Geschehnisse der vergangenen Zeit beim Wort Migration zuerst an geflüchtete Menschen. Dabei machen Asylsuchende einen verhältnismässig kleinen Anteil der Migration aus. Ein viel grösserer Anteil entsteht durch die Arbeitszuwanderung, dies vor allem aus europäischen Ländern. Bis November 2023 zählten dazu letztes Jahr netto 96'000 Personen. Das ist tatsächlich eine grosse Zahl von Menschen. In dieser Zahl sind Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene oder Personen mit Status S (Ukraine) nicht eingerechnet. Zu diesen 96'000 Personen gehören mehrheitlich in den Arbeitsmarkt Zugewanderte aus EU-/EFTA-Ländern. Es sind Fachkräfte, die von unserer Schweizer Wirtschaft dringend gesucht und eingesetzt werden.

Gleichzeitig wurden bis Ende November 2023 28'000 Asylgesuche eingereicht. Die Arbeitsmigration wird 2023 also drei- bis viermal höher ausfallen als die Asylmigration. Die Ursache für die grosse Arbeitszuwanderung liegt in der noch immer positiven wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz.

Arbeitszuwanderung begrenzen?

Unsere boomende Wirtschaft beklagt einen Fachkräftemangel. Die inländischen Personalressourcen sind ausgeschöpft, deshalb wird auch weiterhin auf den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland gesetzt. Ist die Schweizer Wirtschaft von daher gesehen überentwickelt? Sind die Grenzen des Wachstums erreicht oder gar überschritten?

Um die Arbeitszuwanderung zu begrenzen, müsste wohl das ungebremste Wachstum der Wirtschaft verlangsamt werden. Wo aber müsste die (Gesund-)Schrumpfung ansetzen? Wer würde sich mit den damit verbundenen Einbussen im Lebensstandard und bei den entsprechenden Annehmlichkeiten anfreunden, die eine florierende Wirtschaft mit sich bringt? Beides zusammen aber gibt es nicht. Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Begrenzung der Arbeitszuwanderung ist die Quadratur des Kreises: Es ist heuchlerisch und populistisch, beides zu fordern.

Asylzuwanderung begrenzen?

Die Schweiz ist bei der Frage der Asylzuwanderung an die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gebunden. Noch immer stammt eine Mehrheit der Geflüchteten aus Ländern mit Kriegen oder aus Staaten mit repressiven Verhältnissen. Fast zwei Drittel der in die Schweiz geflüchteten Menschen erhalten deshalb entweder eine Flüchtlingsanerkennung oder eine vorläufige Aufnahme.

Bei den vorläufig aufgenommenen Asylsuchenden besteht in Politik und Gesellschaft ein beträchtliches Missverständnis: Für diese Gruppe ist eine Rückkehr im Moment unmöglich oder unzumutbar. Deshalb ist eine vorläufige Aufnahme die richtige Massnahme. Es sind Menschen, die vor Kriegen, Bürgerkriegen oder repressiven Regimes Schutz suchen, auch wenn sie nicht unmittelbar und persönlich gefährdet, bzw. direkt politisch oder religiös verfolgt sind, wie es die Genfer Flüchtlingskonvention fordert. Sie sind aber durch die EMRK geschützt. Sobald sich die Verhältnisse in ihren Herkunftsländern ändern, werden sie zurückkehren können, wie das im Balkan zum Teil auch der Fall war. Diesen Gruppen mit vorläufigen Aufnahmen einen Fluchtgrund abzusprechen, wäre falsch und ein grobes Missverständnis.

Ein verhältnismässig kleiner Anteil von Menschen, die in der Schweiz Asyl suchen, wird weggewiesen. Es sind vor allem Personen aus Maghrebstaaten, deren Motive als «Armutsmigration» bezeichnet werden. In der Frage der Rückschaffung von abgewiesenen Asylsuchenden hat die Schweiz in Europa eine der höchsten Rückführungsquoten.

Herausforderungen rund um die Geflüchteten

Stets wird in Gesellschaft und Politik geklagt, dass bei Geflüchteten eine zu hohe Sozialhilfequote bestehe. Das aber hat verschiedene Gründe, darunter plausible, die wenig bedacht werden: Wer kann in einem fremden Land nach kürzester Zeit die Landessprache beherrschen, um im ersten Arbeitsmarkt zu bestehen? Wer kann sich die nötigen beruflichen Qualifikationen in kürzester Zeit aneignen?

Eine gute Unterstützung ist hier unerlässlich. Die zuständigen Asylorganisationen geben sich im Umgang mit Geflüchteten Mühe, sind aber wegen der vielen Dossiers und angesichts des umfangreichen Case Managements häufig überlastet und überfordert. Sie kennen ausserdem die Verhältnisse vor Ort zu wenig – dort, wo die Geflüchteten wohnen und leben.

Zivilgesellschaftliches Engagement als Erfolgsmodell

Beherzte Freiwilligenarbeit und zivilgesellschaftliches Engagement sind für Geflüchtete ein Gamechanger. Um diese Menschen auf dem Weg in den Arbeitsmarkt wirksam zu fördern, ist zivilgesellschaftliche Unterstützung das Beste, was ihnen passieren kann: Lernhilfen für den Spracherwerb, Lobbying bei der Stellensuche und Lernunterstützung im Ausbildungsprozess. Behörden- und Freiwilligenarbeit gehen dabei idealerweise Hand in Hand. Werden mehr Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert, wird auf der anderen Seite auch die Arbeitszuwanderung abnehmen. Es entsteht eine Win-Win-Situation.

Geflüchtete sind besonders verletzliche Menschen. Sie leiden häufig unter schrecklichen Fluchtgeschichten, mussten ihre geliebte Heimat, ihre Sprache und häufig auch Angehörige zurücklassen. Es sind Menschen in Not. Sie zu unterstützen, darf auch eine eigennützige Komponente haben. Jeder Mensch kommt im Leben in Situationen, in welchen ihm geholfen werden muss. Wer überschüssige zeitliche und innere Ressourcen hat, unterstütze deshalb Geflüchtete, denn diese Menschen zeigen uns, wie gefährdet und zerbrechlich unser Leben ist. Jeder Tag, den wir in Würde leben können, ist ein Geschenk an uns. Dieses Bewusstsein kann uns Antrieb sein, auch anderen zu einem würdevollen Leben zu verhelfen.

Theologische Überlegungen

Im Hebräerbrief (Hebräer Kapitel 13, Vers 2) steht der denkwürdige Satz «Die Liebe zu denen, die euch fremd sind, aber vergesst nicht – so haben  manche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt.» Nicht alle Menschen, die in unser Land flüchten, sind Engel. Aber es hat mindestens so viele Engel darunter, wie es unter Schweizerinnen und Schweizern Engel gibt.

Was hat uns dieses Bibelwort aus dem Hebräerbrief heute zu sagen? Wenn vor hunderten von Jahren in unserem Nachbarsdorf im berühmten Kloster Rüeggisberg eine Fremde oder ein Fremder an die Klosterpforte klopfte, legte sich der an der Pforte diensthabende Mönch flach auf den Boden. Es war ein Ausdruck von Ehrfurcht gegenüber dem fremden Gast, ganz unabhängig davon, wer es war. In diesem Fremdling konnte sich Christus oder ein Engel verbergen, das wusste der bibelkundige Mönch.

Gegenüber Menschen, die man noch nicht kennt, verhält man sich freundlich und respektvoll. Ängste gegenüber Fremden sind möglicherweise ein natürlicher Reflex, der uns aber nicht weiterhilft. Misstrauen macht keine Gesellschaft besser. Vertrauen aber hat eine heilsame, verändernde Kraft. Versuchen wir, dieses Vertrauen mit Gottes Hilfe zu stärken.

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter Forum Integriertes Christsein.

Zum Thema:
Dossier: Migration
In Olten: Wie Migration gelingen kann
Mission Demut: Stärkende Impulse für das «neue Ende der Welt»
«Beim Namen nennen»: Mahnmale vor Kirchen als Protest gegen Flüchtlingspolitik

Datum: 05.02.2024
Autor: Daniel Winkler
Quelle: Forum Integriertes Christsein

Werbung
Livenet Service
Werbung