Im Tages-Anzeiger hat Michael Meier Alarm geschlagen. Dass nicht nur der neue Bundesrat Blocher Gott ins Spiel bringt, sondern auch der neue Nationalratspräsident Max Binder (ebenfalls SVP) sich für sein Amt am 17. Dezember von Christen segnen liess, ist ihm zuviel. Zwar sei es einem Politiker unbenommen, öffentlich zu bekennen, dass er in seiner Aufgabe auf Gott vertraut. Gott aber regelmässig öffentlich zu beschwören, mit Formeln, Symbolen und Ritualen, wie das Blocher tue, sei im säkularen Staat und seinen Organen unpassend, ja befremdlich. Nicht einmal die CVP führe Gott so ungeniert direkt im Munde wie die Spitzenpolitiker der SVP. Was glaubt der Pfarrerssohn und Bruder des ehemaligen Hallauer Pfarrers Gerhard Blocher und der ehemaligen Muttenzer Pfarrerin Sophie Blocher wirklich? "Ich nehme ihm ab, dass er regelmässig in der Bibel liest und betet. Sein Denken gründet auf der biblischen Ethik. Zentraler Punkt in seinem Glauben ist die Gnade", sagt ein christlicher SVP-Politiker, der öfter mit Blocher zu tun hatte. Auch seinen wirtschaftlichen Erfolg verstehe er wohl unter diesem Gesichtspunkt. Was ist da dran? Aufschlussreich ist sicher eine Predigt, die Blocher als Laienprediger am Reformationssonntag 1998 in Wasen im Emmental gehalten hat. Dort distanzierte er sich sogleich vom Thema "Christsein im Alltag", das man ihm vorgelegt hatte. Für ihn gibt es keine Unterscheidung in ein Sonntags und ein Alltagschristentum. Blocher wörtlich: "Lassen Sie mich beim sogenannten Alltag beginnen. Als Unternehmer und Politiker bin ich ein Schwerarbeiter, für den vor allem die Werktage zählen. Darum habe ich eigentlich nur für Dinge Verständnis, die für den Alltag brauchbar und praktisch sind. Irgendwelche "Sonntagsseiten" von Dingen und von Menschen sind mir darum unheimlich". Zwar freue er sich über den Sonntag - über den Tag des Herrn - über den Ruhetag. "Aber Sinn macht er für mich natürlich nur im Hinblick auf den Alltag, den Werktag." Schon die blosse Unterscheidung in ein Sonntags- und ein Werktagschristentum weckt in ihm den Gedanken der Heuchelei. Gleichermassen kritisiert er das Bewusstseins von Christen, bessere Menschen zu sein, da "sie sich für Gott, für Christus oder gar für den Heiligen Geist entschieden hätten …" und dadurch einem "rechten Leben" näher stünden als andere Leute. Wenn im Neue Testament von "Entscheidung" die Rede sei, "dann ist immer eine grundlegende Entscheidung Gottes gemeint - und zwar eine, welche völlig unabhängig von jedem menschlichen Tun geschehen ist", betont Blocher. "Nicht wir haben Ihn anzunehmen, sondern Er hat uns angenommen." Gott selbst habe sich "für uns Menschen - für alle Menschen - entschieden. Und damit auch für unser Land, für unser Volk, für die ganze Welt." Also: Gott hat sich nicht nur für uns, sondern auch für Land und Volk entschieden. Hier finden wir die theologische Begründung für die Verbindung von Glaube und Patriotismus bei Blocher. Dass es eben vor allem auf die Entscheidung Gottes und nicht auf das Werk und die Qualität des Menschen ankomme, da kann sich Blocher auf die Reformation berufen: Er erinnert in Wasen an die lutherische Formel "simul iustus - simul peccator" (zugleich gerecht gesprochen - zugleich ein Sünder). Zuhause habe sein Vater den vier kleinen Söhnen liebevoll, aber auch etwas derber zugerufen: "Ihr Prachtskerle und zugleich Lumpengesellen." Vor Grundlegung der Welt habe Gott uns erwählt, sagt Blocher unter Berufung auf Epheser 1. und schliesst daraus: "Ich bin der Meinung, dass unser privates Leben und gleicherweise auch das Leben eines ganzen Volkes grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt dieser Erwählung zu sehen ist. In der Bibel ist die ganze Menschengeschichte von der Erwählung Gottes bestimmt - dass aber zu dieser Erwählung sofort auch immer das Gegenteil, die Verwerfung, gehört … Das Heil eines Menschen und das Heil eines Volkes besteht immer nur darin, dass Gott uns seine Gnade als das Letzte und Entscheidende zukommen lässt." Somit lebten wir alle von der gnädigen Haltung, die Gott uns allen gegenüber einnimmt. Wir dürfen somit "mit grosser Dankbarkeit und gesundem Stolz auf das blicken, wozu wir an dem für uns vorherbestimmten Platz erwählt sind - und uns mit ebenso grosser Demut und Aufrichtigkeit darunter beugen, dass uns an diesem Platz auch unsere Verwerfung zugemutet wird." Deshalb auch die Verachtung jedes Heuchlertums: "Da haben Pharisäertum, Heuchelei und Moralismus nichts zu suchen." Bereits in der Predigt in Wassen schlägt die Überzeugung durch, die Blocher vor seiner Wahl zum Bundesrat bekundete: "Wer Verantwortung trägt, hat einen Auftrag: den Auftrag nämlich, in einer ganz bestimmten Sache, an einem ganz bestimmten Ort, zu einer ganz bestimmten Zeit etwas ganz Bestimmtes zu tun." Dazu ist man von Gott gerufen. "Es kommt nicht darauf an, ob ich das möchte, sondern ob Gott mich da hinstellt." Ob mit dieser theologischen Position auch der Vorwurf beantwortet werden kann, den Meier im Tages-Anzeiger vorbringt? Zitat: "Wenn einer der reichsten Unternehmer im Land mit Gott im Munde Abschottung und Fremdenangst predigt, obendrein den neoliberalen Sozialabbau, dann kann er sich nicht auf den christlichen Gott berufen. Er meint vielmehr - um mit der Bibel zu reden - einen Götzen, einen für die Eigeninteressen instrumentalisierten Gott." Der ehemalige Chefredaktor der Weltwoche, Fredy Gsteiger, meint dazu, Blocher sei weder Antisemit noch Rassist. Auch bekämpfe er grundsätzlich das soziale Netz des Staates nicht wie extremere SVP-Politiker. Blocher sei auch für Kompromisse zu haben. "Als Oppositionspolitiker flirtet er skrupellos mit solchen Tendenzen und zapft so ein weiteres Wählerreservoir an. Sein Kerngeschäft sind die klassischen rechtspopulistischen Themen aber nicht - er überlässt sie den Schlüers und Fehrs in der Partei." Blocher sei jedenfalls kein Fundamentalist, meint der ehemalige Zürcher Gemeinderat Peter Niggli gegenüber der Sonntagszeitung vom 11.10.98. Seine Partei begegne den christlichen Fundamentalisten mit einer gewissen Vorsicht. "Sie findet es interessant, diese Strömungen aufzunehmen, deshalb bezieht sie Stellung gegen den Schwangerschaftsabbruch und versucht so Stimmen zu machen. Handkehrum distanziert man sich von der radikalsten Initiative für ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs." Pragmatismus präge Blocher stärker als Religion oder gar Ideologien, vermutet Gsteiger. Dies mag auch in der Beobachtung zum Ausdruck kommen, dass Blocher einerseits in Kommissionen und Arbeitsgruppen Kompromisse schliessen kann, am Rednerpult vor dem SVP-Volk aber ganz andere Töne anschlägt. Als Heuchelei würde Blocher das sicher nie sehen. Die öffentliche Polemik ist ihm Mittel zum Zweck. Seine rhetorische Begabung eine Gnadengabe mit dem Ziel, Im Namen Gottes schliesslich das Rechte zu machen. Ob er mit seiner Rhetorik (zum Beispiel die "Scheininvaliden") nicht auch Geister ruft, die er vielleicht nicht mehr los wird? Das wird sich weisen müssen. Blochers Persönlichkeit kennt jedenfalls verschiedene Facetten. Gsteiger gibt eine Anekdote zum besten: Einem Nationalratskollegen berichtete er einmal von seiner Angst, ans Rednerpult zu treten: "Aber dann sage ich mir, der Herrgott schickt mich, es ist meine Aufgabe - und dann geht es." Blocher weiss sich von Gott in den Bundesrat gesetzt. Wie er diesen Auftrag umsetzen wird, ob insbesondere die Ängste der Schwachen, Unterprivilegierten und Immigranten berechtigt sind, darauf werden wir bald Antworten haben. Forum: Hier ist Ihre Meinung zu Christoph Blocher gefragt Datum: 18.12.2003Die Gnade
Kein Sonntagschristentum
Wider die Heuchler
"Prachtskerle und zugleich Lumpengesellen"
Dankbarkeit und Stolz
Auftrag und Sendung
Kompromissbereiter Pragmatiker
Taktik, Rhetorik, auch Angst
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch
Er vertraue darauf, "dass Gott uns helfe, dass es gut herauskommt". So hat Christoph Blocher seine Wahlannahme als Bundesrat besiegelt. Hat er damit um die Unterstützung der Christen geworben? Taktiert er damit, oder ist ihm tatsächlich an der Hilfe Gottes gelegen?