Saudischer König: Religionen sollen gemeinsam gegen Zerfall der Familie angehen

Empfang der Delegierten eines japanisch-islamischen Dialogforums am 24. März.
Marktplatz in Riad.
Besuch Abdullahs beim Papst.

Die Religionen sollen sich gemeinsam bemühen, die Krise der Moral und der Familie abzuwenden. Der neuartige Appell des saudi-arabischen Königs Abdullah bezieht sich auch auf die Probleme in seinem Land.

Beim Empfang der Delegierten eines japanisch-islamisches Dialogforums am 24. März in Riad sprach sich König Abdullah bin Abdulaziz Al Saud (84) für Treffen der Religionen, insbesondere des Islam, des Judentums und des Christentums, aus. Seit zwei Jahren treibe ihn der moralische Verfall der Menschheit um, eröffnete der Monarch seinen Gästen. Vernunft, Ethik und Menschlichkeit seien aus dem Gleichgewicht geraten.

Der Zerfall der Familie müsse gottesfürchtige Menschen alarmieren; namentlich die zunehmende Untreue dürfe von Muslimen, Juden und Christen nicht hingenommen werden. Nach dem Redetext, den die amtliche Presseagentur des Königreichs veröffentlichte, sagte Abdullah: „Wir müssen Gott bitten, dass er uns hilft zusammenzukommen.“ Die drei monotheistischen Religionen sollten sich verständigen, wie die Sitten zu stabilisieren seien. Der König gab sich alarmiert darüber, dass „in manchen Gesellschaften ein 18-jähriger Bursche oder ein Mädchen völlig unabhängig wird und sich nicht mehr um die Eltern, die Moral oder Gott kümmert“.

Zuerst die Gelehrten, dann den Papst konsultiert

Der König gab bekannt, er habe für seine Initiative zuerst die Zustimmung der islamischen Gelehrten seines Landes eingeholt. Dann suchte er am 6. November 2007 Papst Benedikt XVI. im Vatikan auf – ein „unvergessliches“ Treffen in freundlicher Atmosphäre. Nach Beratungen mit Muslimen will König Abdullah mit Vertretern von Judentum und Christentum eine Serie von Treffen durchführen, an denen eine Plattform erarbeitet werden soll, „um die Menschheit zu erhalten gegenüber denen, die Religion, Ethik und den Zusammenhalt der Familie beschädigen“. Komme eine Einigung zustande, werde er sie der UNO vorlegen.

Gegenkräfte

Der Vorstoss des Königs dürfte in seinem Land nicht nur auf Verständnis stossen. In der Woche vor Ostern lehnte der Schura-Rat, der das Herrscherhaus der Saud berät, eine Gesetzesvorlage ab, welche Respekt für andere Religionen und religiöse Symbole geboten hätte. Die Vorlage, für welche sich die Arabische Liga ausgesprochen hatte, wurde im Verhältnis 7:3 abgeschmettert. Ein Mitglied der Schura erläuterte einem Journalisten, man wolle nicht-monotheistischen Religionen keinen rechtlichen Status im Land geben, welcher den Bau von Tempeln zu Folge hätte.

Strengstes islamisches Land

Dass der König Saudi-Arabiens, „Hüter der Heiligen Stätten“ von Mekka und Medina, Christen und Juden zum Dialog einlädt, wäre auch in Zeiten geringerer Irritationen zwischen der islamischen und der westlichen Welt bemerkenswert. Denn die wahhabitische Form des Islam, massgebend für das Herrscherhaus Saud, empfiehlt gegenüber Nicht-Muslimen traditionell Misstrauen.

Vor kurzem erliess ein Scheich eine Fatwa (Rechtsgutachten) gegen zwei einheimische Autoren, welche in Zeitungen dafür plädiert hatten, Angehörige anderer Religionen nicht als „Ungläubige“ anzusehen. Der Scheich stellte sich auf den Standpunkt, wer den Islam ablehne, sollte vor Gericht gestellt werden. Dieses habe ihn vor die Wahl zu stellen, zum Islam zurückzukehren oder wegen Abfalls hingerichtet zu werden.

Enorme soziale Spannungen

Mit der eigenwilligen Auslegung und strikten Anwendung der Scharia und den archaischen Bräuchen, welche sich im Wüstenreich erhalten haben, plagen Saudi-Arabien infolge der rasanten Modernisierung und der Petrodollar-Milliarden heute enorme soziale Diskrepanzen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist gefährlich hoch; die Gefahr der Radikalisierung junger Männer ohne berufliche Perspektive ist längst erkannt, aber nicht behoben. Der Grossmufti des Landes warnte im letzten Oktober die jungen Heisssporne vor dem nicht autorisierten Dschihad (im Irak).

Als Fortschritt muss schon gewertet werden, dass die Misshandlung und Tötung von Frauen, welche dem Ehrenkodex ihres Clans zuwiderhandeln (oder dessen beschuldigt werden), heute in Medien aufgegriffen wird. Auch das Elend von Scheidungskindern, die dem Vater zugesprochen werden und dann unter der Verachtung ihrer Stiefmutter leiden, kommt zur Sprache.

Von Religionsfreiheit keine spur

Ob Abdullahs Dialogbereitschaft im ethisch-religiösen Bereich die Gewährung auch nur kleiner religiöser Freiheiten für Nicht-Muslime zur Folge hat, bleibt abzuwarten. Der Papst dürfte seinem Besucher Toleranz für die Christen in seinem Reich nahegelegt haben. Vom Verbot nicht-islamischer Religionsausübung in Saudi-Arabien (27 Millionen Einwohner) besonders betroffen sind die acht Millionen Gastarbeiter; darunter über eine Million Filipinos. Christliche Feste wie Weihnachten und Ostern dürfen sie nicht feiern. Wiederholt hat die Religionspolizei Gottesdienste in Privaträumen gestürmt, Christen verhaftet und ausgewiesen.

Alle Juden weg = Frieden

Noch tiefer scheint die Kluft zwischen Muslimen und Juden. Der Jude Tuvia Tenenbom, der im Gefolge von Präsident Bush nach Saudi-Arabien einreisen konnte (sonst für Juden unmöglich), fragte einen Einheimischen, ob er glaube, dass es zwischen Israelis und Palästinensern Frieden geben werde. Die Antwort, mit Verweis auf den Koran: – »Ja, wie es steht in diesem Heiligen Buch, alle Juden sterben, und dann ist Frieden.«

Aussenminister: „Ehrlicher Dialog“

Saudi-Arabien hat in zahlreichen Ländern (auch in Genf) den Bau von Moscheen finanziert und darauf hingewirkt, dass die intolerante wahhabitische Version des Islam gepredigt und durchgesetzt wird. Vor diesem Hintergrund ist der interreligiöse Akzent bemerkenswert, den der saudi-arabische Aussenminister Prinz Saud Al-Faisal parallel zum Vorstoss seines Monarchen setzte. Vor dem japanisch-islamischen Dialogforum liess er eine Rede verlesen, in der er zu einem ehrlichen Dialog mit Andersgläubigen aufrief. „Die Zusammenarbeit von Religionsgemeinschaften kann zur Erhaltung menschlicher Beziehungen und zur Ausrottung von Rassismus und Unterschieden beitragen…”

Quelle: Livenet / Arab News u.a.

Datum: 31.03.2008
Autor: Peter Schmid

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