Als Mönch im Fernsehen – wie reagieren die Leute? Sie bekommen viele Reaktionen auf Ihre Beiträge. Was sind die Hauptprobleme moderner Menschen? Geniessen Sie als Ordensbruder bei den Menschen einen besonderen Vertrauensvorschuss? Spiritualität ist wieder angesagt. Was ist das Besondere des christlichen Glaubens? Wie sind sie denn in den Orden gekommen? Hatten Sie eine besondere Begegnung mit Gott? Was können moderne Zeitgenossen von der Frömmigkeit der Mönche lernen? Welche geistlichen Übungen können Sie unseren Lesern für ihren modernen Alltag empfehlen? Ein kirchenferner Zeitgenosse möchte innerlich zur Ruhe kommen und Gott begegnen. Was raten Sie ihm?
Bruder Paulus: Manche sind erstaunt und neugierig, für andere ist das irgendwie nur ein Event unter anderen. Es ist schwer, im Fernsehen über das Klischee hinauszuwachsen. Seitdem ich „N24 Ethik – Um Gottes Willen“ mache und im Hessischen Rundfunk einmal im Monat im Radioladen bin, können mich die Leute direkter erleben. Sie merken plötzlich, dass da einer ist, der die Sprache von heute spricht und wirklich glaubt, dass es Gott gibt und sogar diesen Jesus und dann auch noch den Heiligen Geist. Dies ist für mich das beste Erlebnis: Wenn Menschen mir signalisieren, dass sie nicht anders können, als mir das abzunehmen, was ich verkörpere.
Als erstes nenne ich mal, dass Gott als Konkurrent der Freiheit gesehen wird. In der alten Sprache würde man sagen: Der Teufel hat es geschafft, dem lieben Gott Hörner aufzusetzen. Was des Teufels ist – Kurzsichtigkeit, Egozentrik, Ausbeutung des Körpers, Hoffnungslosigkeit bis hin zur Kinderlosigkeit aus egoistischen Motiven – wird vergötzt. Gott jedoch erscheint als Feind all dieser scheinbar wunderbaren Dinge. Wenn die Leute begreifen würden, dass ihr Schöpfer keine Lust hat, sie zu verkleinern, sondern dass er alles dran setzt, sie wirklich frei werden zu lassen, dann wären wir einen kräftigen Schritt weiter. Es fehlt mit anderen Worten eine Aufklärung über die Aufklärung mit ihren wahnsinnigen Vorstellungen, dass menschlich sei, was der Mensch will. Wie wir sehen, ist das Wollen des Menschen ohne einen Massstab, der ausserhalb seiner selbst liegt, auch nicht gerade sehr förderlich für eine gute Entwicklung der Welt. Aus der Anerkennung des einen Schöpfers würde eine Freude an der Pflicht zu einem brüderlichen Umgang mit allen Menschen und der Schöpfung folgen.
Ja, unbedingt. Der Habit, den ich trage, ist da schon ein gutes Markenzeichen. Auch dass ich durch die Gelübde der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams dazu stehe, dass es wirklich Gott ist, der mir Reichtum, Liebe und Verwirklichung meiner Existenz schenkt.
Im Zentrum steht das Kreuz: Dort haben Menschen den getötet, nach dessen Bild sie geschaffen wurden. Denn das ist Grundglaube der Christen: Jesus ist der Mensch gewordene Prototyp, nach dem die Schöpfung gebaut ist. Der Mensch sollte als Gegenüber Gottes leben und ihm Liebe entgegenbringen. Genau diese Liebe hat Jesus in einer klaren Weise gezeigt: Er hat nicht für sich gelebt. Selbst im Sterben hat er noch für die anderen gebetet. Und seine Auferstehung ist nicht nur etwas Tolles für ihn, sondern soll alle berühren. In der Frömmigkeit sucht der Christ nicht nur Stärke und Erleuchtung und Heil für sich selbst. Nein, wie bei Jesus stärkt christliche Spiritualität zum Opfern für andere. Der Christ sucht nicht sein Ego, er sucht den Mitmenschen und Gott.
Ich habe mit 16 mitbekommen, dass die Taufe ein Emanzipationssakrament ist: Weg von der Biologie und Biographie hin zu dem echten Menschen schlechthin. Ich wurde in Jesus eingetaucht und bin mit ihm auferstanden: Was für ein Gedanke – ein Auferstehungsmensch zu sein, den nichts mehr umhauen kann. Mit 19 lernte ich die Kapuziner kennen und fand: Da kann ich das am klarsten leben. Gott begegne ich täglich. Mit ihm pflege ich einen freundschaftlichen Umgang. Er ist es doch, nach dessen Bild ich geschaffen wurde. Als mir das mit der Taufe aufging, war ich so aufgeweckt, dass ich nie mehr davon loskam. Leider führt mich die Sünde unbegreiflicher Weise immer wieder weg von meiner Liebe zu Gott und den Menschen, das ist schrecklich. Aber dann raff ich mich wieder auf und lebe, was ich bin: Kind Gottes. Das ist normaler, als die meisten sich vorstellen.
Vor allem glaube ich, dass sich die Menschen heute in dieser verrückten Welt eine Ordnung geben müssen, die sie selber einrichten. Das Diktat des Terminkalenders, der von anderen gefüllt wird, ist doch schrecklich. Oder nehmen Sie den Fernseh- und Event-Stress: Die Menschen lassen sich viel zu viel an der Nase herumführen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir endlich mal kapieren, dass der Sonntag kein Ausschlaftag ist. Er ist Auferstehungstag. Raus morgens – nicht weil man muss, sondern weil man den schönen freien Tag am Anfang der Woche, am ersten Tag der Woche, nicht verpassen will.
Als erstes sollten Sie sich einen festen Termin am Tag wählen, an dem Sie für nichts anderes Zeit haben wollen als für Gott. Dies kann am Morgen sein oder auch am Abend. Fangen Sie doch mal mit zehn Minuten an. Die könnten Sie damit füllen, dass Sie zum Beispiel einige Verse des Lukasevangeliums lesen und beten: Herr, was willst du mir heute sagen? In einigen Minuten der Stille stellen Sie sich vor, dass nun Jesus Ihnen aus dem Wort des Evangelium direkt etwas sagen will. Schon so eine kleine tägliche geistliche Übung führt zu einer Konzentration auf die wirkliche und wirksame Gegenwart Gottes in unserem Leben.
Den Begriff „zur Ruhe kommen“ muss man sich genauer angucken. Mir wird da manchmal viel zu viel esoterisch geschwafelt von wegen „Stille im Kloster“ und „zu sich selber kommen“. Nein, der Knackpunkt ist der, dass die Begegnung mit Gott in der Weise beglückend ist, dass er alles bisher im Leben als wichtig Erachtete auf den Kopf stellt oder doch zumindest bis in die dunkelten Ecken hinein durchleuchtet. Wer also wieder vollkommener Mensch werden will, der sollte sich bewusst werden, wovon er sich Zeit und Terminkalender, Wohnungseinrichtung und Kleiderschrank bestimmen lässt. Meditation führt zur Mitte, aber dort wohnt Gott, der sagt: „Geh!“ Oder: „Verkaufe alles was du hast und gib es den Armen!“ Oder: „Hör auf, dich deiner Geilheit auszuliefern und andere mit in den Sog der Begierde zu ziehen!“ Oder: „Entscheide dich, einem Armen wirklich beizustehen für eine Stunde pro Woche.“ – Gott ist herausfordernd, klärend und erfüllend in seiner Gegenwart im Menschen. Ruhe, Innerlichkeit und Schmusekurs um ihrer selbst willen sind nicht seine Sache.
Datum: 23.02.2008
Autor: Rainer Schacke
Quelle: Neues Leben