Zur selben Zeit wurde auf den Phanar in Istanbul, den Sitz des Ökumenischen (griechisch-orthodoxen) Patriarchen von Konstantinopel, ein Anschlag verübt. In der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag explodierte eine Handgranate, die von aussen in das Gelände des Patriarchatssitzes geworfen worden war. Die Granate richtete Schäden an mehreren Fenstern der Kathedrale und des angrenzenden Patriarchatsgebäudes an; unter anderem. barsten die Scheiben zum Büro von Patriarch Bartholomaios. Auch das Dach der Kathedrale sei in Mitleidenschaft gezogen worden, sagte das Oberhaupt der griechischen Orthodoxen in Österreich, Metropolit Staikos. Personen kamen keine zu Schaden.Die Polizei geht auf Grund der grossen Wucht der Detonation davon aus, dass die Handgranate selbst gebastelt war. Als Täter vermuten die Behörden rechtsextreme, nationalistische Kreise. Patriarch Bartholomaios sagte in einer Reaktion, der Anschlag habe genau genommen nicht ihm, sondern der Regierung gegolten. Die Täter wollten damit offensichtlich die EU-Ambitionen der Türkei konterkarieren. Die EU-Kommission hatte am Mittwoch ihren Bericht zur Türkei veröffentlicht, in dem sie die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfahl. In dem Bericht wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass derzeit in der Türkei christlichen und anderen religiösen Minderheiten eine Reihe von ihnen zustehenden Rechten vorenthalten würden. Bereits Anfang September war es in Istanbul zu gewaltsamen Protesten türkischer Nationalisten gegen den Patriarchen gekommen. Einem Aufruf der "Grauen Wölfe" folgend, wollten mehr als 700 Nationalisten vor den Phanar ziehen. Die Polizei riegelte die Strasse aber ab und hinderte die Demonstranten mit Gewalt an einem Weitermarsch. Die Demonstranten bewarfen daraufhin die Polizisten mit Steinen. Sie knüpften eine Puppe, die den Patriarchen darstellte, an einen Baum und zündeten sie an. Die Nationalisten kündigten damals einen "Schauprozess wegen Hochverrats" gegen Bartholomaios an, weil er die Interessen der Türkei nicht verteidige. Weiter kritisierten sie eine Lockerung der bestehenden gesetzlichen Beschränkungen für die orthodoxen Christen in der Türkei sowie die geplante Wiedereröffnung der orthodoxen Akademie auf der Prinzeninsel Chalki/Heybeli im Marmarameer, die 1971 von den Behörden geschlossen wurde. Die orthodoxe Kirche und Griechenland fordern seit Jahren die Wiederzulassung der Akademie, einst eine der wichtigsten Bildungsstätten der Orthodoxie. Schon damals erklärte Bartholomaios, er lasse sich von seiner Unterstützung für eine EU-Integration der Türkei nicht abbringen.
Aufruhr im September
Datum: 12.10.2004
Quelle: Kipa