Livenet sprach mit dem Initianten Christoph Stückelberger. Der Sozialethiker und frühere BFA-Chef leitet seit kurzem das SEK-Institut für Theologie und Ethik. Livenet: Welche ethischen Normen sind fürs Wirtschaften überhaupt wesentlich? Zu dieser Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Menschen kommt die Umweltorientierung: Wir müssen so wirtschaften, dass es auch langfristig tragfähig und nachhaltig ist. Dies ist heute weitgehend anerkannt, muss aber im Einzelfall immer wieder geprüft werden. Immer mehr kann wirtschaftliche Tätigkeit, namentlich die Produktion, an einen Ort verlagert werden, wo man auf ökologische Folgen nicht Rücksicht nehmen muss. Es gibt natürlich sehr viele finanzielle Zwänge. Der Druck, immer günstiger zu produzieren, ist enorm. Das kann ethisch nicht aufgehen. Wir müssen daher die Spirale des ‚Immer billiger werden Wollens’ durchbrechen. Wir können nicht von den Firmen ethisches Verhalten in Produktion und Entsorgung verlangen und gleichzeitig als Konsumenten immer billigere Produkte wollen. Wir müssen bereit sein, in manchen Fällen faire, das heisst höhere Preise zu bezahlen. 18 statt 17 Franken für ein T-Shirt zu bezahlen, würde den Produzenten etwa in China und Indien eher erlauben, anständige Löhne auszurichten oder das Recycling zu verbessern… Welche ethischen Normen sind nach Ihrer Meinung besonders gefährdet in der globalisierten Wirtschaft? Was sprechen Sie in Davos an? Dann stellen wir zwei Fragen auf politischer Ebene: nach der Rolle der USA und der EU, auch der Schweiz. Welche politischen Rahmenbedingungen schaffen diese Akteure für ethisches Wirtschaften? Sie haben Spitzenleute aus Politik und Wirtschaft auf den Podien. Welches Gewicht haben ihre Aussagen im Open Forum? Zunehmend wird wieder anerkannt, dass Religion die Menschen prägt. Je nach Religion sind die Werte verschieden. Trotz wirtschaftlicher Globalisierung, können Teile der Welt auseinanderdriften, weil die Menschen in verschiedenen Wertsystemen leben. Da haben Wirtschaftsführer in den letzten Jahren – auch schmerzlich – dazugelernt. Sie klammerten diese Dimension aus oder meinten, ökonomische Modelle des Fortschritts ohne sie entwickeln zu können. Plötzlich stellten sie fest, dass für viele Menschen das Religiöse sehr viel wichtiger ist, als sie annahmen. Das führt dazu, dass heute die religiöse Dimension des Lebens stärker einbezogen wird. Gerade vom christlichen Glauben her haben wir Wesentliches beizutragen zu einem menschlichen Gesicht des Wirtschaftens. Wir haben seine Wertmassstäbe immer wieder anzumahnen und daran zu erinnern, dass die Wirtschaft im Dienst des Menschen steht und nicht der Mensch im Dienst der Wirtschaft. Diese Prioritäten sind schon im Neuen Testament deutlich. Die von Menschen gemachten Regelungen müssen dem Menschen dienen und nicht der Mensch anonymen Mächten und Zwängen. Jesus forderte seine Hörer unverblümt auf, Schätze im Himmel zu sammeln. Doch heute handeln Firmen aus dem christlich geprägten Westen nicht weniger materialistisch als etwa indische oder chinesische Firmen… Es genügt nicht, dass Bauch und Speicher voll sind… Das macht uns weniger verkrampft. Wir müssen – das ist auch wirtschaftsethisch relevant – in diesem Leben nicht alles bis aufs Letzte auskosten, weil wir wissen: Dieses Leben ist erst der Anfang eines Weges. Wirtschaften braucht Ethik. Braucht Ethik Religion? Die acht Podien des Open Forum:
Christoph Stückelberger: Die Menschenrechte. Und die Kinderrechte. Im Ganzen geht es darum, dass die Wirtschaft dient – dass sie dem Menschen dient. Wie es auch die Plakate der Bündner reformierten Landeskirche sagen, die aufs Davoser Weltwirtschaftsforum hin ausgehängt wurden. Die Wirtschaft ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern soll den Menschen das geben, was sie zum Leben brauchen.
Da fordert die Wirtschaftsethik – viele Unternehmen handeln entsprechend –, dass Umweltstandards auch in Ländern respektiert werden, wo sie nicht Gesetz sind und ihre Einhaltung nicht kontrolliert wird. Man darf, was in der Schweiz als verwerflich gilt, nicht in anderen Ländern praktizieren. International tätige Firmen sollen ‚Double Standards’ vermeiden.
Ja, es betrifft den Süden, aber auch Produkte aus der Schweiz. Dieses Lohndumping nach unten zerstört sehr oft das ethische Verhalten. Firmen möchten sich ja durchaus ethisch verhalten – ich kenne kaum jemand, der bewusst unethisch handeln will –, aber sie sehen wegen des Preisdrucks keinen Spielraum. Diesen Spielraum müssen wir auch als Konsumenten schaffen helfen.
Wir legen den Finger darauf, wie grosse international tätige Firmen die Menschenrechte achten. Wir sprechen die Frage der Kinderrechte an. Wir fragen, wie Konsumenten und Kapitalgeber ihre Verantwortung wahrnehmen. Sie haben ja eigentlich fast die grösste Macht – oder hätten sie, wenn sie sie wahrnähmen, was oft nicht oder einseitig geschieht. Sie interessieren sich oft nur für den Gewinn ihrer Aktien. Sie sollten fragen, ob mit ihrem Geld ethisch gehandelt wird.
Wenn die CEOs von BP, der grossen Ölfirma, oder von Novartis teilnehmen, ist sehr gewichtig, was sie sagen. Aber wir müssen wachsam sein. Was auf dem Podium gesagt wird, ist oft noch nicht Realität. Auch wir Ethikvertreter fordern manchmal Dinge, die wir nicht schon umsetzen. Also braucht es nachträglich eine kritische Begleitung. Jemand muss nachsehen, wie die Absichtserklärungen umgesetzt werden.
Das ist eine richtige Beobachtung. Es gibt die Integrationstendenzen, vor allem wirtschaftlich, aber auch das Gegenteil, das Streben nach Desintegration, den Wunsch sich von einer Weltgesellschaft abzukoppeln, vor allem kulturell, teilweise auch religiös. Deshalb meine ich, dass wirtschaftliche Globalisierung nur gelingen kann und nur menschenwürdig ist, wenn sie die religiöse und die kulturelle Dimension des Lebens einbezieht.
Die christliche Weltsicht ist eine ganzheitliche. Das materielle Wohl wird sehr ernst genommen. Das Materielle ist nicht abgewertet, sondern Teil von Gottes guter Schöpfung und soll gerecht verteilt werden, so dass ein Leben in Würde möglich ist. Insofern ist das Christentum eine Religion, die der realen Existenz auf der Erde eine hohe Bedeutung beimisst. Aber es relativiert diese Dimension zugleich – sie ist nicht das ganze Leben. Letztlich kann die irdische Existenz das Heil nicht ausmachen; es ist mehr als materieller Wohlstand.
Ja. Ernesto Cardenal hat es einmal sehr schön gesagt: Die Freude auf das Jenseits und auf das Leben nach dem Tod ist nicht eine Flucht aus der Wirklichkeit, sondern ermöglicht im Gegenteil die nötige Gelassenheit und schenkt uns eine Vorfreude. Was wir jetzt erleben, ist nur ein Vorgeschmack dessen, was auf uns zukommt an Geschenk.
Wirtschaftsethik kann verschieden begründet werden, aber gerade theologische Ethik kann wesentlich zur Orientierung der Wirtschaft beitragen. Deshalb vertrete ich ganz ausgesprochen eine theologische Ethik, zwar nicht in Abwertung anderer Ansätze, aber weil ich weiss, dass aus diesem Menschenbild, aus dem christlichen Weltbild, auch aus der Entlastung durch Vergebung, ein menschenwürdiges Wirtschaften entstehen kann.
www.sek-feps.ch/index2.php?idcatside=203&sid=de0acda631920d1d41a321963a6d266e
Übertragung auf dem Informationskanal des Schweizer Fernsehens:
www.sfdrs.ch/system/frames/tv-guide/index.php?tvdate=2005-01-27&channel=3
Datum: 26.01.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch