In erster Instanz hatte das Amtsgericht Alsfeld das Paar überraschend vom Vorwurf frei gesprochen, gegen das Schulgesetz zu verstossen. Der Richter konstatierte eine "Pflichtenkollision" zwischen gesetzlicher Schulpflicht einerseits und starkem Glauben andererseits. Die Angeklagten hätten nach ihrer Überzeugung "zum Besten der Kinder" gehandelt, das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit lasse in diesem Fall eine Bestrafung nicht zu. Prompt legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Jetzt muss das Giessener Landgericht entscheiden und abwägen zwischen Schulpflicht und Glaubensfreiheit. Ihre christlichen Erziehungsgrundsätze wie Schamhaftigkeit, Gehorsam und Liebe zu Gott würden von öffentlichen Schulen "unterwandert", klagte der Angeklagte Michael Bauer. Die Eheleute stören sich besonders an der "unkritischen und ausschliesslichen" Weitergabe der Evolutionstheorie. "Unsere Kinder sollen lernen, dass Gott die Welt erschaffen hat, wie es in der Bibel steht", sagte Bauer. Viel weniger Zeit sollten Schüler nach Ansicht des Angeklagten dagegen mit Sexualkunde verbringen. „Ständig und in allen Fächern“ würden die Kinder in der Schule mit dem Thema Sexualität konfrontiert, sie würden – etwa wegen des Einsatzes von „anzüglicher“ Literatur – regelrecht „zur Zügellosigkeit und Ausschweifung animiert“. „Das sexuelle Verlangen wird in ihnen gewaltsam geweckt.“ Bauer zitierte mehrfach aus Arbeitsblättern und Schulbüchern, die sich etwa mit den Themen Selbstbefriedigung und Menstruation beschäftigen. Weil öffentliche Schulen nach Ansicht des bibeltreuen Elternpaares jedoch diese christlichen Grundsätze „unterwandern“, haben sie ihre fünf schulpflichtigen Kinder von der Schule abgemeldet. Seit mehr als zwei Jahren unterrichten die Eheleute den Nachwuchs zu Hause – und verstossen damit gegen das Schulgesetz. Denn Heimunterricht ist in Deutschland nicht erlaubt. Vor dem Giessener Landgericht begann jetzt die Berufungsverhandlung. Das staatliche Schulamt hatte im Oktober 2001 Strafantrag gegen die Eltern gestellt, weil sie ihre Kinder der Schulpflicht entziehen. Die Kinder sind zwar an der Philadelphia-Schule in Siegen angemeldet – das ist jedoch eine Heimschule nach amerikanischem Vorbild, die staatlich nicht anerkannt ist und lediglich Hilfestellung beim Heimunterricht leistet. Jeden Vormittag unterrichtet daher Mutter Sigrid ihren Nachwuchs in einem kleinen Schulraum in dem alten Bauernhaus, das die Familie in Ehringshausen bewohnt. Die Entscheidung im Giessener Prozess wird für morgen erwartet. Selbst wenn die Eltern verlieren, dürfte das Problem damit nicht vom Tisch sein. Denn sie zeigen keinerlei Bereitschaft, ihren Kurs zu ändern: "Auf keinen Fall" wollten sie die Kinder wieder in öffentlichen Schulen anmelden, denn es gebe für sie "nichts Besseres, als zu Hause unterrichtet zu werden", so Michael Bauer. Ganz allein sind die Bauers mit ihrem Schulboykott nicht: Bundesweit würden etwa 40 bis 80 Kinder aus religiösen Gründen nicht in den Unterricht geschickt, schätzt Andreas Fincke von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. In der Schweiz ist die Rechtslage anders: Homeschooling ist unter gewissen Voraussetzungen möglich. Der „Verein Bildung zu Hause Schweiz“ versteht sich weder als Privatschule noch als Buch- oder Lehrmittelverlag. Vereinsmitglieder pflegen untereinander nach persönlichem Bedarf Kontakte und treffen sich an Veranstaltungen. Der Verein dient als Forum, in dem Informationen und Erfahrungen zusammenfliessen und ausgewertet werden – als Hilfe und Ermutigung für andere. Mehr Infos: www.bildungzuhause.ch oder www.bildungzuhause.ch/deutsch/deutsch.html Aus biblischer Sicht betrachtet, haben die Eltern für die Erziehung zu sorgen. Dazu gehört auch, dass den Kindern neben dem Schulstoff, auch Wertvorstellungen zum Leben in dieser Welt vermitteln muss. Delegieren Eltern den Unterricht an die Schule und damit an den Staat, entbindet sie dies nicht von ihrer Verantwortung, was dort mit ihnen geschieht. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Schulstoff, insbesondere dort, wo religiöse und weltanschauliche Grundhaltungen des Lehrerkörpers von jenen der Eltern abweichen. Dass manche Väter und Mütter oft die dadurch entstehenden Spannungen nicht mehr aushalten und ihre Kinder in eine Privatschule schicken, ist nachvollziehbar. Einzelne nehmen gar die Mühe auf sich, ihre Sprösslinge selbst zu unterrichten, was viele Leute etwas merkwürdig anmutet, bei genauerem Besehen aber durchaus als eine erfolgreiche Alternative zum üblichen Schulwesen zu erkennen ist. Die Qualität der Bildung zu Hause mag sicher von Familie zu Familie etwas unterschiedlich sein. Aber auch in „normalen“ Schulen zeigt die Qualität grosse Unterschiede je nach Klasse und Lehrer. Untersuchungen in den USA und andern Ländern, in denen Homeschooling gang und gäbe ist, weisen Resultate auf, die jenen des staatlichen Bildungsweges standhalten und sie oft gar übertreffen. Quellen: Livenet/dpa/AP/Spiegel/Verein Bildung zu HauseHeimunterricht in Deutschland nicht erlaubt
Verein Bildung zu Hause Schweiz
Homeschooling ebenbürtig oder besser
Datum: 04.11.2003