Mission im Kolonialzeitalter: Licht und Schatten

Francis Omondi

Das 19. Jahrhundert, die grosse Zeit der europäischen Mission, war in meinen Augen ein bedeutendes Zeitalter, und das nicht nur für Europa, sondern auch für alle Länder der Welt, in denen Missionare tätig waren. Die Entschlossenheit der Missionare, den Menschen überall in der Welt das Evangelium zu bringen, wurde weder durch Schwierigkeiten noch durch Krankheiten oder Tod beeinträchtigt. Der englische Missionar Melville Cox, der 1835 nach Liberia kam, kann als typisches Beispiel dafür gelten. Nur vier Monate nach seiner Ankunft wurde er von einem tropischen Fieber erfasst. Kurz vor seinem Tod sagte er: "Mögen auch tausende fallen, wir werden Afrika nicht aufgeben!".

Die Missionare wurden angetrieben von einer schier unglaublichen Hingabe an ihren Herrn, verbunden mit einem starken Wunsch, die Aufgabe zuendezubringen. Sie sahen in der Mission eine Pflicht und eine Verantwortung, deren Erfüllung dringlich war und ganze Konzentration und den Einsatz aller Kräfte verlangte. Die Entbehrungen, die sie auf sich nahmen, sind ein erstaunlicher Ausdruck ihrer Liebe und Opferbereitschaft, um Jesus in aller Welt bekanntzumachen. Diese Liebe zu ihrem Herrn, die auch angesichts von Gefahren und Härte nicht nachliess, hat tiefe Spuren in unserer Geschichte hinterlassen. Für unsere Generation sind sie ein ständiger Ansporn. So wie ich sind viele Christen der Zweidrittel-Welt dankbar für diese Liebe, die uns ins Königreich Gottes gebracht hat.

Licht und Schatten

Aber bei aller Dankbarkeit können die afrikanischen Christen das Erbe der Kolonialzeit nicht ausblenden. Die meisten Missionare des 19. Jahrhunderts versuchten zwar, den Afrikanern gegenüber klarzustellen, dass sie weder zur Kolonialregierung gehörten noch eine Handelsgesellschaft bildeten. Aber in den Augen der Afrikaner waren alle Europäer gleich: sie trugen die gleichen Kleider, lebten den gleichen Lebensstil und pflegten ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Das brachte die Missionare in ein zwiespältiges Licht. Ihre Identifizierung mit der Kolonialregierung hielt viele Afrikaner davon ab, zur Missionsstation zu kommen und die christliche Botschaft anzunehmen. Selbst junge Afrikaner, die ihre Ausbildung auf Missionsschulen erhalten hatten, wurden später zu Nationalisten, die mit scharfen Worten die Zusammenarbeit der Missionare mit dem weissen Herrschaftssystem kritisierten. Einer der schärfsten Kritiker, der Nigerianer Nmadei Azikiwe, meinte einmal: "Die Vertreter der Religion mussten uns lehren, und taten dies auch, keine irdischen Schätze zu sammeln. Das gab den Vertretern der wirtschaftlichen Interessen die Möglichkeit, diese irdischen Schätze an sich zu reissen und dafür zu sorgen, dass sie für den Gebrauch der Industrien der westlichen Welt exportiert werden konnten."

Untersucht man die Motive, die hinter dem System des Kolonialismus standen, lässt sich nachweisen, dass tatsächlich wirtschaftliche Gründe eine grosse Rolle spielten. Von Cecil Rhodes, dem Architekten des britischen Kolonialreiches von Ostafrika, ist ein Ausspruch überliefert, der das bestätigt: "Wir Kolonialpolitiker müssen neues Land beschaffen, um die überzählige Bevölkerung Europas anzusiedeln und um neue Märkte für die Produkte unserer Fabriken und Minen zu erschliessen." Diese und andere Aussagen aus jener Zeit bestätigen, dass die europäischen Mächte Afrika unter sich aufteilten, weil sie Rohstoffe für ihre Industrie und Märkte für ihre Produkte brauchten.

Manche Missionare sahen das allerdings anders. In einer Veröffentlichung der Vereinigten Sudan-Mission aus jener Zeit heisst es: "Imperialismus basiert auf einem göttlichen Auftrag. Er soll den Menschen geistliche, kulturelle, wirtschaftliche und politische Befreiung bringen. Wir sollen die Segnungen der christlich inspirierten Zivilisation des Westens weitergeben an Völker, die unter satanischen Mächten der Unterdrückung, Unwissenheit und Krankheit leiden. Dies kann geschehen durch eine Zusammenfassung aller Kräfte unter einer Regierung, die das Wohl sowohl der europäischen wie der kolonisierten Völker sucht."

Die Missionare sahen das Kolonialsystem also als eine Wohltat an, für die sie sich voll und ganz einsetzten. Ja, sie sahen darin ein göttliches Muss, das ihnen auftrug, Afrika ins Königreich Gottes zu bringen. Dabei sahen sie Mission und Kolonialismus als gleichwertig an. Ihre Erwartung war, dass der christliche Glaube und die Kolonialisierung unter den Afrikanern eine christliche Kultur schaffen würden, so wie es einst die Christianisierung Europas bewirkt hatte. Deshalb können auch heute noch manche Europäer nicht verstehen, warum die Afrikaner die Arbeit der Mission in der Kolonialzeit so negativ sehen. In ihren Augen sollte das ein Segen gewesen sein.

Die heutigen Afrikaner dagegen haben genug gehört und gelesen über die Kolonialzeit, um die Missionare der Zusammenarbeit mit den Kolonialmächten zu beschuldigen und ihnen auch jetzt noch nicht voll zu vertrauen. Aber wenn wir die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit uns heute belasten lassen, dann nehmen wir den Geschwistern in Europa die Motivation, als Missionare in die früheren Kolonien zu kommen. Wäre die heutige Generation der Europäer verantwortlich für den Missbrauch des Missionsauftrags für die Zwecke des Kolonialismus, dann wäre freilich ihre Busse die Voraussetzung für eine Versöhnung und Zusammenarbeit mit den afrikanischen Christen.

Trotzdem - kommt und helft

Ich möchte die Christen in Europa ermutigen in den Fussstapfen ihrer Vorväter auch unter grossen Opfern das Evangelium bis an die Enden der Erde zu tragen. Die Brüder und Schwestern in Afrika spüren auch ihrerseits den Drang des Heiligen Geistes und brechen auf, um das gleiche zu tun. Mögen noch viele Christen in dieser Generation ausziehen, um die Mission Jesu zu erfüllen

Francis Omondi ist Kenianer und leitet eine Missionsorganisation, die "Sheepfold Ministries", in der Kenianer und Kanadier zusammenarbeiten, um vor allem kenianische Moslems zu erreichen.

Quelle: „Mission unter Beschuss“, Hänssler-Verlag 1996. Copyright beim Herausgeber, Andreas Holzhausen.

Datum: 29.11.2003
Autor: Francis Omondi, Kenia
Quelle: Hänssler Verlag

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