Schon die Einleitung wirkt ironisch-salopp, wenn die Autorin Christiane Binder schreibt: "Gott ist echt ein prima Boss, der auch an die jungen Leute denkt. Im Tal von Tavannes, sanft umgeben von den Hügeln des Berner Juras, schuf er nicht nur eine herrliche grüne Wiese. Er liess dort auch den gutherzigen Bauern Belfond anässig werden. Dieser stellte im Sommer 1999 seinem Neffen David Vuilleumier die als Campingplatz genutzte Weide für ein halb privates Openair mit seiner christlichen Amateurband zur Verfügung." Den "Evangelikalen", die das Fest veranstalten, gesteht die Autorin zu, "den Dreh bei der Jugend" zu kennen und ein sicheres Gespür deren Bedürfnisse zu haben. "Der Jungchrist moderner Prägung passt mitten in diese Welt. Gut drauf, gut aussehend, sympathisch - so betet er in Gruppen mit so schicken Namen wie Decapé, NSL (No Spirit Limit), One Way oder J'y crois und macht nicht nur prima Werbung für Gott: Viele der Jugendlichen auf dem Festival würden von Aussehen und Ausstrahlung her auch locker ein "Casting für Jogurt- oder Schokoladenwerbung bestehen". In diesem Stil fährt der Report weiter: In der Tendenz ist er darauf angelegt, die jungen Christen als etwas naiv und realitätsfremd darzustellen. So etwa mit der Passage: "Marc, ein Mennonit, und seine ebenfalls christliche Freundin Annick Christen, sind bisher gut gefahren mit Gott. Null Ärger mit den Eltern, Liebesglück, klare Vorstellungen vom Beruf - was braucht der Christ mehr? Im August wollen beide heiraten, leben aber bereits zusammen - mit dem Okay vom Boss." Die Autorin beobachtet weiter, dass auf dem Gelände kein Alkohol verkauft wird, dass die Organisatoren sich bei der Verpflegung dem allgemeinen Geschmack anpassen und nicht auf Öko-Futter setzen, und dass in der Nacht in den Zelten kaum geknutscht wird. "Alle sind so nett miteinander." Rauchen sei zwar erlaubt, "Aber irgendwie peinlich". Die Jugendlichen kommen ohne Alkohol und Drogen aus: "Der Stoff, der hier dröhnt, kommt aus der Steckdose. ,God is love', grölt der Frontmann wie Johnny Rotten in seinen besten Zeiten, das Publikum ist halb im Dilirium. . "'Wir wollen Gott ein bisschen danken, dass er immer für uns da ist', sagt der Drummer und fügt an, dass er und sein Bandkollege demnächst ihre Freundinnen heiraten werden." Kirchlich heiraten? Zum Schluss übertreibt es die Schreiberin in ihrem Sarkasmus: "Gott, der echt prima Boss, blickt mit Wohlgefallen auf die Jesuskinder von Tannes. Ein Punker in kirchlicher Ehe - dass es so was noch gibt." Eines fällt trotzdem auf: Bei aller Distanziertheit der Autorin gegenüber der evangelischen Jugendkultur übt sie keine Kritik, dass diese sich nicht an ihre Werte und Normen hielten. Sie stellt ihnen damit letztlich ein gutes Zeugnis aus, auch wenn für sie in Tavannes etwas gelaufen ist, das allen gängigen Stereotypen solcher Feste widerspricht: Kein Rausch, kein Suff, keine Sexorgien und kein Schweinestall nach dem Fest. So modern und natürlich und doch so wertorientiert und konservativ! Die Jugendlichen von Tavannes provozierten gute Fragen an ihre Zeitgenossen und wirkten in ihrer neutestamentlich kindlichen Art glaubwürdig. Infos zum "Big Boss Festival": www.bigbossfestival.com Quellen: Livenet/FactsSpöttisch herablassend .
. und doch bewundernd.
Datum: 08.07.2004
Autor: Fritz Imhof