Interview mit Herbert Bodenmann

Umbruch in Nordkorea beginnt

Im Zeitlupentempo verbessern sich die Lebensumstände in Nordkorea. Das christliche Hilfswerk ADRA* trägt bei zu diesen positiven Entwicklungen. Dessen Geschäftsführer Herbert Bodenmann ist von seinem vierten Besuch im Land zurückkehrt und schildert seine Eindrücke.
Herbert Bodenmann, Geschäftsleiter ADRA Schweiz
Feuer unter dem Lastwagen, wenn der Treibstoff einfriert.

Daniel Gerber: Sie besuchten zum vierten Mal ihr Werk in Nordkorea. Was haben Sie angetroffen?
Herbert Bodenmann: Ich stellte fest, dass wir bei den erneuerbaren Energien die führende NGO sind. Ein Mitarbeiter entwickelte nämlich eine winterfeste Biogas-Anlage. So etwas gab es bisher nicht.

Wie viele Hilfswerke arbeiten denn in Nordkorea?
12 oder 13. Mit der neuen Anlage kann auch bei extremen Minustemperaturen ohne zusätzliche Energie der Fäulnisprozess aufrechterhalten werden. Nun haben die EU und die Entwicklungsorganisation der UNO Interesse daran gezeigt und wollen sie ebenfalls bauen.

Dann könnten Sie das patentieren lassen und Ihr Hilfswerk zusätzlich mit Patentgeldern speisen!
Das können wir vergessen. Schon mit ganz kleinen Änderungen könnte man diesen Patentschutz wieder umgehen. Unser Mann vor Ort ist technisch begabt, und es ist die notleidende Bevölkerung, die davon profitiert. Wir sind ein kleines Hilfswerk. Aber wir hoffen die internationalen Organisationen uns bei grossen Projekten mit erneuerbarer Energie miteinbeziehen. Denn wir haben jahrelange Erfahrung im Land.


Sie haben sich auch mit politischen Vertretern getroffen?

Ja, ich hatte gute Kontakte im Aussenministerium. Mit dem zuständigen Beamten für Europa konnte ich über unsere Visa-Probleme sprechen. Auch wenn unsere Organisation inzwischen im Land etabliert ist, erhalten wir nicht ohne weiteres unsere Visa. Wir haben unsere jeweilige Situation dargelegt.

Und nun werden Sie es einfacher haben?

Ich hoffe es, dass es nach diesem guten Kontakt einfacher wird. Das Problem ist folgendes: Wir brauchen ausländisches Personal, um die Projektarbeit im Land weiter aufzubauen. Die Geldgeber finanzieren Projekte nur, wenn sie von ausländischem Personal geleitet und kontrolliert werden. Die nordkoreanischen Behörden wollen uns die Visa aber erst erteilen, wenn die Projekte zugesagt und finanziert sind. Diese beiden Forderungen kommen einander zu stark in die Quere.

Trotzdem kommt die Arbeit gut voran. Wir sind nun vier Ausländer und sechs Einheimische. Ein koreanischer Architekt ist seit kurzem in unserem Team und wird für alle bautechnischen und Beschaffungsfragen zuständig sein.

Während Sie in Nordkorea weilten, sprach man hier von einer – sehr geringen – Öffnung zur Marktwirtschaft. Können Sie das bestätigen?
Es ist sichtbar. Vor einem Jahr standen weniger Kioske an der Strasse, und mittlerweile gibt es sogar eine Markthalle. Die ist vor zwei Monaten aufgegangen. Man kann dort Lebensmittel, Kleider, Radios und Fernsehgeräte kaufen.

Und damit ein südkoreanisches Programm empfangen?
Nein, die Geräte sind weiterhin „plombiert“. Es gibt nur einheimische Programme.


Sie wollen in Pjöngjang einen Tea-Room eröffnen. Wie weit ist dieses Projekt?

Wir haben nun die Räumlichkeiten und bauen diese zu einem Bäckerei-Laden mit angeschlossenem Tea-Room aus. Spätestens im Sommer machen wir auf. Das Ganze soll selbsttragend sein. Der Profit fliesst in die Grossbäckerei, die täglich 41'000 Brötchen für Kindergartenkinder herstellt. Für die einheimischen Angestellten wird der marktwirtschaftliche Ansatz ein interessanter Lernprozess: Sie sind bisher gewohnt, dass alles vom Staat kommt. Nun lernen sie, mit Verantwortung umzugehen. Früher wurde alles einfach für einen entschieden.

Das könnte Euphorie auslösen: wie bei einem Adler, der bisher in einen Käfig gesperrt war und nun fliegen kann. Es sei denn, er hätte das Fliegen verlernt ...
Das Fliegen muss tatsächlich noch gelernt werden. Das Land steht am Anfang eines ähnlichen Prozesses wie China vor 25 Jahren. Ganz oben in der nordkoreanischen Führung ist man eine solche Freiheit eher gewohnt. Sie muss nun von oben nach unten sickern. Das Land ist immer noch sehr abgeschottet. Als Ausländer muss man zum Beispiel bei der Einreise sein Handy abgeben. Reiserouten müssen weiterhin Tage im voraus deklariert und bewilligt werden, und man wird immer von Offiziellen begleitet. Auch die Einheimischen haben keine Reisefreiheit.

Was macht ADRA in zehn Jahren in diesem Land?
Unsere Planung geht nicht soweit. Wir lassen Jahr für Jahr auf uns zukommen. Strategisch limitieren wir uns auf einige Bereiche, in denen wir Erfahrung haben. Bei der Wirtschaftsentwicklung wollen wir helfen und Einzelpersonen mit Kleinstkrediten einen Start ermöglichen. Beibehalten werden wir die Arbeit punkto erneuerbare Energie (Biogas und solare Warmwasserheizung), Nahrungsmittelhilfe und Spitalrenovationen.

Ebenfalls wichtig ist die Hilfe zur Selbsthilfe statt einfach nur Nahrung «herzukarren». Ich denke da an unser Konzept, Dörfer mit einer Biogasanlage, einer Warmwasserheizung auf einem zentralen Duschhaus und einem einfachen Backhaus auszustatten. In Pjöngjang will man zuerst sehen, ob das überhaupt funktioniert. Das Aha-Erlebnis dürfte aber bald kommen.

Mit der Universität der Stadt planen wir die Erstellung einer Biogasanlage in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Das Gas wird aus der Gülle von 7000 Schweinen produziert. Bis jetzt ist die ungenutzt versickert.

Aber bald werden Sie ganze Dörfer damit ausrüsten ...
Kommt eben noch die Geldfrage dazu. Von der UNO und der EU kommt für dieses Projekt noch keine Finanzierung. Dafür schauen sie bei uns vorbei, um zu fragen, wie die Biogas-Anlage technisch funktioniert...

Es kann aber sein, dass sich Deutschland engagiert. Ullrich Kasparick, ein Bundesparlamentarier, hat unsere Haushalt-Biogas-Anlage in der Provinz gesehen und findet sie sehr gut.

Nordkorea ist eines der verschlossensten Länder überhaupt. Wie ist Ihr Werk da überhaupt reingekommen?
Das wissen wir bis heute nicht. Es ist ganz einfach so, dass uns die nordkoreanische Botschaft in Bern gebeten hat, in ihrem Land zu helfen. Jetzt sind wir seit 1999 dort. Ausserdem ist auch Campus für Christus im Land. Wir haben aber bis heute keine Erklärung, warum ausgerechnet zwei christliche Hilfswerke angefragt wurden.


ADRA ist das Hilfswerk der (internationalen) adventistischen Kirche. Die Abkürzung steht für «Adventist Development and Relief Agency». Einer der Schwerpunkte von ADRA Schweiz liegt im Aufbau und der Begleitung sozialer Programme in Asien. Die Arbeit des Werks, das sich auch in der Katastrophenhilfe engagiert, begann 1890 in den Slums der amerikanischen Stadt Chicago.


Internet: www.adra.ch

ADRA ansonsten in Nordkorea: In der Stadt Nampo wurde Anfang Jahr ein Waisenhaus fertig gebaut. Eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität für die Kinder. *** Das Gleiche gilt für das Kinderspital und das Waisenhaus in Sariwon. Behandelte Wunden bleiben nun ohne die sonst übliche Infektion. In diesem Spital wird ebenfalls eine Biogas-Anlage installiert. *** Das neu gestartete Projekt für Vollkornbiskuit dient der besseren Ernährung der Kinder im gebeutelten Norden. Die Vitaminversorgung wird deutlich gesteigert.


Artikel zum Thema:

Norkorea: „Die Nächstenliebe wird einzig in der Tat sichtbar“

Datum: 14.04.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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