Das moderne Israel wurde von Zionisten aufgebaut, doch wanderten auch viele religiöse Juden ein, die mit dem neuen säkularen Staat nichts am Hut hatten. Vielmehr waren sie darauf aus, ihre traditionelle weltabgewandte Frömmigkeit zu pflegen, die ums Studium des Gesetzes und der jüdischen Tradition kreist. Die ultra-orthodoxen Juden, in Israel Haredi genannt, sind an ihrer eigenartigen Tracht zu erkennen. Sie leben abgesondert, haben regelmässig sehr grosse Familien und ihre eigenen Schulen – und diese Schulen führen ein Eigenleben, das jenen sauer aufstösst, die den Staat als Staat aller Juden gestalten wollen. Vor vier Jahren verpflichtete das Oberste Gericht des Landes das Erziehungsministerium, allen Schulen einen minimalen Lehrstoffumfang vorzugeben. Denn jenen Männer und Frauen, die das Haredi-Milieu verlassen und wie andere Israelis leben wollen, fehlen grundlegende Fähigkeiten, um sich zurechtzufinden, beruflich weiterzubilden und eine selbständige Existenz aufzubauen – eine direkte Folge der mangelnden Schulbildung. Laut einem Editorial in der Zeitung ‚Haaretz’ haben die expandierenden Haredi-Schulen wie auch die erstarkten politischen Parteien der Haredi (Shas!) die ultra-orthodoxen Schüler „weiter und weiter weggestossen von lebenswichtigen modernen Quellen des Wissens und trennende Mauern zwischen ihnen und dem Rest der israelischen Gesellschaft aufgerichtet“. Die Haredi-Führer, auf brave Gefolgschaft erpicht, suchen ihre Leute von den Versuchungen der modernen Gesellschaft abzuschotten, was wegen der neuen Medien immer weniger gelingt. Die Kinder gehen zur Schule, ohne danach in die Wirtschaft eingegliedert zu werden, was ein dramatisches gesellschaftliches Problem erzeugt. Dabei kann die aufgeblasene Schüler- und Studentenzahl (es gilt als wahre Bestimmung der jungen Männer, das Gesetz des Mose und den unübersehbaren Berg der Auslegungsliteratur zu studieren; vom Armeedienst sind sie befreit) nur mit hohen staatlichen Zuwendungen aufrechterhalten werden. Dem Staat, der dafür einen vernünftigen, aufs Leben vorbereitenden Unterricht fordert, zeigen die Haredi-Führer indes die kalte Schulter. Die säkular eingestellte Linksregierung unter Ehud Barak machte Englisch, Mathematik, Naturkunde und Turnen obligatorisch für alle Schüler. Die amtierende Regierung Sharon schrieb ihnen Anfang Jahr ein Kern-Curriculum mit einer Minimalstundenzahl in Bibelunterricht, Staatskunde, Hebräisch oder Arabisch, Englisch, Mathematik, Naturkunde, Turnen und künstlerischem Gestalten vor. Dabei gestand man den Haredi-Schulen zu, bloss drei Viertel dieser Stunden (oder noch weniger) zu unterrichten. Und: Englisch wurde nicht vorgeschrieben. Für die liberale Zeitung ‚Haaretz’ ist die Sache klar: „Jeder Bürger muss gewisse Kernfächer kennen. Wenn das unabhängige Haredi-Schulsystem staatliche Gelder will, muss es das Kerncurriculum für seine Schulen annehmen.“ Während die Schulen der sefardischen (durch orientalische Kultur geprägten) Juden sich angeblich an das Kerncurriculum halten, verweigern sich die Aschkenasim (Ultra-Orthodoxe mit europäischen Wurzeln) diesen Vorgaben. Eine Aufforderung des Erziehungsministeriums im August 2002, sich schriftlich auf die Minimalanforderungen zu verpflichten, unterzeichneten viele Schulleiter nicht – und erhielten doch weiter staatliche Gelder. Nun haben zwei führende Haredi-Rabbiner, Josef Shalom Eliashiv und Aharon Steinmann, in einer Weisung klar gemacht, dass sie gar keine staatliche Kontrolle einzelner Schulen mehr zulassen wollen. Ihr Wort gilt ihrer Gefolgschaft viel mehr als ein Schreiben des Ministeriums… Aktuelles zum Palästinenserkonflikt:Von Beginn an eine Kluft
‚Weggestossen von den Quellen des Wissens’
Ohne Aussicht auf Erfolg: Kampf gegen die ModerneViel Mose – kein Englisch
Ohrfeige fürs Ministerium
http://www.livenet.ch/www/index.php/D/article/187/11594
Datum: 11.12.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch