Sollen Ärzte auch Todesengel sein?

Spitalbett
Krankenbett

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) will in ihren Richtlinien Ärzten erlauben, sterbenswilligen Patienten den Giftbecher bereit zu stellen. Ein Fortschritt für die medizinische Betreuung oder ein Zwischenschritt zur ärzlichen Todesspritze? Wir haben eine profilierte Medizinethikerin gebeten, dazu Stellung zu nehmen.

Obwohl es sich bei den neuen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) erst um einen Entwurf handelt, der in die Vernehmlassung geht, wird er in den Medien bereits gefeiert. „Ein mutiger und begrüssenswerter Schritt“, kommentiert der Tages-Anzeiger. Dass Ärzte in der letzten Lebensphase Beihilfe zum Suizid leisten dürften, entlaste das Gewissen von Ärzten und entkrampfe das Verhältnis zu den Sterbehilfeorganisationen. Man müsse schliesslich davon ausgehen, dass schon heute Ärzte in 0.7 Prozent der Sterbefälle nicht nur Suizidhilfe, sondern aktive Sterbehilfe leisteten.

Die NZZ sieht hinter den neuen Richtlinien nur eine „sanfte Renovation“. Auch die SAMW selbst versucht zu relativieren. Sie hält fest, dass Suizidhilfe nicht zur eigentlichen ärztlichen Tätigkeit gehöre. Möglich ist die neue Richtlinie, weil in der Schweiz – sie ist damit ein Sonderfall – Beihilfe zum Selbstmord nicht bestraft wird, es sei denn, dass sie aus eigennützigen Motiven geschieht.

Doch die Frage steht im Raum: Stösst die SAMW mit ihren neuen Richtlinien nicht eine Türe auf, die schliesslich zum Tod auf Verlangen in unterschiedlichsten Lebenslagen führen könnte, zur aktiven Sterbehilfe, an der letztlich auch Angehörige eines schwerkranken Menschen der kostspielig am Leben erhalten wird, Interesse haben könnten? Und der Staat mit seinen knappen Mitteln? Die renommierte Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle sieht jedenfalls Probleme:

„Gesamtgesellschaftlich erhält die Suizidbeihilfe einen neuen Stellenwert: Sie wird gesellschaftlich nicht nur toleriert, sondern sie wird zum Angebot“, stellt sie in einem Kommentar für Livenet fest. Dies bedeute aber, dass „leidende Menschen letztendlich rechtfertigungspflichtig werden, welche Suizidbeihilfe nicht in Anspruch nehmen wollen.“ Die SAMW berufe sich dabei auf die Patientenautonomie. Sie blende aber den gegenwärtigen gesellschaftliche Kontext aus. Ruth Baumann-Hölzle ist daher skeptisch: „Ob es sinnvoll ist, in einer Zeit sogenannt ‚knapper Ressourcen im Gesundheitswesen’ und in Anbetracht der enormen Herausforderung durch eine veränderte Alterstruktur in der Gesellschaft dieses Zeichen zu setzen, sei zumindest dahingestellt.“ Entsteht da nicht ein Druck, das teure Krankenbett rechtzeitig zu räumen? Ruth Baumann-Hölzle drückt sich etwas eleganter aus: Der „Wunsch des Staates, Bürger zu haben, die dem Staat möglichst wenig zur Last fallen“, könne sich „zunehmend in unheimlicher Zwangslosigkeit in Form von sogenannt ‚privaten Wünschen’ durchsetzen“.

Sie betont, die Suizidhilfe sei nicht nur eine private Angelegenheit, sondern von öffentlichem Interesse. Es gehe letztlich um die Frage des menschlichen Zusammenlebens. Da die Öffentlichkeit gerade nicht wahrnehme, dass die SAMW die ärzliche Suizidhilfe aus der ärzlichen Verantwortung ausklammere, werde es dazu kommen, dass man vom Arzt und der Ärztin die Suizidhilfe regelrecht einfordere. „Diejenigen Ärzte, welche nicht dazu bereit sind, müssen sich neu rechtfertigen“, fürchtet Ruth Baumann-Hölzle.

Sie weist auch auf das Problem der Entscheidungsgefugnis hin. Der gleiche Arzt, der sich als Suizidhelfer betätigen solle, müsse auch selbst prüfen, ob die Voraussetzungen dazu gegeben seien. Ob der todeswillige Patient eine qualitativ gute pallitative Pflege erhalten habe und ob das Gespräch über das nahe Sterben nach den Regeln der Kunst geführt worden sei, müsse dieser Arzt beurteilen. Er werde damit zum Richter in eigener Sache. Dies sei bedenklich, weil gerade eine ungenügende palliative (schmerzlindernde) Pflege zum Todeswunsch führen könne. Ausserdem seien die Ärzte in der Gesprächsführung kaum ausgebildet. Ein Probleme stelle sich schliesslich, was geschehen solle, wenn die Suizidhilfe nicht gelinge, was öfters vorkomme.

Website: www.dialog-ethik.ch

Livenet-Bericht über die neuen SAMW-Richtlinien: www.livenet.ch/www/index.php/D/article/188/12538

Quelle: Dialog Ethik/ Livenet

Datum: 10.02.2004
Autor: Fritz Imhof

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