Ein Herzfehler und die Folgen

Julia Schnizleins besonderer Weg zur Kanzel

Die Theologin und Journalistin schrieb 14 Jahre lang für die Presse. Als klar war, dass ihre zweite Tochter mit einem schweren Herzfehler zur Welt kommen würde, entschied sie sich für die Kanzel. Als Pfarrerin in Wien ist sie bekannt für ihre herausfordernd-persönlichen Statements, zum Beispiel als «Sinnfluencerin» bei Instagram.
Julia Schnizlein: Der Herzfehler ihrer Tochter bewegte sie zum Gang auf die Kanzel (Bild: Instagram)
Als Pfarrerin stellte sich die erwünschte Tiefe im Leben ein.

Beim Instagram-Kanal juliaandthechurch lächelt Julia Schnizlein ihre Besucher freundlich an. Sie ist eine der «Sinnfluencerinnen» der evangelischen Kirche und verbindet für ein wachsendes Publikum Glaube, Pfarramt und persönliches Leben miteinander. Dabei hätte sie es sich lange nicht vorstellen können, einmal auf der Kanzel zu stehen…

Ausgeträumter Jugendtraum

Julia Schnizlein erzählt, dass sie eigentlich von Kind auf Pfarrerin werden wollte. Folgerichtig studierte die gebürtige Nürnbergerin Theologie in Heidelberg und Amsterdam. Doch mit 25 fühlte sie sich noch zu jung für die Arbeit als Pfarrerin – eine gewisse Entfremdung klingt dabei mit. So arbeitete sie zunächst im Deutschen Bundestag und dann beim damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau und entdeckte dort ihre Leidenschaft für die Pressearbeit. Sie sattelte ein Masterstudium auf, und arbeitete anschliessend 14 Jahre lang als Journalistin bei der Österreichischen Presseagentur APA und dem Magazin «News».

Sie heiratete, war ausgefüllt mit ihrer Arbeit, lebt in einer Patchworkfamilie. Doch dann kam der Moment, als sie mit ihrer zweiten Tochter schwanger war und zum Organscreening ging. Dort hörte sie das, was keine werdende Mutter jemals hören möchte: «Das Herz Ihrer Tochter ist schwer geschädigt. Damit steht Ihnen die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs offen…»

Die Familie entscheidet sich für das Kind. Für viel Freude. Und für viele Probleme und Operationen. Diese Krisenzeit löste bei der Journalistin ein neues Fragen aus.

Sehnsucht nach Tiefe

Ihre Arbeit machte ihr zwar weiterhin Freude, doch jetzt wollte sie mehr. Im Interview mit einer ehemaligen Kollegin erklärte sie, dass diese Situation alles auf den Kopf gestellt hätte. Sie bekam eine neue Sehnsucht nach Sinn und Tiefe. Sie fand neuen Halt an der Hand Gottes, der ihr wieder ganz nahekam. Aus dieser Zeit erzählt sie: Das «hat mich wieder auf das zurückgeworfen, was wichtig ist im Leben. Auf das, was uns trägt: Das Grundvertrauen in unseren Schöpfer. Sein Ja zu uns. Der Glauben daran, dass er uns begleitet und dass er uns hält. Selbst dann, wenn er uns unheimlich weit weg zu sein scheint.» Und sie wollte auch andere Menschen in ihren existenziellen Nöten begleiten.

So machte Julia Schnizlein ihr Vikariat und arbeitet seitdem als Pfarrerin in der Lutherischen Stadtkirche in Wien. Sie hatte sich die Aufgabe zwar etwas weniger stressig vorgestellt, doch die erwünschte Tiefe im Leben stellte sich tatsächlich ein. In der Kirche hat sie ein echtes Zuhause gefunden, das sie auch anderen Menschen anbieten möchte, doch was ist mit denen, die dorthin nicht kommen wollen oder können? Im Religionsunterricht begegnet sie Schülerinnen und Schülern, mit denen sie die existenziellen Fragen des Lebens bespricht. Und sie weiss, dass der Religionspädagoge Michael Meyer-Blank recht hat, wenn er feststellt: «Bildung ohne Religion ist unvollständig, Religion ohne Bildung ist gefährlich.»

Zusätzlich engagiert sie sich für die «digitale Kirche». Seit 2018 ist sie Teil des evangelischen Contennetzwerks «Yeet» und postet dort regelmässig Persönliches, Gläubiges und Hintergründiges.

Persönliche Betroffenheit trifft

Instagram und die sozialen Medien sind eher für oberflächliche Inhalte bekannt. Und der Kirche bzw. dem Glauben an Gott kann man sich scheinbar leicht zuwenden, wenn es einem gut geht. Beides stimmt nicht. Schon gar nicht bei Julia Schnizlein, die sich dort mit den Hochs und Tiefs ihres Lebens und Glaubens transparent macht. Und deren persönlicher Glaube zum Mitglauben einlädt.

Ihrer herzkranken Tochter geht es gut, auch wenn sie noch einen langen Weg vor sich hat und nie einfach gesund sein wird. Zur naheliegenden Frage an Gott nach dem Warum teilte sie in den Social Media eine Geschichte (hier ein Auszug): «'Dieser Mutter gebe ich ein krankes Kind', sagte Gott. Und der Engel fragt: 'Warum gerade ihr, oh Herr? Sie ist doch so glücklich.' 'Eben deswegen', sagt Gott lächelnd. 'Kann ich einem kranken Kind eine Mutter geben, die das Lachen nicht kennt? Das wäre grausam.'»

Julia Schnizlein fasst es für sich so zusammen: «Niemand hat eine Garantie für ein glückliches, unkompliziertes, gesundes Leben – aber jeder hat die Chance, Glück zu finden, wo man es nicht vermutet.»

Zum Thema:
Ein Herz für Kinder: Und dann fand er seine Lebensberufung
Rückblick auf schwierige Zeiten: «Unser Kind darf leben!»
Vom Häftling zum Pastor: «Ich dachte, mein Leben sei vorbei»

Datum: 28.06.2021
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung