Blaubeeren und Bibel

Die Killing Fields hatten nicht das letzte Wort

Bereits stand Sovanna Soeung, die Mutter von SreyRam Kuy (Bild), vor dem Beamten, der die Hinrichtung absegnen sollte. Doch sie entkam den Schergen der Roten Khmer. Dies war der Anfang einer Reise durch die Wirren des kambodschanischen Genozids. SreyRam Kuy blickt auf die bewegte Geschichte ihrer Familie zurück.
SreyRam Kuy floh mit ihrer Familie von Kambodscha in die USA.
Die Familie von SreyRam Kuy flüchtete wöhrend des Genozids von Pol Pot aus Kambodscha.

Die Rote Khmer war daran, alle gebildeten Menschen in Kambodscha zu ermorden. Eines Tages, anno 1978, wurde Sovanna Soeung abgeführt, die einst als Lehrerin gearbeitet hatte. Doch als sie vor dem Beamten sass, bat sie nicht um ihr Leben sondern fragte, ob sie eine Geschichte erzählen dürfe. Dieser willigte verdutzt ein. So erzählte sie von einem treuen Wachhund. In einem Dorf seien die Bewohner ausgetrickst worden, indem man ihnen eintrichterte, es sei ein Hase gewesen. Die Bewohner knüppelten ihn zu Tode. «Das ist auch meine Geschichte. Ich war nie eine Lehrerin. Ich kann nicht lesen. Ich kann nicht einmal meinen Namen schreiben.» Sie durfte gehen. Ein Wunder, denn wer von den Schergen von Pol Pot abgeholt wurde, kam nicht zurück.

Eine erste Berührung

Die Eltern der Ärztin SreyRam Kuy verliessen zusammen mit ihren Kindern als Flüchtlinge Kambodscha und die Killing Fields der Roten Khmer. Ihre Courage und Stärke hielten sie während dem Genozid von Pol Pot auf Kurs. Sie trekkten durch einen Dschungel, der mit Landminen präpariert war und überlebten die Leiden von Flüchtlingslagern. Später gelangte die Familie in die USA.

Noch im Flüchtlingslager erholte sich Mutter von einer Operation und dem Trauma, nach einer Explosion. Eine christliche Gruppe kam ins Lazarett und betete. Zu diesem Zeitpunkt kannte sie den christlichen Glauben noch nicht und wusste nicht, was geschah – doch sie wurde übernatürlich geheilt. SreyRam: «Sie fühlte ein Aufwallen der Kraft, wie sie es nie zuvor erlebt hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich immer zu schwach zum Gehen gefühlt. Nach dem Gebet konnte sie erstmals wieder laufen.»

Ein dickköpfiges Kind

Später half eine christliche Gruppierung der Familie, in die USA einzureisen und ein neues Leben beginnen zu können. Rams Schwester SreyReath: «Wir erlebten die Gräueltaten in den Killing Fields. Doch wir erlebten auch die aussergewöhnlichen menschlichen Hilfeleistungen, durch die Gott durch seine Nachfolger scheint.» Warum gerade ihnen geholfen wurde, wüssten sie nicht, «es waren Millionen, die starben und tausende die während Jahren in den Camps warteten. Was ich weiss, ist, dass wir durch die Güte von Menschen die Belege Gottes in unserem Leben gesehen haben.»

Die Familie fand selbst zu Gott, dies sei eine Reise gewesen und nicht über Nacht geschehen, erinnert sich SreyRam Kuy. «Einige Leute pflanzten die ersten Samen, andere bewässerten und völlig andere Leute sahen die ersten Früchte des Glaubens.»

Blicken wir zurück, in die Jugendzeit – als die Mutter von SreyRam und SreyReath in den 1950ern noch jung war, war sie ein dickköpfiges Kind. «Sie träumte davon, sich zu bilden und Lehrerin zu werden. Doch ihre rebellische Natur widersprach der kulturellen Norm. Zudem war ihr Vater der Meinung, dass Frauen nicht geschult werden sollten, dies würde sie nur hochnäsig und aufmüpfig gegenüber ihren Männern machen.» Doch sie ging ihren Weg und wurde Lehrerin.

Traum endet jäh

Doch gerade als Mutter ihren Traum zu leben begann, wurde die Nation von der politischen Krise getroffen. Nachdem der blutige Krieg gegen die Kommunisten verloren war, übernahm die Rote Khmer ihre Schreckensherrschaft. SreyReath: «Unter anderem wollte Pol Pot alle gebildeten Bürger umbringen lassen. Systematisch wurden Lehrer, Ärzte, Musiker, Künstler und frühere Regierungsoffizielle ermordet. Im kambodschanischen Genozid starben zwei Millionen Menschen.»

«Nach der harten Arbeit musste Mutter nun ihre Identität verbergen – und mein Vater auch, denn er hatte für die vorherige Regierung gearbeitet.» Manche, die nicht von der Roten Khmer aufgegriffen wurden, nahmen sich das Leben, um dem Horror zu entkommen. «Doch Mutter weigerte sich hartnäckig aufzugeben. Im Dschungel fürchtete sie sich nicht davor, womöglich Tigern zu begegnen, um Nahrung für uns zu finden.»

Herz der Tigerin

Vermutlich habe auch Mama manchmal Angst gehabt, sagt SreyRam. «Wer hätte dies inmitten eines Genozides nicht? Doch sie liess die Furcht nicht gewinnen. Meine Mutter hatte das Herz einer Tigerin.»

Vier Jahre des Roten-Khmer-Regimes hatte die Familie überlebt, dann entkam sie der taumelnden Nation. «Wir verbrachten eineinhalb Jahre in vier verschiedenen Camps für kambodschanische Flüchtlinge, bis wir durch eine christliche Organisation US-Visen erhielten.»

In den Staaten angekommen, arbeitete Mutter als Hauswart in einem Spital und erledigte daneben noch Putzarbeiten für Doktoren und Professoren. Die Kinder arbeiteten als Migrantenfarmarbeiter auf den Feldern. «Und an den Sonntagen gingen wir in die Kirche. Wir verstanden die Sprache noch kaum und wussten noch nicht viel über den christlichen Glauben.»

Blaubeeren und Bibel

An einem Sommer sprach das Mädchen, das auf der Farm neben SreyRam Blaubeeren pflückte, über die Bibel. Sie erwähnte, dass sie täglich darin liest. «Ich weiss nicht, weshalb, doch ich ging nach Hause und begann ebenfalls zu lesen. Mit der Zeit las ich in unserer Familie am Abend die Geschichten vor.»

Ein paar Jahre später sprach Gott zu Mutter. Sie war gerade auf den Knien bei Putzarbeiten, als sie spürte, dass er ihr mitteilt: «Es ist Zeit, getauft zu werden.» Sie wusste nicht, was das bedeutet und wie das getan wird.

Kurz darauf wurde genau dies von einem Pastoren angesprochen. «Ein paar Monate später waren wir alle getauft und unser Leben war nicht mehr dasselbe wie zuvor.»

Sie wisse nicht, warum sie gerettet worden sei, während zwei Millionen auf den Killing Fields und tausende auf ihrer Flucht durch eine der vier bis sechs Millionen Landminen gestorben sind. «Doch aus einem Grund wurde ich auf diesem Blaubeeren-Feld herausgepflückt.» Heute lebe sie nicht mehr in Angst, sondern wolle den Menschen, denen sie begegnet, mit den Gaben dienen, die sie von Gott erhalten hat.

Mutter und die beiden Töchter haben mittlerweile Kambodscha wieder besucht. Unter anderem brachten sie 900 Bibeln in kambodschanischer Sprache ins Land. Im Alter von 70 Jahren habe Mutter eine abgebröckelte Kirche wieder aufgebaut, Gottesdienste geleitet und ihre Lebensgeschichte erzählt.

Zum Thema:
Kambodscha: LaPel vor dem Mörder: «Ich liebe dich und vergebe dir»
KHMERcedes: Glaubensgrundkurs gibt Kambodscha Schub
Kambodscha: Auf der Flucht vor der Mutter und den Roten Khmer

Datum: 05.07.2015
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet / BCN

Werbung
Livenet Service
Werbung