Dabei zeige das Grammatikbuch, dass die Sprache der Kulina sehr schön ist: «Sie ist alles andere als primitiv», sagt Tiss. Gemeinsam mit den Indianern hat er deren Land vermessen und kartiert, um Ansprüche zu sichern. Ehefrau Christiane ist, gefördert von der evangelischen Hilfsaktion «Brot für die Welt», als Ärztin in Amazonien tätig. Mit seinen drei Kindern lebt das Paar in Eirunepé, einem abgelegenen Ort im Südwesten des Bundesstaates Amazonas, der nur per Flugzeug oder Schiff zu erreichen ist. «Wir wollen als Verbündete mit den Kulina für deren Rechte kämpfen», sagt Tiss. Jahrhunderte der Verfolgung, Ausbeutung und Herabsetzung hätten dazu geführt, dass andere Indianervölker aus Minderwertigkeitsgefühl ihre Sprache und Kultur aufgegeben hätten. Die Anerkennung, die sie sich dadurch erhofften, gab es laut Tiss nicht, aber der Verlust ist da: «Wenn eine Sprache von nur einer Generation nicht mehr gesprochen wird, bleibt sie verloren.» Christiane Tiss bezieht auch bei der Gesundheitsvorsorge die Kulina mit ein. Gemeinsam haben sie Sandfilter installiert, die Flusswasser reinigen. Anderswo würden Brunnen für Trinkwasser gebaut, sagt ihr Mann: «Manche Brunnen haben nur drei Monate gehalten, und niemand konnte sie reparieren.» Die Filter dagegen hätten den Vorteil, dass die Dorfbewohner sie warten könnten. Für das System interessiere sich jetzt auch das brasilianische Gesundheitsministerium. Seit zwölf Jahren setzt sich Tiss als von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) entsandter Pastor für die Kulina ein. Jetzt ist das Programm der EKD und einer der lutherischen Kirchen Brasiliens ausgelaufen. Damit der Missionar seine Arbeit fortsetzen kann, bittet jetzt das Evangelisch-lutherische Missionswerk in Hermannsburg im Kreis Celle um Spenden. Dass die Kulina Sprache und Kultur bewahrt haben, sei fast ein Wunder, sagt der Pastor. Vor rund 150 Jahren wurde in ihren Wäldern Naturkautschuk entdeckt. Siedler kamen und förderten das damals begehrte Rohmaterial. «Die Kulina wurden zur Arbeit herangezogen, ihre auf Gemeinschaft ausgerichtete Sozialstruktur löste sich auf, und sie lebten wie Sklaven», weiss Tiss. Doch dann gründeten sie neue Dorfgemeinschaften, die den Niedergang der Kautschukgewinnung überdauerten. Auch heute kommen Eindringlinge in das angestammte Land der Kulina. «Es sind zum Beispiel professionelle Fischer und kleinere Holzfirmen», sagt Tiss. Zusammen mit den Indianern will er Strategien gegen die Landräuber entwickeln: «Einen einfachen Weg gibt es nicht, aber die Kulina haben eine ausgeprägte Kultur der Lösungsfindung.» „Eine etablierte christliche Kulina-Gemeinde gibt es nicht“, so Missionar Frank Tiss, "auch halte ich keine sonntäglichen Predigten. Dennoch, glaube ich, bin ich ihnen Pastor geworden. Jedenfalls bezeichnen mich viele als ihren Kakawadé: das ist einer, der sich um etwas oder jemanden kümmert; einer, der aufmerksam ist für Bedürfnisse. In Bezug auf Tiere ist er ein Hirte, lateinisch „Pastor“. Das Reden über den Glauben beginnt bei Tiss auf dem aus Palmrinde gefertigten Fussboden einer Hütte, oft in einer grösseren Runde. „Wir befragen uns gegenseitig, antworten, erzählen. Ich versuche, ganz ehrlich zu sein, nichts zu glätten, was sie als unstimmig am gelebten Christentum wahrnehmen. Ebenso scheinen auch sie sehr offen zu sein. Im hier populären Christentum kommt viel Christus, der gekreuzigte und auferstandene, aber fast nie Jesus, der Mensch aus Nazareth, vor. Ich erzähle gern, wie er mit Armen und am Rande ihrer Gesellschaft Stehenden umgegangen ist.“ Dafür erntet er oft Staunen: „Dieser Jesus ist doch bei den Reichen in der Stadt!“ Jesus, ein Freund der Armen – das ist „Frohe Botschaft“, die die Kulina durch das gemeinsame Leben mit Familie Tiss erleben.
Datum: 08.08.2006Für die Rechte der Indianer kämpfen
Praktische Hilfe
Versklavt
Dialog auf der Palmrinde
Quelle: Epd
Frank Tiss hat alles andere als einen Bestseller geschrieben. Der Pastor, im niedersächsischen Hermannsburg bei Celle ausgebildet, verfasste ein Grammatikbuch für die Sprache «Madiha» der Kulina-Indianer. Das Volk im Amazonasgebiet in Brasilien zählt nach Schätzungen höchstens 4000 Menschen. «Ausser ihnen können weltweit vielleicht 25 Menschen diese Sprache sprechen», sagt der 40-Jährige, der als Missionar die Ureinwohner unterstützt.