Beni Khalil soll anstecken

Aufbruch in christlichen Dörfern in Ägypten

Beni Khalil und Beni Bakheet waren unwirtliche Dörfer ohne fliessendes Wasser und Strom. Auf die Mädchen warteten Beschneidung und Frühheirat. Das hat sich inzwischen geändert dank einer engagierten Ordensfrau mit einem Schweizer Werk im Rücken.
Schwester Agapie und Esther Schaad
Mit eindeutigen Schriften klären engagierte Ägypter auf über die brutalen Mädchenbeschneidungen.
Schwester Agapie im Livenet.ch-Interview.
Ansprechend gestaltete Hefte heben das Bildungsniveau der Landbevölkerung.

«In dieser Gesellschaft muss man stark sein, um zu überleben», sagt Schwester Agapie. Sie spricht leise, aber bestimmt. «Ist man schwach, wird man überrannt.» Anschauungsunterricht hat sie im Herzen Ägyptens erhalten, in den beiden christlichen Dörfern Beni Khalil und Beni Bakheet.

Es sind arme Dörfer. Ein Grund dafür ist, dass sie mehrheitlich christlich seien. Im mehrheitlich islamischen Ägypten würden sie deshalb übergangen, wenn fliessendes Wasser, Elektrizität oder Latrinen eingerichtet werden. «Diese beiden Ortschaften existieren auf der ägyptischen Landkarte gar nicht», bemängelt die umtriebige Ordensfrau.

Am Rand des Abgrunds

In Beni Khalil habe es weder Schule noch Gesundheitssystem gegeben. Die Menschen seien arm gewesen und hätten kaum genug Getreide gehabt, um Brot zu backen. «Die Frauen trugen eine grosse Verantwortung, waren aber aus der Gesellschaft ausgeschlossen, auch weil man ihnen den Besuch einer Schule verwehrt hatte.»

Schwester Agapie packte sie an. Das war im Jahr 2000. Heute dürfen die Mädchen in die Schule, und die Frauen hätten nun eine Ausbildung erhalten. «Sie können jetzt lesen, und im Gegensatz zu früher haben sie nun auch einen Pass», erzählt Schwester Agapie. Heute würden diese Frauen zu den Leitern des Dorfes gehören und können teilweise auch ihre Familien selber ernähren. Sie haben eine Identität erhalten.

Der Ruck

Mit Hilfe des Schweizer Menschenrechts-Werks «Christian Solidarity International» (CSI) konnte Schwester Agapie das Dorf mit einem Programm beistehen. Eine Schule wurde errichtet, Wasser und Strom organisiert. Jahrelang hatte man den Bewohnern eingeimpft, wie wenig sie angeblich wert seien. Doch mit einem Mal ging ein Ruck durch die Gesellschaft.

«80 Kinder konnten nun plötzlich in die Schule», blickt die emsige Schwester zurück. Und der Hunger sei nun auch nicht mehr Dauergast am Tisch: «Das Volk setzt nun andere Pflanzen. Daraus wird nun ein Brot gebacken, das zur Grundnahrung gehört.»

Die Beschneidungs-Lüge

«Mädchenbeschneidung ist das härteste Thema in unserem Land.» Schwester Agapie ist Vorsitzende des Komitees «Care for Girls». Sie klagt an: «Man sagt den Mädchen, wenn sie beschnitten seien, würden viele sie heiraten wollen. Wenn nicht, würden sie keinen Mann finden. In Aufklärungskampagnen zeigen wir ein Video, in dem Mädchen in einem anderen afrikanischen Land beschnitten werden.»

Es habe dann ausgesehen, als würde der Mann die jungen Frauen schlachten. Etwa zehn Mädchen sassen im Halbkreis, um sich den Film anzuschauen. «Statt zu schreien lachten die Mädchen hysterisch – gepeinigt vom Schmerz.»

Das Gesetz in Ägypten verbiete die Mädchenbeschneidung. Wer es trotzdem tut, kann im Gefängnis landen. Pastoren und Imame sagen, Beschneiden gehöre nicht zu ihrem jeweiligen Glauben. «Wir machten in unserer Gegend eine Aufklärungskampagne, und vor kurzem wurde die Mädchenbeschneidung in Beni Khalil abgeschafft.» Als erstes von 216 Dörfern des Distrikts Beni Souef, rund 200 Kilometer südlich von Kairo.

Heimliche Beschneidungen

Vor zwei Jahren sei dennoch eine vermummte Krankenschwester ins Dorf gekommen und habe zehn Mädchen beschneiden wollen. Man hätte sie dafür an einen geheimen Ort bringen sollen. Schwester Agapie: «Aus Geldgier tun es Ärzte und Schwestern heute noch, obwohl es der Gesundheitsminister verboten hat!»

Doch die Vermummte habe die Rechnung ohne die Dorfbewohner gemacht: «Die wollten diese Frau finden und sie verhaften lassen. Doch sie entkam.» Man habe aber ihren Namen herausgefunden, und inzwischen habe die Frau ihre Arbeitsstelle verloren. «Die Zeitungen haben darüber berichtet. Ich hoffe, das hat den Leuten genügend Eindruck gemacht.»

Früher sei bei vielen Mädchen der Weg vorgezeichnet gewesen: Bis 13 seien sie zu Hause gehalten worden, und dann habe man sie verheiratet. Jetzt können sie zur Schule; die ersten hätten sich zu Führungspositionen hochgearbeitet. Dadurch würden auch weniger Menschen abwandern.

Beni Khalil soll anstecken

Durch Projekte in der Landwirtschaft, den Bau einer Schule und Kursen für Erwachsene hat sich viel verändert, erklärt Esther Schaad von Christian Solidarity International (CSI).* Das Schweizer Menschenrechtswerk unterstützt Schwester Agapie seit rund sieben Jahren und gewährt den Dörfern Hilfe zur Selbsthilfe.

«Wir wollen das Programm auf fünf weitere Orte ausdehnen», schaut Schwester Agapie nach vorn. CSI unterstützt sie dabei.

Statistik:

Im Jahr 2006 haben laut Schwester Agapie 120 Kinder die Vorschule besucht, 26 Mädchen die Förderschule, 80 Kinder erhielten Schulmaterial, 150 Erwachsene schlossen den Alphabetisierungskurs ab, 30 Familien erhielten einen Trinkwasseranschluss, 100 Frauen nahmen an einem Babyernährungskurs teil und 70 Personen besuchten den Landwirtschaftskurs.

Datum: 01.10.2007
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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