«Die Bibel ist eine Schatzkarte für die Seele»
«Zwischen den mündlichen und schriftlichen Abiturprüfungen pilgerte ich 1997 zwei Wochen lang auf den Spuren von Bruder Klaus durch die Innerschweiz», erzählt Robert Schätzle. Das war der erste Aufenthalt des heute 44-Jährigen in der Schweiz. Danach plante er, sich im nordbayrischen Würzburg zum Priester ausbilden lassen. Jedoch: «Während des Seminars spürte ich, dass dies nicht der Weg für mich war.» Zusätzlich zur Theologie studierte Schätzle deshalb Germanistik und Philosophie. «Im Praktikum erkannte ich, dass mir das Herz aufgeht, wenn ich mit Menschen arbeite und meinen Glauben mit ihnen teilen kann», erinnert er sich. Auch seinem Theologieprofessor fiel das auf. «Sie müssen in die Gemeinde!», legte er seinem Studenten nahe. Doch da war dieser bereits verheiratet und hatte die Vorbereitung auf die Ausbildung in pastoraler Begleitung verpasst.
Umzug in die Schweiz
«Gehen Sie in die Schweiz!», riet ihm nun sein Mentor und liess Robert Schätzle immer wieder Stellenanzeigen aus dem Nachbarland zukommen. Schätzles Frau Nicola wuchs in Ravensburg am Bodensee auf. Sie hatte schon als Kind Ferien in der Schweiz verbracht und musste nicht gross überredet werden, sich dort niederzulassen. 2006 bewarb sich der Theologe in Rapperswil-Jona. «Wir vereinbarten eine Probezeit – offenbar waren nicht alle Erfahrungen mit deutschen Amtskollegen positiv verlaufen…», bemerkt er und schmunzelt. «Doch ich fühlte mich sofort wohl hier und wusste: Das ist mein Ort!» Seit 16 Jahren arbeitet Schätzle nun als Seelsorger in Rapperswil-Jona, neun davon zusätzlich als Pfarreileiter in Kempraten. Vor kurzem wurde er vom St. Galler Bischof zum Diakon geweiht und ist unterdessen Vater dreier Töchter zwischen 9 und 15 Jahren.
Vertrauen trainieren
Robert Schätzle liebt es, über das Evangelium zu sprechen, «die gute Botschaft von Gottes Liebe und Fürsorge.» Menschen einzuladen und zu begleiten in eine aktive Beziehung mit Jesus Christus, das begeistert ihn. «Das ist die eigentliche Aufgabe der Kirche», findet er. Die Bibel sei voller Geschichten, die das Leben spiegeln. Er erklärt dies am Beispiel von Petrus, der wie Jesus auf dem Wasser ging (nachzulesen im Matthäus-Evangelium, Kapitel 14, Vers 28) und beginnt zu erzählen: «Die Jünger sehen, dass Jesus durch den Sturm auf sie zukommt. Als Jesus ihn ruft, wagt Petrus, das Boot zu verlassen und ihm entgegenzugehen. Doch als er nicht mehr auf den Gottessohn sieht, sondern nach unten, packt ihn die Angst. Der den Fischern vertraute See wird plötzlich zur Gefahr.»
Schätzle erklärt: «Wasser symbolisiert in dieser Geschichte Angst, und in ihr kann man untergehen. Jesus zieht Petrus wieder hoch und möchte von ihm wissen, weshalb er ihm nicht vertraue…» Der Theologe hält fest: «Auch wenn wir Fehler machen, Jesus bleibt treu! Er trainiert Vertrauen mit uns und gibt uns eine zweite Chance.» Während seiner eigenen Lebenskrisen habe Robert Schätzle erfahren, dass Gott immer an seiner Seite blieb. «Im Nachhinein erkannte ich, dass Gott mir das Leiden zugemutet hat. Ich hätte seinen Hinweis auf einen Richtungswechsel sonst nicht begriffen», schlussfolgert er.
Könige und Priester und Kinder
Robert Schätzle fährt fort, aus der Bibel zu berichten. Bevor Jesus zu seinem Vater in den Himmel zurückgekehrt sei, habe er die Jünger aufgefordert, anderen Menschen von ihm zu erzählen. Schätzle bekräftigt: «Ich möchte meine Verantwortung wahrnehmen und den Menschen vorleben, dass die Beziehung mit Jesus trägt, dass sie bei ihm Kraft und Zuversicht finden.»
Frischgebackene Eltern etwa hätten eine grosse Aufgabe und Verantwortung, der sie sich nicht entziehen könnten. «Hier erweist sich die Bibel als Schatzkarte für die Seele. Bilder und Rituale des christlichen Glaubens erreichen die Struktur der Seele. Sie sind hochrelevant für das praktische Leben», erläutert der Diakon. Mit der Taufe würden die Kinder der Obhut des Schöpfers anvertraut. Schätzle präzisiert: «Nach der Taufe werden die Kleinen mit dem gleichen Öl gesalbt, das für die Einsetzung von Königen, Priestern und Propheten verwendet wurde. Damit wird ihnen deren Würde und Verantwortung zugesprochen.»
Arme reiche Kinder
Die Franziskuskirche steht im exklusivsten Quartier der Region. Die «teuerste» Strasse des Kantons führt hier hindurch. «Viele, die hier leben, haben Geld wie Würfelzucker», weiss Robert Schätzle. Gleichzeitig sei die seelische Armut gross. Das grösste und teuerste materielle Geschenk könne den inneren Mangel von Kindern nicht tilgen, deren Vater oder Mutter aus beruflichen Gründen höchstens das Wochenende zuhause verbringe. Einmal habe er die Schüler im Religionsunterricht gefragt, wovon sie träumen. Ein Kind habe ihm geantwortet: «Ich träume davon, dass ich meinen Papi öfters sehen kann…»
Aufsteigende Gebete
Über solche und andere Erlebnisse tauscht sich der der Gemeindeleiter gern mit Berufskollegen aus und lernt von ihnen, sei es persönlich oder durch Predigten, die er übers Internet hört. In seinem Büro hängen Ikonen, die ihm helfen, zur Ruhe zu kommen. Für Ruhe und Besinnlichkeit sorgt in seiner Kirche auch der Weihrauch. Es werden verschiedene Weihrauchmischungen verwendet, um den jeweiligen Anlässen Rechnung zu tragen. «Wenn ein hoher Politiker empfangen wird, rollen wir den roten Teppich aus», sagt Schätzle. Gott verdiene ebenfalls ein angemessenes Verhalten, wenn man ihm begegne. Mit dem Duft des Weihrauchs solle das Aufsteigen der Gebete symbolisiert werden. Solche sinnlichen Erlebnisse seien wichtig. Hier habe die katholische Kirche einen reichen Erfahrungsschatz anzubieten. Robert Schätzle schlussfolgert: «Wir sind psychosomatische Wesen. Körper und Seele gehören immer zusammen und reagieren aufeinander.»
Zur Person:
Einer meiner Lieblingsplätze in Rapperswil-Jona:
Der grosszügige Pfarrgarten rund um die Franziskuskirche; wir nennen diesen Platz liebevoll unseren «Garten Eden»
Meine Lieblingsbeschäftigung an verregneten (Sonntag-)nachmittagen:
Mit meiner Familie spielen, kochen und essen
Meine Lieblingsmusik:
Sehr unterschiedlich, nicht missen möchte ich Giorgio Allegris «Miserere». Da bekomme ich immer wieder Hühnerhaut
Auf diese App möchte ich auf keinen Fall verzichten:
Meine Kalender-App
Datum: 21.11.2022
Autor:
Mirjam Fisch
Quelle:
HOPE-Regiozeitungen