Urknall und Bescheidenheit

Eine neue Galaxie entsteht.
Theologie zwischen Glaube und Wissenschaft: Konrad Schmid (rechts) und Arnold Benz (Mitte) im Dialog. Links Samuel Vollenweider.
Markant: Das Zürcher Grossmünster an einem klaren Wintertag.

Wer das Universum geschaffen hat, traut sich der Theologe angesichts der bis zum Urknall ausgreifenden Naturwissenschaft kaum zu sagen. Dabei wissen Physiker sehr wohl um die Grenzen ihrer Wissenschaft, wie ein Dialog in Zürich zeigte.

Zum 175-Jahr-Jubiläum der Universität Zürich führt die Theologische Fakultät im April vier Dialog-Abende im Grossmünster durch. Sie schlägt dabei den Bogen vom Anfang des Lebens zu seinem Ende. So nahm der erste Abend (3. April) „Gott und die Entstehung des Universums“ in den Blick. Konrad Schmid, Professor für Altes Testament, und Arnold Benz, ETH-Professor für Astrophysik, diskutierten unter Leitung des Dekans der theologischen Fakultät, Samuel Vollenweider.

Eingangs erläuterte Konrad Schmid vor zahlreichem, überwiegend ergrautem Publikum seine Vorbehalte zum Satz „Gott erschuf das Universum“. In diesem einfachen Satz, der Gott mit der Gesamtheit aller Objekte auf eine Ebene stellt, sei „der Gottesbegriff eigentlich schon verpasst“. Denn „ein vergegenständlichter Gott, über den man wie über ein Objekt sprechen könnte, wäre ein zurechtgelegter Gott, ein Götze, der mehr mit unseren Vorstellungen und Erwartungen an ihn zu tun hat als mit ihm selbst“. Laut Schmid ist von Gott nicht an sich zu sprechen, sondern darüber, was er getan hat – unter dem Gesichtspunkt, dass alle seine Geschöpfe fortwährend auf ihn angewiesen sind.

Von Gott als Schöpfer angemessen reden

Über diese Zurückhaltung Schmids, der gar von einer Gefahr der ‚Infantilisierung’ des Gottesbegriffs sprach, gab sich Arnold Benz erstaunt: „Wenn es Gott gibt, hat er das Universum geschaffen.“ Der Astrophysiker betonte, dass Schöpfung unablässig anhält, sozusagen unter den Augen der Naturwissenschaft, den Teleskopen: Noch immer entstehen im Universum pro Sekunde 30‘000 Sterne! „Das Universum hat eine Geschichte, und die Geschichte geht weiter.“

Vor diesem Hintergrund wagte Benz die Äusserung, es sei „gefährlich, Gott 13,7 Milliarden Jahre zurückzuschieben“. Schmid meinte dagegen, wenn man sich als Wissenschaftler einfach für oder gegen die Existenz Gottes entscheiden könnte, „dann müssten wir eine christliche und eine säkulare Uni haben“. Doch Gott sei nicht einfach ein Faktor neben anderen im Weltgeschehen, dem Existenz oder Nichtexistenz zukomme. „Gott ist mehr und anderes als ein Objekt in dieser Welt.“

Die Frage nach dem Sinn

Laut Schmid hat die Theologie (einst die beherrschende Wissenschaft) in der Moderne die Naturwissenschaften in die Freiheit entlassen und ihnen die Weltbildfragen weitergegeben. Sie funktionierten gut ohne Theologie, allerdings bleibe die Frage, was sie zu ihrer Erweiterung beitragen könne. Der Alttestamentler meinte, theologische Perspektiven könnten die exakten Wissenschaften vor reduktionistischen Konzepten bewahren und Fragen in Grenzgebieten (z.B. Kreativität) mitbedenken. Neben die Frage, wie der Urknall geschah, stelle die Theologie die Frage, weshalb etwas da sei – und warum vieles so gut zusammenpasse. Kosmologische Fragen aber seien kompetenter durch Astrophysiker als durch Theologen zu beantworten.

„Es gibt kein naturwissenschaftliches Weltbild“

Benz betonte, dass jeder Naturwissenschaftler sein eigenes Weltbild habe. „Ein naturwissenschaftliches Weltbild gibt es nicht, nur die naturwissenschaftlichen Grundlagen.“ Er verwies kurz auf die Entwicklung der Kosmologie, die bei explodierendem Wissen ihre Grenzen eingesehen habe. Der szientistische Ansatz (17.-19. Jahrhundert) habe Schöpfung als mathematisch beschreibbares System von Ursache und Wirkung deuten und ein allumfassendes Weltbild erstellen wollen.

Heute hingegen sähen die Naturwissenschaften die Wirklichkeit als eine insgesamt unbeschreibliche Vielzahl von wechselwirkenden Prozessen. Die Komplexität der Vorgänge sei unvorstellbar und langfristig nicht voraussagbar. Damit sei der frühere Vollständigkeitsanspruch der Naturwissenschaften überholt. „Wirklichkeit ist mehr – wir verstehen vieles, aber nicht alles. Wir erleben manches, was wir physikalisch nicht beschreiben können. Etwa die existentiellen Erfahrungen der Menschen.“

Gemeinsame Perspektive

Benz zitierte den Physiker und Grenzdenker Feynman: Es sei viel interessanter, mit Nichtwissen zu leben als mit vielleicht falschen Antworten. Angesichts dessen fragte der ETH-Professor, ob sich Naturwissenschaften und Theologie „in eine gemeinsame Perspektive bringen lassen“. Die christliche Tradition mit ihrem offenen Geschichtsbild und Interesse an der Zukunft könne „aus dem Brunnen schöpfen, den die naturwissenschaftlichen Erfahrungen anbieten“. Diese sind dem vorzuziehen, was Benz „Gespenster des Intelligent Design“, nannte, ohne näher darauf einzugehen.

Die Diskussion, welche die beiden Akademiker nach ihren Eingangsvoten führten, drehte sich auch um die Eigenheiten des Anfangs aller Dinge. Davon könne die Physik nicht einfach reden, hielt Benz fest. Denn die Gründe für die „Existenz von Regeln und der Zeit und dem Zufall, den es nicht gibt ohne Zeit, sind nicht Teil der naturwissenschaftlichen Forschung“.

Was der Physiker verstehen möchte

Für Konrad Schmid ist die Bibel „grundsätzlich mythisch geprägt“. Die Welt sei nicht historisch-chronologisch in sechs Tagen geschaffen worden; dies dürften Theologen heute sagen. Die Theologie habe stattdessen Modelle entwickelt, die Texte der Bibel so zu verstehen, wie sie von ihren altorientalischen Autoren gedacht worden seien: als Aussagen, die lebensweltlich ausgerichtet seien und so Identität stiften wollten.

Arnold Benz äusserte, diese Universitäts-Theologie habe es offensichtlich schwer, in der Öffentlichkeit anzukommen, und sprach von einem Verständnisproblem. Die Theologie habe durchaus Antworten, welche die Naturwissenschaftler interessieren könnten. „Ich möchte verstehen, was die Theologen sagen, wenn sie Gott und Schöpfung sagen.“

Der vierte Dialog-Abend am nächsten Donnerstag, 24. April, 19.30 Uhr, im Grossmünster:

Lebensende: „…damit sich die Menschen daran erfreuen mögen, zusammenzusein“ – Überlegungen zu Bau und Umbau der Stadt

Broschüre zum 175-Jahr-Jubiläum der theologischen Fakultät
Homepage der theologischen Fakultät der Universität Zürich

Datum: 21.04.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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