Krebskrank

„Ich möchte mit niemandem tauschen“

Zwölf Jahre lang führte Walter Schleker durch seine Krebserkrankung ein Leben auf Messers Schneide. 1999 sollte es endgültig mit ihm zu Ende gehen, doch Walter Schleker gewinnt den Kampf. Heute lebt er immer noch – und das ziemlich gut.
Walter Schleker
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Schleckers Hochzeit 1974
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Walter Schleker gehört zu den Menschen, bei denen man das Gefühl hat, sie schon ewig zu kennen – auch wenn man sie gerade zum ersten Mal getroffen hat. Die Hand zum Gruss und schon ist Vertrautheit da. Jede Anspannung scheint aus dem Gesicht gewichen zu sein – und das bei einem Mann, der weiss was Schmerzen sind. Der freundliche Blick scheint zu fragen: Vor was sollte ich mich noch fürchten? Kein Wunder, hat Walter Schleker doch bereits dem Tod in die Augen geschaut. Seine grosszügige Art lässt einen kaum glauben, dass es einmal Zeiten gab, in denen das überhaupt nicht so war. Heute prägen Tiefe und Verantwortung seine Beziehungen, früher dagegen seien die Kontakte eher oberflächlich und unverbindlich gewesen. „Ich war ein Egoist!“, sagt Walter Schleker, 56 Jahre alt, und beginnt seine Geschichte zu erzählen.

Harte Schale, weicher Kern

Schon im Alter von sechs Jahren schlüpft Walter durch die offene Tür einer Kirche und setzt sich einfach eine Zeit lang auf eine der vielen leeren Bänke. Er gilt als sensibel – sehr zum Leidwesen seines Vaters, der gerne Überlegenheit und Stärke in ihm gesehen hätte. Doch der Junge bleibt weiter unauffällig und zurückgezogen bis das Ganze ins Gegenteil umkippt. Walter Schleker legt sich mit den Lehrern an und hat massive Probleme mit jeglichen Autoritätspersonen, nicht zuletzt mit seinem Vater: „Irgendwie wollte ich mir damit eine Art von Anerkennung eintrotzen – im Grunde war das aber nur ein Hilfeschrei.“ Doch mit der rebellischen Tour hat Walter Schleker keinen Erfolg. Er kapselt sich innerlich mehr und mehr ab. Mit 18 lacht ihm dann der Führerschein – für ihn das Ticket in die Freiheit. Er ist nur noch mit dem Auto unterwegs und zeigt sich als Draufgänger, der auf Mädchen Eindruck macht.

Hauptsache Adrenalin

Nach seiner Lehre zum Automechaniker bildet er sich zwei Jahre in Technik für Betriebswirtschaft weiter und beginnt in einem Büro zu arbeiten. Zum Ausgleich treibt er immer häufiger Sport – eine neue Plattform sich zu beweisen und mit Erfolgen zu glänzen. Er spielt Fussball und Tennis, fährt Ski und liebt vor allem das Surfen: „Ich brauchte einfach diesen Kick und war süchtig nach den Glücksmomenten, die mir der Sport verschaffte – ich wollte meinen Spass haben, komme, was wolle.“ Als er Anfang der 70-er seine Frau Heidi kennen lernt, tut ihm ihre Bewunderung gut, ändert aber nichts an seinen Gewohnheiten. 1974 heiratet er. Doch aus Angst, die Ehe würde ihn zu sehr einengen, tritt er in einen Kegelclub ein, um dort hin und wieder seine Abende zu verbringen: „Meine Freiheit war mir heilig, da konnte mich auch ein Ehering nicht einschränken.“ Nach und nach kommen seine Kinder auf die Welt, aber eine Beziehung baut er nicht zu ihnen auf. Stattdessen arbeitet er sich beruflich nach oben und wird Abteilungsleiter eines Pharmaunternehmens. Gleichzeitig entwickelt er auch eine besondere Liebe zum Geld. Er verliert sich in Spekulationen am Aktienmarkt, die ihn nur noch tiefer in das Verlangen nach dem grossen Kick treiben. Walter Schleker wird zum Gehetzten – vom Sport, vom Geld und einer ungestillten Sehnsucht nach Leben.

Die letzte Surfpartie

Es ist ein stürmischer Nachmittag im Herbst 1987. Walter Schleker beobachtet den Wind in den Bäumen; es zieht ihn unbändig nach draussen. Also holt er sein Surfbrett aus der Garage und fährt zum See. Doch mitten auf den Wellen lässt ihn plötzlich ein reissender Schmerz zusammenzucken. Er spürt ein Schwellung an der Leiste und kehrt zurück zum Ufer. Die erschreckende Diagnose im Krankenhaus: Lymphdrüsenkrebs. Die Ärzte geben ihm eine Lebensperspektive von maximal noch zwei Jahren. Walter Schleker ist wie betäubt. Zu Hause legt er sich aufs Bett und steht nicht mehr auf. Er ist gerade mal 38 Jahre alt und hat nur noch den Tod vor Augen. In diesem Augenblick fängt er aus heiterem Himmel an zu beten: „Mir war plötzlich klar, ich würde ein Problem mit der Ewigkeit bekommen und da hab ich gesagt: Gott, ich geb dir jetzt mein ganzes Leben. Alles gehört dir! Und du bestimmst auch, wie die Trauerfeier bei meiner Beerdigung aussehen soll.“

Dem Licht entgegen

Auch für Heidi Schleker ist der Krebs ein Schock. Ihr Mann verändert sich, wird ruhiger, doch sie bekommt auch jetzt keinen richtigen Zugang zu ihm. Walter Schleker beginnt Spaziergänge zu machen und ist viel allein im Wald. Er läuft endlose Strecken durch die Natur und denkt nach. Er erinnert sich besonders daran, dass er sich an jeder Gabelung immer für den Weg entschied, wo die meisten Sonnenstrahlen hinfielen. Dies bleibt ihm eindrücklich im Gedächtnis und begleitet ihn auf seinem weiteren Lebensweg – was auch immer kommen mag, er geht dem Licht entgegen. Ende 1987 besucht er einen Glaubenskurs, später schliesst er sich sogar einem Gebetskreis an. Seine Frau wundert sich über ihn, die neue Frömmigkeit kann sie nun gar nicht nachvollziehen. Wenn Walter mit ihr über den Glauben spricht, schüttelt sie nur den Kopf: „So schlimm wie du, war ich nie. Du bist doch der Sünder von uns beiden!“ Doch im selben Masse wie der Glaube bei Walter Schleker wächst, verschlechtert sich sein Gesundheitszustand. Er hat immer wieder mit „Schüben“ der Krankheit zu kämpfen und entdeckt neue Schwellungen am Körper. Heidi Schleker ist verzweifelt und sieht sich hilflos dem Schicksal ausgeliefert. Sie hat panische Angst davor, ihren Mann zu verlieren und allein mit den Kindern zurückzubleiben. So greift sie in ihrer Not zu einem Buch, das ein Bekannter von Walter mitgebracht hatte: „Jesus unser Schicksal“ – Was sie darin liest, ist nicht nur der Anfang ihres Glauben, sondern auch der Start einer gemeinsamen Gottesbeziehung in der Ehe mit Walter.

Zum Sterben bereit

Der Zustand von Walter Schleker wird dramatischer. Regelmässig treten die bösartigen Knoten auf, die von zunehmenden Schmerzen begleitet sind. Eines Tages quält ihn ein besonders schlimmes Geschwulst mitten im Gesicht: „Okay, Herr, wenn ich jetzt sterben soll, dann lass es geschehen.“ Oft denkt er, nun ist das Ende gekommen: „Mein Gott, warum hilfst du mir nicht?“ – doch dann liefert er sich wieder völlig in Gottes Hände aus. Immer wieder kämpft er darum die Angst zu überwinden und ins Vertrauen zu Gott zurückzufinden. Über 12 Jahre lang geht das so. Das Ehepaar kämpft einen harten Kampf, der sie bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringt. Jedes Mal wenn die Schmerzen fast unerträglich sind, greift Heidi Schleker zur Gitarre, setzt sich zu ihm und singt Loblieder. Walter betet die Lieder im Kopf mit. „Gott zu singen ist die schärfste Waffe, die es gibt“, sagt er heute noch.

Dein Wille geschehe

Im Herbst 1999 kommt es zum Tiefpunkt in Walter Schlekers Verfassung. An der Wirbelsäule wird ein grosses Geschwür festgestellt, das operativ nicht entfernt werden kann. Walter kann acht Wochen lang weder liegen noch sitzen. Nachts findet er nur kurze Zeit Ruhe – auf den Knien über einen Stuhl gebeugt. Regelmässig überfallen ihn Krampfanfälle, bei denen er zu Jesus schreit: „Lieber sterben als einen erneuten Krampf erleben!“ In dieser Zeit versagen auch nach und nach die inneren Organe, so dass es zu gewaltigen Wasseransammlungen in Lunge, Bauch und Beinen kommt. Als Nahrung nimmt sein Körper bald nur noch Milch auf. Die Atemnot ist so gross, dass er künstlich beatmet werden muss. So wird er Anfang Januar 2000 ins Krankenhaus eingeliefert. Nach wenigen Tagen ruft die Ärztin Heidi Schleker an. Sie wüsste nicht, ob er die Nacht übersteht. Für Heidi Schleker wird es die längste Nacht in ihrem ganzen Leben. Sie sitzt am Bett ihres Mannes und kann den Anblick kaum ertragen. Sie fleht Gott um Linderung und Heilung an. Es ist mehr ein Klagen als ein Bitten. Dann tut sie einen entscheidenden Schritt: „Als ich ihn angesehen hab, wie er kämpfte, welche wahnsinnigen Krämpfe er hatte – trotz dieser unwahrscheinlich hohen Dosis von Morphium – da hab ich mich entschlossen, anders zu beten. Ich hab nur noch gesagt: ,Herr, dein Wille geschehe, Herr, dein Wille geschehe ...’ Ich weiss nicht wie oft, ich hab’s nicht gezählt – stundenlang hab‘ ich das gebetet.“ Am nächsten Morgen stellen die Ärzte verwundert fest, dass es Walter Schleker besser geht. Die Chemotherapie schlägt endlich an. Heidi Schleker weiss heute: Bis zu diesem Zeitpunkt hat sie krampfhaft an ihrem Mann festgehalten, doch jetzt hat sie ihren Mann losgelassen, in Gottes Hände freigegeben.

Ein neuer Mensch

Walter Schleker ist zunächst noch ein Wrack. In den folgenden Monaten wird seine Gesundheit langsam, aber stetig wiederhergestellt. Es ist für alle Beteiligten kaum zu glauben. Einmal noch wird das Durchhaltevermögen der Schlekers hart auf die Probe gestellt, als bei einer Nachuntersuchung festgestellt wird, dass der Krebs im Bauchraum wieder voll ausgebrochen ist. Doch die Schlekers vertrauen mehr denn je auf Jesus. Ein dreiviertel Jahr später sind die Geschwulste tatsächlich wieder völlig verschwunden – zum grossen Erstaunen der Ärzte.

Seit fast drei Jahren ist der Gesundheitszustand nun stabil. Obwohl noch Reste von beschädigten Lymphdrüsen vorhanden sind, stagniert der Krebs. Während andere Menschen sagen, Walter Schleker habe die Hölle erlebt, sagt er, dass er ein Wunder erlebt habe. Als gesunder Mann sei er vergeblich auf der Suche nach Leben gewesen – ohne Rücksicht auf Verluste. Ausgerechnet während dem Verlauf einer tödlichen Krankheit findet er die Erfüllung, nach der er sich so lange gesehnt hat. Seine Erfahrungen haben ihm gezeigt, dass er zur hundertprozentigen Hingabe an Jesus bereit ist. Dies ist sein kostbarstes Gut und sein ganzes Glück. Dennoch bezeichnet die Medizin Patienten wie ihn schonungslos als „Kurzzeitüberlebende“. – „Macht nichts“, sagt Walter Schleker, „ich würde trotzdem mit niemand anderem tauschen wollen.“

Autorin: Sigrid Röseler ist TV-Redakteurin beim Evangeliums-Rundfunk (ERF) in Wetzlar.

Datum: 21.07.2005
Quelle: Neues Leben

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