Das Leben ist schön und grausam

Das Leben kann so ... schön sein
Gottes Schöpfung ist herrlich und vollkommen
Geniessen mit Mass
Gottes Zeichen der Versöhnung

Verträumt einen Schmetterling auf einer Sommerblumenwiese bewundern; durch den Tiefschnee eine Spur in den frisch verschneiten Hang schwingen; den Sonnenuntergang bei einem guten Glas Wein auf der Terrasse des Ferienhauses einer griechischen Insel bewundern; mit der geliebten Ehefrau auf der Geburtstagsparty eines Freundes langsamen Walzer tanzen; sich am ausgelassenen Lachen der auf der Strasse spielenden Kinder freuen; eine Beethoven-Symphonie in der Berliner Philharmonie hören ... Das Leben ist schön.

Schmerzen, Verfolgung und Tod

Am Grab meiner Mutter; von Freunden im Stich gelassen; frustriert von Paragraphen und unflexiblen Verwaltungsvorschriften; betroffen von dem anscheinend aussichtslosen Konflikt, dem friedensstiftende Israelis und Palästinenser in ihrer Heimat ausgeliefert sind; betroffen von dem Terror und der Verfolgung in vielen Staaten dieser Welt und dem egozentrischen Konsumdenken in der Gesellschaft (aber auch im eigenen Leben) ... Das Leben ist voller Schmerzen. Da ist so vieles grausam, böse und das Leben zerstörend.

Vom Glanz der Herrlichkeit

Es ist wichtig, dass wir uns diese Erfahrungen eingestehen. Das Lesen der Bibel bekräftigt und fundiert dieses Erleben. Unsere Welt ist kein Produkt zufällig wirkender Chaosmächte; der ewige Gott hat sie aus Liebe wunderbar und bestaunenswert gestaltet. Wenn seit dem Sündenfall auch vieles entfremdet, verzerrt oder zerstört ist, so gilt dennoch: Diese Schöpfung spiegelt immer noch mehr von dem Glanz der Herrlichkeit und Kreativität Gottes wider, als wir jemals in der Lage sein werden zu erfassen.

Gleichzeitig spüren wir - der eine mehr, der andere weniger – die Entfremdung, die Erlösungsbedürftigkeit, die Macht des Bösen, die Angst vor der Verlorenheit. Bezüglich des Menschen gilt diese Spannung in gleicher Weise: Er ist einerseits immer noch das Ebenbild Gottes (1. Mose Kapitel 9, Vers 6) und andererseits ohne Christus verloren, ohne letztes Ziel und den Mächten der Finsternis um ihn herum und in ihm selbst ausgeliefert.

Kann man diese Welt lieben?

Ist diese Welt liebenswert? Sollte man nicht deutlich auf Distanz gehen? Wozu sich den Schmerzen und dem Leid aussetzen? Ist nicht das alles letztlich irdisch und vergänglich? Zählt nicht allein die Ewigkeit? Wird nicht schon im Neuen Testament eindringlich davor gewarnt, die Welt lieb zu haben und sich dieser Welt gleichzustellen (Römerbrief, Kapitel 12, Vers 2)?

Eine Erläuterung der Begriffe ist hier nötig: Was ist mit „Welt“, „Materie“ und „Fleisch“ gemeint? Paulus und auch die anderen Schreiber des Neuen Testaments teilen nicht das Weltbild griechischer Philosophen, die in der sichtbaren materiellen Welt etwas Niedriges, womöglich sogar Böses sehen. Wenn der Gegensatz von „Fleisch“ und „Geist“ in etlichen Briefen auftaucht, so beschreibt „Geist“ alles, was Gott gefällt, was ihn ehrt, was seinem Willen entspricht, während „Fleisch“ all jene Verhaltens- und Denkweisen beschreibt, die gegen Gott gerichtet sind - egal, ob es sich dabei um Gedanken (Neid, Zorn, Bitterkeit, Unversöhnlichkeit u. a.) oder um Taten (Unzucht, Raub, Lüge u. a.) handelt .

„Fleisch“ als Widergöttliches ist also böse. Wenn es jedoch im Prolog des Johannesevangeliums heisst, dass „das Wort Fleisch wurde“, dann bedeutet dieser Ausdruck hier natürlich etwas völlig anderes. Für die Philosophen zurzeit Jesu war dieser Gedanke ebenso unsinnig wie für viele moderne Denker heute: Die Ur-Idee, der Logos, das Wort nimmt materielle Form an. Gott wird Mensch. Inkarnation. Der Schöpfer wird Teil seiner Schöpfung. So widersprüchlich es erscheinen mag, so fundamental ist es. „Fleisch“, Materie, also diese sichtbare Welt wird in der Bibel keineswegs ausschliesslich als böse beschrieben. Diese Welt ist vielmehr der Ort, an dem sich der ewige Gott offenbart hat und an dem man seine Macht erkennen kann (Römerbrief 1). Und die Liebe zu diesem Gott ist nicht platonisch, also rein gedanklich-ideeller Art, sondern erweist sich dort, wo sie echt ist, in sichtbaren Taten, die dem anderen gut tun.

Wo das ewige Leben beginnt

Spätestens seit Augustinus hat jedoch das Denken griechischer Philosophen die Kirche mehr geprägt als die Botschaft des Alten und Neuen Testaments. Körperfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Weltfremdheit und viele andere Irrtümer waren die schmerzlichen Folgen. Es ist mehr als verständlich, dass sich gerade moderne Menschen von solchen Positionen distanzieren. Leider schieben manche dabei auch die Suche nach Gott auf die Seite oder geraten an Gruppen, die ihnen authentischer erscheinen und deren Botschaft ihrem Leben vermeintlich näher ist.
Die Juden wissen aus der Heiligen Schrift seit Jahrtausenden, dass diese Welt zu achten und zu schätzen ist. Die Gebote umfassen immer den ganzen Menschen. Das Geben des Zehnten beispielsweise war umrahmt von einer sinnlichen Freude an Gott, wie sie heutzutage vielen als unangebracht erscheint (5 Mose 14,22-27): Egal, welche Übersetzung man liest, immer ist von alkoholischen Getränken die Rede, die man zur Freude und Ehre Gottes trinken soll. Auch dass wir diesen Planeten zwar nicht von unseren Kindern geliehen, aber von Gott zur Verwaltung bekommen haben, ist keine Idee der Studentenrevolution von 1968, sondern wurde dem Volk Israel schon vor sehr langer Zeit gesagt. Das Hohelied meint zuerst die sinnlichen Freuden eines Liebespaares, und etliche Psalmen wissen von der Schönheit der Schöpfung als Zeugnis für den Schöpfer.

Marc Chagall hat diese Lebensfreude in seinen Gemälden und Kirchenfenstern in besonderer Weise ausgedrückt: Die Intensität der Farben verdeutlicht etwas von der Leidenschaft Gottes für diese Welt. Wo Nüchternheit, Rationalität und Berechenbarkeit die Gesellschaft und auch die Theologie stark dominiert haben, setzte er mit seiner Darstellung der biblischen Botschaft Akzente, die uns daran erinnern, dass ewiges Leben im Hier und Jetzt beginnt. Es geht gerade nicht um ein Vertrösten auf eine bessere Welt. Ewiges Leben beginnt mit dem Erkennen von Jesus Christus (Joh 17,3) mitten in dieser Welt. Es reicht über den Tod, über die Welt hinaus, aber es nimmt seinen Anfang mitten in der Unvollkommenheit.

Bonhöffer liebte diese Welt

Dietrich Bonhöffer hat am Tag nach dem misslungenen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 im Gefängnis notiert, dass es darum ginge „... in der Diesseitigkeit des Lebens Glauben zu lernen ...“ Überhaupt betont er an vielen Stellen seines Werkes die Liebe zu dieser Welt. Dies ist umso bemerkenswerter, als er wie wenige andere das Dämonische der Hitlerdiktatur früh erkannte, offen aussprach und dagegen arbeitete. Etliche Schriften entstanden im Gefängnis.

Silvester 1944, knapp 4 Monate vor seiner Hinrichtung, formulierte er es in „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ so: „Und willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz ...“

Es ist traurig, wie wenig Staunen und Begeisterung oft gerade bei denen zu finden ist, die vehement die Schöpfungsgedanken vertreten. Dominik Klenk, der Leiter der Offensive junger Christen (OJC) hat einmal geschrieben, dass die Chassiden den Frommen wieder das Tanzen gelehrt haben (im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinn). Wir können wohl heute wieder von ihnen lernen. Ihr Vorbild kann uns inspirieren.

Das Böse: eine Tatsache

So sehr wir auch das Schöne und das Gute dankbar geniessen - wir dürfen das Böse nicht verharmlosen oder ignorieren. Sowohl in uns persönlich als auch in vielen Strukturen ist Zerstörerisches. Die Bibel nennt das „Sünde“. Es ist gefährlich, das Böse zu verharmlosen, etwa: „Woanders ist es noch schlechter“, „Früher war alles schlimmer“, „Im Vergleich zu anderen ...“ oder „Das ist doch nur ...“ Es ist auch gefährlich, das Böse einfach zu leugnen, etwa: „Es gibt keine absoluten Werte“, „Das ist nun einmal der evolutionäre Gang der Entwicklung“, „Leben heisst nun einmal Fressen und Gefressen werden – betrügen und betrogen werden“. Diese Lebenslügen sind ebenso gefährlich wie das Leugnen historischer Tatsachen, ökonomischer bzw. ökologischer Zusammenhänge oder persönlicher Verantwortung Einzelner, in denen das Böse dieser Welt erkennbar ist.

Andere wiederum realisieren Sünde sehr wohl, aber lassen sich davon völlig gefangen nehmen. Sie sehen nur noch schwarz. Im Extremfall reagieren sie nach der Devise „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ Die destruktiven Ausläufer der 68-er haben es als Motto formuliert, und islamisch fundamentalistische Terroristen setzten es mit erschütternder Perfektion am 11.9.2001 um.

Hinschauen und mitleiden

Angesichts dieser gefallenen Schöpfung gilt eine Reaktion als vorbildlich, die der Prophet Hesekiel beschreibt: Gott verschont diejenigen vor seinem Zorn, die über das Unrecht und das Böse seufzen und klagen (Hesekiel 9,2). Dieses Beklagen soll dann jedoch nicht zum arroganten Abwenden von den Sündern, sondern zur liebevollen Hinwendung führen. (Vergleichen Sie dazu das fundamental unterschiedliche Denken/Verhalten von Pharisäern und Jesus, wie es beispielsweise in Lukas 7, 36-50 beschrieben wird). Das scheint mir die angemessene Reaktion auf das Leid in dieser geliebten Welt zu sein: Hinschauen und mitleiden. „Compassion“ drückt dies noch stärker aus als die deutsche Übersetzung „Mitleiden“.

Katholische Schulen setzen seit einiger Zeit ein Modell mit dem Namen „Compassion” um, in dem es gerade um diese Einstellung geht.

Der Schöpfer hat nach der Sintflut mit einem Regenbogen ein Zeichen seiner Treue und Liebe zu dieser Welt gesetzt. In Jesus hat er diese Einstellung bekräftigt. Der Autor Max Lucado hat es einmal so formuliert und damit Joh 3,16 unterstrichen: „Jesus wurde nicht von Nägeln am Kreuz festgehalten, die Liebe hielt ihn fest. “Wenn dies Gottes Perspektive ist, sollten wir als seine Kinder von ihm lernen und diese Welt um Gottes Willen lieben.

Datum: 30.04.2003
Autor: Uli Marienfeld
Quelle: come

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