Zwang und Zweifel

Wie können wir helfen?

Zwänge sind bestimmt von Ängsten und von Schuldgefühlen

Zwangsstörungen sind häufiger als man vermuten würde, so häufig, dass manche Autoren von einer heimlichen Epidemie sprechen. Rund zwei Prozent der Bevölkerung leiden an dem unerklärten Zwang zu zählen und zu kontrollieren, zu putzen und zu wiederholen. Dieses Leiden belastet nicht nur die Betroffenen, sondern die ganze Familie.

Alles wird von Zweifeln unterhöhlt, die danach verlangen, sich gegen alle möglichen und unmöglichen Gefahren abzusichern. Das daraus entstehende Leiden ist oft erheblich und belastet nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihre Familien.

Gläubige Menschen leiden zudem darunter, dass auch ihr Glaube von Zweifeln überschattet wird oder dass sich ihnen Gedanken aufzwingen, die sie doch gar nicht denken wollen. Manchmal ist das Erleben der Fremdbestimmung so intensiv, dass sie an eine dämonische Beeinflussung denken und dies, obwohl sie doch alles daran setzen, ein christliches Leben zu führen.

Durch die moderne Hirnforschung wissen wir heute viel mehr über diese Störungen. Untersuchungen haben gezeigt, dass es bei diesen Menschen zu einer veränderten Steuerung der Gedanken kommt. Impulse können nicht abgebremst werden, der Filter der Gedanken versagt.

Zwangsneurose

Eine 35-jährige, tief gläubige Frau, die vor einem halben Jahr ihr drittes Kind geboren hat, klagt zunehmend über zwanghafte Gedanken: Immer wenn sie ein "S" sieht, denkt sie an Wörter wie "Sau, Satan, Schlange" etc. Selbst Muster auf der Tapete oder auf dem Boden führen dazu. Sie fühlt sich verunreinigt und bittet Gott um Vergebung. Die ständigen Zweifel nagen an ihr. Frau Müller weiss, dass ihre Gedanken unsinnig sind, doch kann sie nicht anders. Wie kann man einer solchen Frau helfen? Wie versteht man diese Krankheit? Wo braucht es die Zusammenarbeit mit dem Facharzt?

Was macht denn Angst?

Die Thematik von Zwangsgedanken ist häufig geprägt von Dingen, die für den Betroffenen anstössig, verboten oder mit Angst besetzt sind (z.B. Schmutz, Krankheit, sexuelle Nähe, Flüche, Obszönitäten) oder ein überhöhtes Gewissensziel oder gar etwas Schlimmes gegen eine geliebte Person darstellen.

Zwänge sind bestimmt von Ängsten und von Schuldgefühlen, wie es könnte einem selbst oder jemand anderem etwas passieren, man sei schuld, dass etwas passieren oder dass man sich versündige könnte. So sind Zwänge wie das Negativ einer schönen Foto: Wenn eine zwangskranke Person über ihre schrecklichen Gedanken klagt, so sind diese nichts anderes als das negative Abbild ihrer tiefsten Wünsche und Sehnsüchte. Ziel der Zwangshandlungen ist es, Angst abzubauen, sich gegen Fehler abzusichern oder Schlimmes zu verhüten.

Wie kann man helfen?

Wer in der Seelsorge tätig ist, sollte über ein Grundwissen pathologischer Zustandsbilder verfügen, um sachlich und tröstende Informationen zu vermitteln. In der Zusammenarbeit mit einem Facharzt können Medikamente verabreicht werden, die oft zu einer deutlichen Verbesserung führen. Daneben ist eine einfühlsame Begleitung durch die Seelsorge von grossem Wert. Es gibt Hoffnung - auch wenn oft eine gewisse Sensibilität bestehen bleibt.

Webseiten:
www.bcb-schweiz.ch
www.sonnenhalde.ch

Buchtipp:
Zwang und Zweifel, von Dr. med. Samuel Pfeifer


Autor: Dr. Samuel Pfeifer, Chefarzt Klinik Sonnenhalde, Riehen bei Basel
Quelle: bcb aktuell

Datum: 29.12.2003

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