Grenzen überschreiten

Wie die Kirche näher zu den Leuten kommt

Soll das Evangelium die Menschen treffen, so muss die Kirche ihre diversen Lebenswelten ernst nehmen. Eine Zürcher Studie, die diese Milieus darstellt, wurden am 4.Oktober mit einer Orientierungshilfe den Kirchgemeinden und Landeskirchen übergeben.
Lebenswelten fassbar gemacht: Matthias Krieg, theologischer Sekretär der Zürcher Landeskirche, freut sich über die Orientierungshilfe zur Milieustudie.
Im Stadtzentrum von Zürich.

Die Befunde der Milieustudie, die die Zürcher Landeskirche und der Verband der Stadtzürcher Kirchgemeinden 2011 erstellen liessen, sollen den Kirchgemeinden helfen, bei den Leuten zu sein. Die reformierte Kirche sei nur in zwei von zehn Milieus wirksam präsent, fanden die Marktforscher des Sinus-Instituts. Die Menschen in jedem dieser Milieus ähneln einander in Lebensstil, Einstellungen und Religiosität mehr, als sie meinen – und sie heben sich von anderen Milieus zu stark ab, als dass die Volkskirche einfach wie bisher als «Kirche für alle» weiter machen könnte. «Näher, profilierter, vielfältiger» – so der Slogan der beiden Bände – soll die Kirche werden.

Anregungen für Kirchgemeinden

Die 200-seitige grossformatige «Orientierungshilfe» leitet zur Verwendung der Studie an, die bald ein Jahr nach ihrer Präsentation endlich in Buchform erscheint. Der Begleitband bietet Zusammenfassungen und ergänzende Infos, theologische Überlegungen und Anregungen für die Kirchgemeinden. Mitherausgeber Matthias Krieg, theologischer Sekretär der Zürcher Landeskirche, empfiehlt, Studie wie Begleitband gezielt wie ein Lexikon zu lesen – etwa bezogen auf ein oder zwei Milieus. Jede Kirchgemeinde habe bestimmte Milieus, denen sie Aufmerksamkeit schenken sollte.

«Grenzen zum Mitmenschen überschreiten»

Im Geleitwort der Orientierungshilfe betont der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller, dass «Kirche erst dann zur Gemeinschaft, zum Leib Christi, wird, wenn sie die Menschen in ihrer je eigenen Lebenswelt anspricht und sie motiviert, ihre Grenzen zum Mitmenschen zu überschreiten und die Erfahrung der Liebe zu machen». Die Studie leite Verantwortliche an, sich in die Wohnzimmer und an die Lebensorte der Mitglieder zu begeben, um mit ihnen gemeinsam nach dem Evangelium zu fragen. Sie helfe, «Grenzen zu erkennen, um sie zu überschreiten».

Gesonderte Lebenswelten – nicht nur in Zürich

Matthias Krieg, der die Arbeiten zum Band koordiniert hat, steuert «50 lebensweltliche Sätze» bei, die den Blick auf die Milieus schärfen sollen. Weiter bietet der Band Milieu-Grafiken (mit Bevölkerungsanteilen) der Metropolitanräume Basel, Bern und Zürich und der Zürcher Bezirke sowie mehrerer Nachbarländer – zur Verortung der Schweiz im europäischen Kontext.

Gemeindeentwicklung regional abstimmen…

Schritte der Gemeindeentwicklung erörtert der Mitherausgeber Roland Diethelm. «Regional muss koordiniert werden, was sich lokal entwickeln soll.» Die Kirche solle sich mit «Lebensstilexperten» versehen. Die Orientierungshilfe lädt dazu ein, Lebenswelten in Zürichs Restaurants und auf Plätzen der Stadt zu studieren. Für Kirchenpflegen sind die «Leitfragen für eine gelingende Projektentwicklung» gedacht. Lebenswelt-Blicke über die Grenze und die Schilderung von neuen Gemeindeformen in England, sogenannten «fresh expressions», runden den Band ab. Fazit: «Auch eine traditionelle Volkskirche ist imstande, mehr als nur zwei bis drei Lebenswelten anzusprechen, sofern sie das Neue, manchmal ebenso Freche wie Frische zulässt.»

…und mit den Menschen angehen

Matthias Krieg hofft, dass sich die Kirchenpflegen mit dem Arbeitsinstrument ausrüsten und es langfristig einsetzen. «Wir haben praktische Hinweise gegeben – aber vor Ort muss mit den Menschen und nicht für sie die Lösung entwickelt werden. Die Gemeinde steht vor der Aufgabe, mit den Leuten unterwegs zu sein. Das kann dauern.»

Datum: 03.10.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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