Im Gespräch mit Lloyd Hoover

Trennung überwinden durch Vergeben, Leidenschaft für Jesus zurückgewinnen

Christen gehören dem einen Leib von Christus an. Wie können also Spaltungen überwunden werden? Die erste Trennung in der evangelischen Kirchenlandschaft geschah, als die Reformatoren die erste Freikirche, die Täufer, verfolgen liessen. Kleine Gruppen von Mennoniten und Amischen in den USA glauben heute, dass eine Heilung der frühen Wunden Not tut und die Wiederherstellung der Beziehungen von Täufern und Reformierten Barrieren für Gottes Wirken wegräumt. Livenet hat nach dem Täufertag in Zürich mit Lloyd Hoover, Bischof der Mennoniten in Lancaster, Pennsylvania, gesprochen.
Willkommen in Zürich: Mennoniten auf dem Lindenhof
Vergebung befreit: Lloyd Hoover
Zurückgekehrt an den Ort des Ursprungs: US-Mennonit in der Täuferhöhle bei Bäretswil im Zürcher Oberland
Nach dem Begegnungstag in Zürich besuchen Täufer die Höhle, die im 16. Jahrhundert ihren bedrängten Vorfahren Unterschlupf bot.
Im Gespräch: Thomas Gyger, Präsident der Konferenz der Schweizer Mennoniten, und Lloyd Hoover (rechts)

Livenet: Wegen der Verfolgung, die 1525 einsetzte und erst im 18. Jahrhundert endete, verliessen viele Täufer ihre Ursprungsländer Schweiz und Deutschland. 1710 kamen die ersten Mennoniten in Pennsylvania an. Welche Spuren hat das Leiden in Ihrer Kirche hinterlassen?
Lloyd Hoover: Wir haben vor Jahren begonnen, dem nachzugehen, und uns in Gebetstreffen gefragt, was uns hindert, so zu werden, wie Gott uns künftig haben will. Zum einen zeigte sich, dass Menschenfurcht unter uns Mennoniten verbreitet ist. Sie hat uns gehindert, so offen und frei die Gute Nachricht von Christus weiterzugeben, wie es die ersten Täufer hier in der Schweiz im 16. Jahrhundert taten. Sie schämten sich des Evangeliums nicht, sondern waren so davon ergriffen, dass sie es auch inmitten von Verfolgung proklamierten. Wir haben festgestellt, dass uns diese Leidenschaft heute abgeht.

Weiter merkten wir auch, dass wir ein friedliches Image abgeben wollen. Mennoniten sind für ihre Gewaltlosigkeit bekannt. Aber die Täufer sind untereinander gespalten wegen diverser Fragen. Statt Dispute friedlich zu lösen, trennen wir uns. Uns wurde klar, dass genau dies am Anfang unserer Geschichte in der Schweiz auch geschah. Die Täufer waren im Streit mit der reformierten Staatskirche. Dieser Streit wurde nie beigelegt. Zwischen Täufern und Reformierten floss keine Vergebung.

Wie wir darüber nachdachten, wurde uns klar, dass die Weigerung zu vergeben wie ein Nährbeet ist, in dem Störungen für geistliches Wachstum gedeihen. Wenn wir nicht in Vergebung leben, wirkt sich dies störend auf das aus, was Gott tun will. Durch all diese Wahrnehmungen fühlten wir uns um 475 Jahre zurück gezogen – an den Ort, wo unsere Kirche ihren Ausgang nahm – und spürten, dass hier Vergebung geschehen müsse.

In welchem Kreis kamen Sie zu diesen Erkenntnissen?
Es geschah in einer Gebetsgruppe, die ich zusammen mit dem Moderator unserer Konferenz leite. Die Lancaster Mennonite Conference besteht aus 200 Gemeinden in der Gegend von Lancaster in Pennsylvania; ich gehöre ihrem Exekutivkomitee an.

Die Treffen begannen vor etwa drei Jahren, und wir wurden gewahr, dass mehrere Probleme ihre Wurzel in der Schweiz haben. Wir merkten, dass wir zwar meinen, manches vergessen und darüber hinweggehen zu können.Aber Christus hat uns einen besseren Weg gewiesen durch sein Vorbild der Vergebung.

Zu dieser Zeit waren Sie noch nicht im Kontakt mit Reformierten aus der Schweiz?
Nein. Wir hatten keine Ahnung, dass zur selben Zeit in der Schweiz unter reformierten Pfarrern ein Prozess anlief, dass Gott ihnen aufs Herz legte, sich gegenüber Mennoniten und Täufern überhaupt zu öffnen und sie um Vergebung zu bitten. Während Gott an uns arbeitete, geschah dies in der Schweiz. Später brachte Gott uns zusammen; darum sind wir hier. Und nun wird um Verzeihung gebeten und Vergebung gewährt. So geschieht Wiederherstellung (restoration).

Im Mai 2003 führte die Stiftung Schleife in Winterthur eine Konferenz zur Begegnung und Versöhnung von Reformierten und Täufern durch. Wie bewerten Sie im Rückblick ihre Ergebnisse?
Ich empfinde, dass in der unsichtbaren Welt Durchbrüche geschahen, die weitere Schritte wie den Begegnungstag in Zürich vom 26. Juni 2004 möglich machten. Gott wirkte Neues in unseren Herzen. Ich stehe mit dieser Einschätzung nicht allein da. John L. Ruth teilt sie, einer unserer bekanntesten Theologen, der eine 1400 Seiten umfassende Geschichte der Lancaster-Mennoniten verfasst hat.

Er führt seit vielen Jahren Reisegruppen in die Schweiz und hat für wissenschaftliche Forschungen über Täufer (unter anderem schrieb er ein Buch über Conrad Grebel) längere Zeit hier verbracht. Winterthur erlebte er nicht mit, aber er hat später öffentlich geäussert, dass die Konferenz womöglich den bedeutendsten Versöhnungsprozess seit der Reformation eingeleitet hat. Seit Mai 2003 hat sich Ruth mehrfach in der Schweiz aufgehalten und dabei ein verändertes geistliches Klima gespürt.

In Winterthur brachte Janet Richards, eine Teilnehmerin aus Ihrem Bekanntenkreis, zum Ausdruck, dass sie unter einer strengen, freudlosen Erziehung gelitten hatte. Sie brachte sie in Zusammenhang mit der Härte, welche Täufer von Seiten des Staates erfuhren. Angesichts der Gefahr, in der sie lebten, neigten mennonitische Väter dazu, im Familienleben Ordnung umso konsequenter durchzusetzen. Janet Richards sagte, ihr sei durch Vergebung neue Freude zugeflossen. Haben Sie das auch erlebt?
Ich kann von mir selbst sagen, dass ich freigesetzt wurde. Wir stammen aus der Gegend von Schaffhausen. Zwölf Vorfahren der Familie Hoover sind im Märtyrerspiegel der Täufer als Blutzeugen aufgeführt. Die Verfolgung hat meinem Familienerbe Schmerz und Wunden eingeprägt.

Doch nun fühle ich mich frei wie nie zuvor, mich mitzuteilen in der Freude, die Gott schenkt, und kühner auf Menschen zuzugehen. Etwas Grundlegendes hat sich verändert in meinem Dienst. Er war früher gedämpft durch Ängste; meiner Meinung nach stammten sie von Haltungen meiner Vorfahren.

Im Rahmen der Winterthurer Konferenz vom Mai 2003 fand im Grossmünster ein Gottesdienst statt. Darin sprach der Zürcher reformierte Kirchenratspräsident Ruedi Reich eine Bitte um Vergebung aus. Ist sie in Ihrem Umfeld in den USA gehört worden?
Wir waren kaum heimgekehrt, da begann das Telefon zu läuten. Ich erhielt zahlreiche Anrufe von Leitern von Amischen-Gemeinden, die mich kennen, weil ich früher im Agro-Handel tätig war. Ich konnte Einzelnen vom Geschehenen erzählen, aber auch in einer grossen Versammlung von Amisch-Leitern Bericht geben. Und immer wieder hörte ich aus tiefem Herzen: „Wir müssen diese Botschaft der Vergebung hören und verstehen; wir leben nicht im Geist der Versöhnung.“ Der Bericht liess sie eine tiefsitzende, bisher unbewusste Unversöhntheit erkennen, die ihre Wurzeln im 16. und 17. Jahrhundert in der Schweiz hat.

Manche Leiter staunen darüber, dass die reformierte Kirche hier um Versöhnung nachsucht. Es berührt sie tief. Wir sehen, wie wichtig es ist, Verwundungen zu erkennen und sie bewusst zu machen, auch wenn das Geschehen weit zurückliegt – und sie nach dem Vorbild von Jesus zu behandeln. Er bietet Versöhnung an. Wir können die Vergangenheit nicht einfach vergessen und weiter gehen.

475 Jahre haben nicht genügt, um den Schmerz loszuwerden. Durch die Vergebung, die Jesus Christus uns gewährt, gibt es einen besseren Weg. Wir sind daran, ihn zu beschreiten und heil zu werden. Er ruft uns in die Gemeinschaft. Er steht im Zentrum und verändert die Herzen, so dass wir vergeben.

Fortsetzung folgt

Berichte vom Begegnungstag:
"Meilenstein auf dem Weg der Versöhnung“

Begegnungstag von Reformierten und Täufern in Zürich

Webseite der Lancaster Mennonite Conference:
www.lanmenconf.org/

Datum: 10.07.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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