Fachtagung für Seniorenarbeit

Alte Eltern – erwachsene Kinder

Wie können erwachsene Kinder und alte Eltern in gegenseitigem Respekt miteinander verbunden bleiben? Antworten dazu gab Bettina Ugolini an einer Fachtagung für Seniorenarbeit der EMK Ende März. 
alte Eltern, erwachsene Kinder

Bettina Ugolini leitet die Beratungsstelle «Leben im Alter» am Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich. Ugolini zeigte auf, dass die durchschnittliche Lebenserwartung markant gestiegen ist. Vor 100 Jahren wurden Menschen durchschnittlich 48 Jahre alt. Heute beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung 82,4 Jahre. «Wir haben in den Familien heute mehr Beziehungen in der ‹Höhe› als in der ‹Breite›», sagte Ugolini und erläuterte mit einem Beispiel: In ihrer Kindheit sei es eine bemerkenswerte Ausnahme gewesen, wenn ein Kind seine Urgrossmutter noch gekannt habe. Heute ist das für viele Kinder normal. Die Zahl der Geschwister, Cousins und Cousinen ist heute dagegen verhältnismässig klein.

«Ausbalancierte Verbundenheit»

Als «ausbalancierte Verbundenheit» oder als eine Begegnung «auf Augenhöhe» beschrieb Bettina Ugolini die Beziehung zwischen den altgewordenen Eltern und ihren Erwachsenen Kindern im Idealfall. Wie aber wird das möglich – wenn die Mutter ihre Tochter dauernd mit irgendwelchen Kleinigkeiten in Beschlag nimmt? Wie finden Mutter und Tochter zu ausbalancierter Verbundenheit – wenn die Tochter ihre Mutter dauernd mit Vorschlägen, Angeboten, Kursen «bemuttert»?

In der anschliessenden Gesprächszeit wurde deutlich: Kinder und Eltern durchlaufen einen Reifungsprozess. In ihrer Beziehung zu den Eltern gereifte Kinder seien sich der wesentlichen positiven und negativen Prägung durch die Eltern bewusst, so Ugolini. Sie könnten sich einfühlen in die schwächer werdenden Eltern. Zugleich seien sie emotional selbständig und gewiss, dass die Beziehung zu ihren Eltern tragfähig ist, auch wenn sie sich hier und da gegenüber den Eltern abgrenzen. Ihren Eltern wendeten sie sich freiwillig zu.

Miteinander reifen

Auch Eltern können in der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern reifen. Für Bettina Ugolini gehört dazu, dass sie ihre eigene Situation akzeptieren. Das beinhalte auch, dass sie lernen, die Verantwortung der Kinder anzunehmen. Während lange Zeit das Verhältnis zwischen Eltern und herangewachsenen Kindern ein gegenseitiges Geben und Nehmen ist, sei im Alter zu lernen, dass das Verhältnis ungleich geworden ist. Andere Formen des Austauschs müssten gefunden werden. «Ich brauche keine Oma, die mir etwas gibt», sagte Ugolini, um das zu illustrieren. «Ich brauche eine Oma, die da ist.»

Wichtig auf dem Weg zu einer ausbalancierten Verbundenheit sei, dass Eltern und Kinder miteinander über ihre Erwartungen und Wünsche reden. Dabei gelte es, Grenzen einzuhalten, also sich selbst nicht zu überfordern – und das Gegenüber nicht zu überfahren. Und immer und immer wieder gelte es, das zu entdecken und zu respektieren, was möglich ist.

Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise von der Zeitschrift Kirche und Welt zur Verfügung gestellt. Er wurde von der Redaktion leicht bearbeitet und gekürzt.

Datum: 20.06.2013
Autor: Sigmar Friedrich
Quelle: Kirche und Welt

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