Täufer

Märtyrer im Mittelland

Die Täufer wollten die Bibel selbst lesen und lehren und leben – und sie hielten der jungen reformierten Staatskirche den Spiegel vor. Ein einzigartiger neuer Quellenband entführt in das 16. Jahrhundert, in dem Schweizerinnen und Schweizer zwischen Baden und Biel sich ihres Glaubens wegen zu Hunderten verhaften, verhören und misshandeln liessen.
Unruhe im Dorf: Die Täuferbewegung
Der Lebenswelt des 16. Jahrhunderts auf der Spur: Martin Haas.
Zürich ging voran, Bern folgte bald: Ertränkung von Heini Reimann und Jakob Falk in der Limmat, 1528.
Die Täufer sahen sich auf dem Weg von Christus und nahmen Leiden auf sich (Trub, 2007).
Mehr Forscher für die Täufergeschichte gewünscht: Prof. Emidio Campi gratulierte Haas zur Vollendung des Projekts.
Der täuferische Märtyrerspiegel von Braght im Lesesaal der Zentralbibliothek Zürich.
Mobile Brüder: Hans-Rudolf Lavater referierte über das weitverzweigte Netzwerk der frühen Täufer.

Wie heute in China oder Vietnam, standen damals Christen im Schweizer Mittelland vor Gericht, weil sie durch ihre Spiritualität auffielen und den Herrschern die Stirn boten. Einer der ersten, der Täuferlehrer Pfistermeyer, 1527 in Basel verhört, gab zu Protokoll,

er hore kein predig, les aber das wort gottes; dann es stannde so luter und clar, das er gnuegsam ersettigt sy. (Quelle 63)

Zum Emmentaler Täuferjahr 2007 hat es nicht mehr gereicht, aber gewichtiger könnte der neuste Beitrag zum Verständnis der Bewegung, welche sich in der Reformationszeit auch an Aare und Emme ausbreitete, kaum sein: Über 1200 Quellen, die das frühe Täufertum in den Kantonen Bern, Solothurn und Aargau erhellen, hat der Winterthurer Historiker Martin Haas zusammengetragen.

Unzimperlich

Es ging dabei um Leib und Leben. Zwar standen nach den ersten Wellen härtester Repression wieder „Eid, Verbannung, Halseisen, Gefängnis und Bussen“ im Vordergrund, wie Haas schreibt. Doch ein Berner Formular für das Todesurteil, vermutlich von 1541, zeigt, wie man mit Täuferlehrern zu verfahren gedachte:

Dieser N ist ouch der ungehorsamen lüthen vorstender, leerer unnd redlingsfürer gesin unnd [hat] sovill abzefürenn unnd ungehorsam zu machenn fürgenommenn.

Wegen dieser Übeltat sei er dem Scharfrichter zu übergeben,

der inn obenuss uff gewonnliche richtstatt fueren, ime daselbs sin houpt abschlachen unnnd inne allso als einen ungehorsamen unnd desshalb uffruerischen man mit dem schwärt vom läben zum todt nach khristenlichem rechten richten soll. (1054)

Der Quellenband kommentiert den Märtyrerspiegel von T.J.V. Braght, der für Bern bis 1571 vierzig Blutzeugen aufführt, und enthält auch das bis heute bewegende Haslibacher-Lied mit seinen 32 Strophen. Sonst finden sich nur wenige Dutzend private Briefe und freie Äusserungen täuferischen Glaubens; fast 93 Prozent der Quellen sind amtliche Stücke, bilden die Wahrnehmung und Massnahmen der Gnädigen Herren von Bern und ihrer Amtleute ab. Doch auch mit diesen Texten wird die Lebenswelt jener Zeit fassbar: das Ringen um die Wahrheit und ein Gott gefälliges Leben, um eine reine Kirche, um stabile Herrschaft in unruhiger Zeit.

Brüder und Schwestern

Die Täufer stellten der Staatskirche ein Modell intensiver Gemeinschaft entgegen, wie die Gemeindeordnung der Täufer in Bern vermutlich von 1527 zeigt:

Zum ersten sollend die bruoder und schwestern uffs wenigist die wochen dry oder fier mal zusammenkumen und sich ueben in der ler Christi und siner apostel und einander hertzlich ermanen am herren, wie sy gelobt hand bestendig zuo beliben. Zum anderen: Wenn die brueder und schwestern by einanderen sind, soellend sy etwas für sich nehmen zuo lesen. Welchem gott den besten verstandt geben hat, der sol es usslegen. Die anderen aber sollend schwigen und hoeren, uff das nit zwen oder try ein sunderlich gesprech fürhalten und die anderen verhindern. Der psalter soll teglich by inen gelesen werden.(1049)

Dieser freikirchliche Ansatz wurde im Stadtstaat, der im Zuge der Reformation Macht und Eigenständigkeit gewann, nicht geduldet – und dabei blieb es während über 200 Jahren. Die täuferisch gesinnten Untertanen sollten zurechtgebracht werden und vor Gott schwören (die Frauen geloben), dass sie alle Gebote der Obrigkeit befolgen und der reformierten Lehre folgen würden,

namlich, das sy die predig in ihrer ordenlichen pfarkilchenn zum wenigsten alle sontag bsuochen unnd hören, ihre junggebornen kind fürderlich innerthalb acht oder vierzächen tagen ungvarlich zum heilligen touff schicken und den predicanten selb um den thouff ansuochen… (1056)

Ins 16. Jahrhundert versetzt

An der Vernissage in der Zentralbibliothek Zürich am Dienstag würdigte Emidio Campi, Professor für Kirchengeschichte an der Universität, das 720-seitige Buch als „gewichtigen Beitrag zur Geschichte der Täufer in der Schweiz“. Martin Haas sei es mit seinem anthropologischen Sensorium und dem Sinn für Zusammenhänge gelungen, „die geistige Atmosphäre des 16. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen“. Der Band, laut Campi „ein geglückter Balanceakt zwischen editorischer Sorgfalt und Leserfreundlichkeit“, gebe zahlreiche Anregungen für die Beschäftigung mit der Epoche.

Was lange währt…

Martin Haas hatte das Projekt 1963 (!) von Leonhard von Muralt übernommen, aber auch wegen seiner politischen Laufbahn (Stadtpräsident von Winterthur) erst in den letzten Jahren durchführen und nun, 70jährig, abschliessen können. Der Berner Theologe Hans-Rudolf Lavater ergänzte die Quellen und brachte in den Kommentaren seine immense Detailkenntnis ein. An der Vernissage schilderte Lavater die enge Vernetzung der ersten Täufer (Zürich, Waldshut, Basel, Aarau, Bern), ihre Verbindungen nach Österreich und Mähren und ihre pazifistische Ausrichtung.

Noch viel unbeackertes Land

Das Buch setzt eine Reihe von Quellenbänden fort (Zürich bis 1533, Ostschweiz, Täufergespräche in Bern und Zofingen). Mit einer Edition der späteren Zürcher Quellen ist erst in einigen Jahren zu rechnen; Urs Leu und Christian Scheidegger, die sie erforschen, haben letztes Jahr einen gehaltvollen Band mit Einzelstudien herausgegeben. Für den Berner Herrschaftsbereich ist kein weiterer Quellenband geplant, doch will Hanspeter Jecker seine Forschungen zum 17. und 18. Jahrhundert zu einer Gesamtdarstellung verarbeiten.

Originalität der Täufer

Für den, der sich im nun vorliegenden Buch nicht durch die Hunderte chronologisch angeordneten, sorgfältig verwobenen Fragmente lesen will, bietet das Sachregister raschen Zugang zu bestimmten Themen täuferischer Frömmigkeit und Gemeindeordnung, z.B. zu Ehe und Ehescheidung, Gütergemeinschaft, Freundschaft und Absonderung und zahlreichen Aspekten des Gemeindelebens. Weitere Register führen die Personen und Orte auf.

Ob der Theologische Verlag Zürich nach dem enormen Interesse am Emmentaler Täuferjahr gut beraten war, bloss 400 Exemplare zu drucken? Daraus erklärt sich auch der hohe Preis von 160 Franken. Er ist in Bezug zu setzen zur Leistung des Buchs. Es überbrückt fast 500 Jahre und bringt uns Väter und Mütter im Glauben nahe, die im Schweizer Mittelland evangelisierten, freie Gemeinde wagten, füreinander sorgten und alles hergaben, um Christus treu nachzufolgen.

Martin Haas (Hrsg.)
Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz
Dritter Band
Kantone Aargau, Bern, Solothurn
Quellen bis 1560
Theologischer Verlag Zürich, 2008
ISBN 3-978-3-290-17319-7

Datum: 25.04.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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