"Paulus wieder lesbar machen"

"Paulus finden nicht alle toll": Herbert Kohler.
‚Glanz' statt ‚Herrlichkeit': Esther Straubs Frauenlesegruppe schlug Alternativen vor.

Der umstrittenste, wohl auch sperrigste Teil des Neuen Testaments sind die Paulus-Briefe. Livenet hat bei Pfr. Dr. Herbert Kohler, der die Übersetzung der Zürcher Bibel koordinierte, nachgefragt.

Livenet: Herbert Kohler, die bisherige Übersetzung der Paulus-Briefe ist als ‚ledern' bezeichnet worden. Wie sind Sie mit den Texten umgegangen?
Herbert Kohler: Paulus bleibt auch in unserer Übersetzung durchaus ein schwieriger Autor. Er hat Gedanken formuliert, die uns nicht einfach nahe sind. Wenn Sie in einem Gottesdienst die Texte hören, auch in der neuen Übersetzung, gehen diese nicht von selbst ein. Aber man kann sich hineinhören. Wir haben einiges flüssiger gemacht. Dadurch ist Paulus noch nicht ein Autor, den alle toll finden.

Man muss ihn im Zusammenhang lesen, ihn deuten, sich mit ihm auseinandersetzen. Er argumentiert und diskutiert; das ist anspruchsvoll. Bei Paulus stösst man sich ständig an den Begriffen: Was ist das Gesetz, die Werke des Gesetzes, Versöhnung, Reinheit? Ein religiöser Kosmos geht da auf, den wir eigentlich nicht vollständig übersetzen können. Sprachlich soll er nicht sperrig daher kommen. Aber auch nicht so, dass man ihn einfach versteht.

Wie haben Sie den längsten Satz des Neuen Testament, Epheser 1,3-14, übersetzt?
Da haben wir natürlich Ruhebänklein eingesetzt. Die Lobpreissprache der ersten Christen sind wir heute nicht mehr gewohnt.Wir haben auch im Eingang des Lukasevangeliums (1,1-4 ist im Griechischen ein Satz) in der Mitte einen Punkt gesetzt. Dies weil man es den Lesern heute nicht mehr zumuten kann - sie verlieren den Gedanken. Aber zu viele Ruhebänklein sind vermieden. Der Text darf nicht kurzatmig werden…

…und soll die Hauptbegriffe in ihren Bezügen korrekt abbilden. Auch das griechische Wort ‚doxa', das in feministischer Perspektive nicht mehr ‚Herrlichkeit' heissen sollte.
Wir übersetzen mit ‚Herrlichkeit' und ‚Glanz'. Das erste Wort haben wir nicht ausgelassen, weil es von der Tradition her in die Gottesvorstellung gehört. Auch ‚Majestät' haben stand zur Auswahl. Wir geben Gottesvorstellungen wieder, die uns nicht nahe liegen. Die Menschen des Alten Testaments stellten sich Gott in einem gewissen Sinn als König vor. In den Psalmen finden sich viele entsprechende Ausdrücke, die uns fremd sind. Aber wenn man sich durch das fortwährende Lesen daran gewöhnt, kann man sich auch damit umgehen. Und man verliert dadurch nichts, denn die Bilder - gerade in den Psalmen - sind so kräftig, dass sie auch das Anstössige überleben.

Paulus wurde von Juden angefeindet. Und so schrieb er den Thessalonichern, sie hinderten die Christen daran, "den Völkern das Wort zu verkündigen… Aber schon ist der Zorn über sie gekommen in seinem vollen Ausmass" (2,16). Man hat früher auch übersetzt: zum Ende hin - was anti-jüdisch missbraucht werden konnte.
Wir haben versucht, nicht zu übertreiben und die Schärfe in einem verantwortbaren Mass zurückzunehmen. Das ist immer umstritten. Die einen werden sagen, wir hätten dem Text etwas genommen; andere werden immer noch Anstoss nehmen an soviel Schärfe gegenüber Juden. In Johannes 8 haben wir die scharfen Worte von Jesus zu seinen Jerusalemer Kritikern auch nicht geschönt.

In den 1970er Jahren hatte die Zürcher Bibel noch zwei Drittel des Bibelverkaufs in der Schweiz? Wird sie wieder zur meistgelesenen?
Ich wage keine Prognose, aber bin sehr gespannt auf die Reaktionen. Auch darauf, welche Aufnahme die Übersetzung in Deutschland findet. Kann sein, dass einzelne Bücher als Juwelen, als Perlen aufscheinen, die besonders gut geglückt sind.

2006 ging der Film Da-Vinci-Code um die Welt. Unbedarft werden Schriften, die Jahrhunderte nach den Evangelien der Bibel entstanden, gegen sie ins Feld geführt. Sollte auf die gewaltige Arbeit, die Sie geleistet haben, nun noch eine populäre Kampagne folgen, die die vier Evangelien der Bibel als unseren wahren Schatz präsentiert?
Die Leute stürzen sich auf Neues. Ich warte ab; rasch ist die Welle vorbei. Die Interessierten würden besser daran tun, sich in ein Buch der Bibel zu vertiefen. Nun gibt es tatsächlich noch umwälzende Entdeckungen - denken Sie an Qumran. Aber oft wird grundlos eine Sensation behauptet. Es ist Zeit, die Bibel zu lesen.

Artikel zum Thema: Das wichtigste Buch

Datum: 23.06.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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