Codex Sinaiticus: Die älteste Bibel kommt ins Internet
Für die Bibel nur das Beste. Das war damals Schreibgerät aus Schwanenfedern, Eichengalle für die Tinte und Ziegenleder als Speichermedium. Damit schrieben zu Zeiten von Kaiser Konstantin dem Grossen drei Gelehrte den sogenannten Codex Sinaiticus, die älteste Bibel der Welt. Seine Einzelblätter, die heute über Europa verstreut sind, werden nun aber fürs Internet wieder zusammengefügt.
Das geht auch heute nicht ohne HighTech. In der ägyptischen Wüste erfasst Bruder Justin Sinaites mit einer 75-Megapixel-Kamera „seine“ Teile dieser uralten Handschrift. In London hat der Kurator der British Library, Scott McKendrick, die anderen Blätter aus dem klimatisierten Glaspanzer hervorgeholt und sie ebenfalls digitalisiert. Mit wissenschaftlichen Anmerkungen versehen, sind sie nach Abschluss der Projektarbeiten im Internet für jedermann einsehbar und können die Forschung weiter beflügeln.
Die Bibel aus dem Abfalleimer
Mitte des 19. Jahrhunderts war der deutsche Gelehrte Friedrich Constantin Tischendorf mehrmals ins Katharinenkloster gereist. Sein Anliegen war überraschend modern: Durch das viele durch Kopieren und Übersetzen im Laufe der Jahrhunderte könnte das Neue Testament stark verändert worden sein. Originale oder wenigstens möglichst alte Handschriften würden zu einer neuen Gewissheit verhelfen. Dafür durchsuchte er im Jahr 1844 das gesamte Kloster. Kurz vor seiner Abreise machte in einem Papierkorb den, wie er später bekannte, bedeutendsten Fund seiner 20jährigen Forschertätigkeit: 43 Pergamentblätter mit griechischen Übersetzungen des Alten Testaments. Er konnte sie nach Leipzig mitnehmen. Zwei andere Haufen seien kurz vorher als vermeintlicher Abfall verbrannt worden.
Noch mehr Einsatz brauchte es 15 Jahre später, als er in einem Nebenraum das vollständige Neue Testament entdeckte. Diese Handschrift wurde seinem Sponsor, dem russischen Zaren, als Leihgabe zur Verfügung gestellt. 1933 verkaufte sie die Sowjetregierung nach London.
Die Abweichungen sind gering
Der Codex Sinaiticus umfasst das gesamte Neue Testament, ergänzt mit zwei weiteren Schriften: dem „Hirten des Hermas“ (einer umfangreichen Schrift mit frühchristlichen Visionen) und dem Lehrschreiben „Brief des Barnabas“. Vom Alten Testament ist etwa die Hälfte erhalten. Die Abschriften aus dem Katharinenkloster belegen die grosse Sorgfalt, mit der die Bibel tradiert wurde. Sie weichen nur an wenigen Stellen von späteren Handschriften und Parallel-Überlieferungen ab. Diese werden von den Wissenschaftlern textkritisch untersucht.
Wen diese 407 erhaltenen Seiten aus dem Sinai demnächst im Internet öffentlich zugänglich sind, wird damit ein Stück biblischer Überlieferungsgeschichte transparent gemacht. Das gewährt einen faszinierenden Einblick ins alte Christentum und kann das Vertrauen in heutige Übersetzungen stärken.
Datum: 05.04.2005
Quelle: Livenet.ch