25 Jahre Beth Shalom

„Heute verwahrlosen Suchtkranke innerlich“

Sucht ist nicht Schicksal und der Aufwand für den Ausstieg lohnt sich. Die Fachklinik für Drogenentzug und Krisenintervention „Beth Shalom“ in Dinhard bei Winterthur hat im September ihr 25-jähriges Bestehen gefeiert. In der Zeitschrift der christlichen Quellenhofstiftung, zu der Beth Shalom gehört, blickt ihr Leiter Andreas Graber zurück und nach vorn.
„Heute ist die Leidensbereitschaft klein“: Andreas Graber, Leiter von Beth Shalom.
Betreuung rund um die Uhr: das Team von Beth Shalom.
Freizeit mit Tieren dient der Entspannung im Entzug.
Im Dorf: Beth Shalom befindet sich in Dinhard nordöstlich von Winterthur.

1985 hat die Geschichte dieses Hauses begonnen. Wie war das damals?
Andreas Graber:
Als Antwort auf die akute Drogenproblematik und die offene Drogenszene am Platzspitz gründete Heilsarmee-Kommissärin Aase Marti-Jörgensen zusammen mit einem Team 1985 die Drogenentzugsstation „Beth Shalom“. In einer Wohnung in Zürich Höngg wurden drei Entzugsplätze angeboten. 1992 übernahm die Quellenhof-Stiftung die operative Leitung des „Beth Shalom“ und zügelte in die „Pilgerhütte“, ein altes Bauernhaus in Zürich-Höngg. Fortan konnte man acht Entzugsplätze anbieten. 1996 kamen mit der Schliessung des „Letten“, des damaligen Zürcher Drogenumschlagplatzes, und einer Kehrtwende in der Politik grosse Veränderungen.

Was waren das für Veränderungen?
Bund und Kantone schlugen mit dem Vier-Säulen-Modell (Prävention /  Therapie / Überlebenshilfe / Repression), das bis heute Gültigkeit hat, neue Wege in der Drogenpolitik ein. Es ging darum, die Jugend vor Drogen und die Bevölkerung vor den Auswirkungen des Drogenproblems zu schützen. Methadon- und Heroinabgabe veränderten die Situation von Entzugs- und Therapieeinrichtungen.
1997 und 1998 hatten wir die tiefste Auslastung seit Bestehen des Hauses. Dies bewog uns, mit der Entzugsklinik Beth Shalom nach Dinhard zu ziehen, um stiftungsintern Synergien zu nutzen. Abstinenz und kalter Drogenentzug waren nicht mehr der Königsweg. Auch wir begannen, unsere Entzüge mit Methadon- und Medikamentenunterstützung durchzuführen.

Haben sich dadurch die Erfolgs-Chancen verändert?
Früher, als man vom ersten Tag an ohne jede Substanz auskommen musste, war der Entzug kurz und heftig. Heute ist die Leidensbereitschaft klein. Mit Medikamentenunterstützung dauern die Entzüge länger, sind aber humaner und die Erfolgs-Chancen sind eher gestiegen. Die Schritte wurden kleiner und langsamer, dafür jedoch sicherer. Heute sind die Suchtkranken während vier bis acht Wochen bei uns. So haben wir länger Zeit, ihnen vom guten Geist unseres Hauses etwas mitzugeben.

Was steht hinter der Bezeichnung „Fachklinik“?
Wir sind auf der Spitalliste des Kantons Zürich und haben mit unserem Fachpersonal die notwendigen Mitarbeiterqualifikationen. Die Betriebsbewilligung und auch finanzielle Beiträge erhalten wir von der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich.

Wie muss man sich Entzugsteilnehmer vorstellen, wenn sie ins «Beth Shalom» eintreten?

Das Bild des akut Drogensüchtigen von damals, der auf der Strasse lebt und völlig verwahrlost ankommt, gibt es kaum mehr. Die meisten Süchtigen sind in irgendwelche sozialen Programme wie Sozialwohnung oder betreutes Wohnen eingebunden. Manche sind suchtkrank und funktionieren trotzdem mehr oder weniger in einem nach aussen hin normalen Alltag. Ihre Verwahrlosung ist innerlich.
Ausserdem besteht meistens eine Dualdiagnose: Viele Menschen haben ein psychisches Problem und werden süchtig, weil sie mit einer Substanz ihre innere Unruhe und ihren Schmerz betäuben müssen. Solche Patienten machen bei uns einen Medikamentenabbau.

Der Entzug ist ja erst ein kleiner Anfang. Wie wird jemand wirklich lebenslang suchtfrei?

Der Entzug ist ein erster Schritt in einen Veränderungsprozess. Das Beth Shalom versteht sich als Brücke zur Therapie. In einem Jahr Therapie können neue Muster eingeübt werden, was eine gute Grundlage bildet, um drogenfrei zu bleiben. Wenn später normale Schwierigkeiten im Leben auftauchen, ist das jeweils der Knackpunkt, wo das Gelernte auf die Probe gestellt wird.

‚Beth Shalom‘ bedeutet ja Haus des Friedens. Wie steht es um den Hausfrieden bei euch?
Der Name ist Hebräisch und wurde unserer Klinik 1985 von der Heilsarmee gegeben. Der Name ist vielleicht gewöhnungsbedürftig, doch eigentlich wirklich gut: Wir möchten ja, dass unsere Teilnehmenden von diesem Getriebensein loskommen, ruhig werden und Frieden finden.

Ist der Glaube eine Ersatzdroge?

Nein, das kann er nicht sein. Wir Mitarbeitenden leben unseren christlichen Glauben so transparent wie möglich und geben dadurch etwas von den Werten mit, nach denen wir selber leben. Es steht den Teilnehmenden frei, was sie damit machen. Wichtige Schritte, die daraus erfolgen würden, wären z.B. Ehrlichkeit und Versöhnung mit den Angehörigen.

Wie steht es um die Anerkennung eures christlichen Hauses bei den Behörden?
Wir sind gut vernetzt. Aufgrund der Zuweisungen merken wir, dass wir unter den sozialen Angeboten eine gefragte Ergänzung sind, die von diversen Stellen gerne genutzt wird.

Die Auslastung des «Beth Shalom» ist mit 98% sehr hoch. Wie kommt das?

Da spielen viele Faktoren mit. Sicher unser kompetentes Team und unser Sozialdienst, der sehr gute Arbeit leistet. Weiter tragen die gute Vernetzung und der Bekanntheitsgrad der Stiftung sowie die Anerkennung als Fachklinik dazu bei.

Braucht es das «Beth Shalom» auch in den nächsten 25 Jahren?
Unbedingt. Besonders Jugendliche werden uns in Zukunft beschäftigen. Werteverlust und soziale Verwahrlosung sind in der Altersgruppe 14- bis 18-jährig zunehmend. Der Cannabis- und Alkoholkonsum immer jüngerer Teenager ist besorgniserregend. Zudem ist das Beth Shalom das Eingangstor oder die „Intensivstation“ der Quellenhof-Stiftung. Die meisten Teilnehmenden haben suchtbedingte und/oder psychische Probleme und kommen deshalb via Beth Shalom in unsere anderen Einrichtungen. Deshalb braucht es uns auch weiterhin.

Website

«Beth Shalom» in Kürze

Die Fachklinik für Drogenentzug und Krisenintervention «Beth Shalom» in Dinhard versteht sich als Brücke zwischen «Gasse» und Therapie. Abhängige von harten Drogen, Methadon und Cannabis sowie Mehrfachabhängige können hier den körperlichen Entzug machen. Nach Absprache werden auch Alkohol- und Medikamentententzüge sowie Kriseninterventionen für Menschen in Notfallsituationen durchgeführt. Die Aufenthaltsdauer liegt normalerweise bei drei bis sechs Wochen.
Ziele sind einerseits der körperliche Drogenentzug und andererseits die gemeinsame Abklärung und Vorbereitung eines individuell geeigneten Anschlussprogrammes. Das Betreuungsangebot umfasst 365 Tage/24 Stunden Intensiv-Betreuung, medizinische Versorgung durch Klinikarzt und Pflegepersonal, familiärer Charakter, strukturierter Tagesablauf, Seelsorge, Einzel- und Gruppengespräche, Zusammenarbeit mit Behörden und Justiz.
Für die vier Entzugs- und zwei Übergangsplätze stehen Einzel- und Doppelzimmer zur Verfügung. Die Klinik ist mit zwei Aufenthaltsräumen, Sonnenterrasse, Fitnessraum, Kreativatelier, Massagesesseln und weiteren Freizeitangeboten ideal eingerichtet.
Die Statistik weist für 1985-2010 bei 28‘620 Pflegetagen 1971 Infogespräche, 1415 Eintritte, 676 Abbrüche und 717 reguläre Austritte bzw. Übertritte aus. „Und jeder Übertritt zeigt, dass Veränderung möglich ist.“
 

Datum: 19.10.2010
Autor: Esther Reutimann
Quelle: Quellenhof-Stiftung, Bearbeitung Livenet

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung