Schau zu dir und nicht ins Glas: enorme soziale Kosten des Alkoholmissbrauchs in der Schweiz

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Der Alkohol verursacht in unserer Gesellschaft unsägliches Leid. Die materiellen Kosten des Alkoholmissbrauchs in der Schweiz sind seit langem bekannt und auch beziffert worden. Darunter fallen medizinische Behandlungen, Sachschäden und Arbeitsjahre, die wegen Arbeitslosigkeit, Invalidität und Tod verloren gehen.

Allein durch vorzeitigen Tod wegen Alkoholmissbrauchs verliert die Schweizer Wirtschaft 28'500 produktive Lebensjahre. Bei Männern dürfte jeder vierte und bei Frauen jeder achte tödliche Verkehrsunfall auf Alkohol zurückzuführen sein. Nicht weniger als 800'000 Arztbesuche und 500'000 Krankenhaustage sind auf den übermässigen Konsum der Volksdroge zurückzuführen.

Bei 300'000 Alkoholabhängigen kosten die genannten Faktoren die Gesellschaft im Jahr gegen 2200 Millionen Franken. Jene, die mit missbräuchlichem Trinken in die Abhängigkeit steuern, sind hier nicht eingerechnet.

Daher vermutet Hans-Jörg Surber, Geschäftsführer des Blauen Kreuzes in Zürich, dass die Kosten tatsächlich höher liegen. Er hofft, dass die Studie der Neigung, die Dimensionen der Alkoholabhängigkeit zu bagatellisieren, einen Riegel schiebt.

Immaterielle Kosten doppelt so hoch

Doch der Alkohol richtet noch ganz andere Schäden an: Die immateriellen Kosten dürften doppelt so hoch liegen. Eine neue Studie, vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegeben und vom Neuenburger Institut für Wirtschafts- und Regionalforschung (IRER) mit Hilfe anderer Experten erstellt, wagt eine quantitative Schätzung dieser Kosten.

Wie Prof. Claude Jeanrenaud vom IRER umschreibt, verringern „die soziale Ausgrenzung der Alkoholabhängigen, das Leid der Angehörigen sowie psychische Störungen der Ehegatten und Kinder die Lebensqualität der Betroffenen“. Die Forscher suchten diesen Verlust an Lebensqualität zu ermitteln. Die Befragten, eine für die Gesamtbevölkerung repräsentative Gruppe, gaben an, wieviel sie zu opfern bereit wären, um nicht eine der Krankheiten erleiden zu müssen, die bei Alkoholmissbrauch auftreten.

Schwierig zu beziffern

Eine weitere Stichprobe von 240 Personen wurde gefragt, wieviel Geld sie hergeben würden, um nicht mit einem alkoholabhängigen Menschen leben zu müssen. „Diese Zahlungsbereitschaft entspricht dem Gegenwert des Verlusts an Lebensqualität, den eine Familie im Durchschnitt wegen der Alkoholabhängigkeit eines ihrer Mitglieder erleidet.“ Das Ergebnis (5800 Franken pro Jahr) wurde auf die 300'000 Alkoholabhängigen hochgerechnet.

Insgesamt belaufen sich die immateriellen Kosten für die Schweiz auf nicht weniger als 4300 Millionen Franken im Jahr. „Sie widerspiegeln das körperliche und seelische Leid der gesundheitsgeschädigten Personen sowie der Angehörigen von Alkoholabhängigen.“ Wenn man die materiellen Kosten dazurechnet, werden „dem Volkseinkommen der Schweiz durch Alkoholschäden jährlich 6,5 Milliarden Franken entzogen – beinahe 900 Franken pro Einwohner“.

Prof. Jürgen Rehm vom Institut für Suchtforschung in Zürich bezeichnete bei der Vorstellung der Studie in Bern diese Zahlen als sehr hoch. Die Schweiz liege damit in der Gruppe der Länder mit den höchsten sozialen Kosten. Dabei habe man die direkten (materiellen) Kosten recht konservativ geschätzt.

Hans-Jörg Surber vom Blauen Kreuz in Zürich verweist gegenüber Livenet auf eine andere Folge, die nicht berechenbar ist: Kinder aus Alkoholikerfamilien sind besonders suchtgefährdet.

Was ist zu tun?

Richard Müller, Leiter der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme, forderte vor den Medien eine nationale Alkoholpolitik und darin „eine sozialkostendeckende Besteuerung aller alkoholischer Getränke“, auch des Weins, der bisher nicht besteuert wird.

Weiter verlangte Müller einen verbesserten Jugendschutz (Verkauf von Alcopops!), eine gemeindenahe Prävention und die Bewahrung des gut ausgebauten Behandlungsnetzes im Land. Die Kantone müssten für die Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs mehr tun.

Beunruhigende Trends

Bei Schweizer Jugendlichen steigt die Häufigkeit des Rauschtrinkens an; 2001 konsumierten die über 15-jährigen Schweizer im Durchschnitt 11 Liter reinen Alkohols. Der Anteil der Alkoholabhängigen unter den 20-30-jährigen nimmt deutlich zu; sie „müssen trinken, um sich wohlzufühlen und den Alltag zu meistern“. Der Jugendalkoholismus macht immer mehr Leuten Sorge, sagt Frank Plopa vom Zürcher Blauen Kreuz nach einem Wettbewerb an der Züspa.

Die Studie legt dar, dass ein ganz geringer Alkoholkonsum den Herzkranzgefässen zuträglich ist und der Gefahr eines Hirnschlags vorbeugt. Aber: „Ab einem Konsum von 40 Gramm/Tag (4 Glas) bei Männern und 20 Gramm/Tag (2 Glas) bei Frauen liegt bereits ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko vor.“

Das Blaue Kreuz – grösste private Organisation

Aus diesem Grund kennt das Schweizerische Blaue Kreuz, die grösste private Organisation zur Bekämpfung der Alkoholabhängigkeit, auch zwei Mitgliedschaften: Es ruft zur völligen Abstinenz auf. Diese wird Ex-Alkoholikern dringend angeraten, weil auch kleinste Mengen der Volksdroge Geheilte weit zurückwerfen. Daneben kennt das Blaue Kreuz eine Solidar-Mitgliedschaft, eine Selbstverpflichtung zu massvollem Konsum (von allen Suchtmitteln, nicht nur von Alkohol) und verantwortungsvollem Verhalten.

Das Blaue Kreuz, 1877 in der Schweiz gegründet, leistet Hilfe an alkoholabhängigen Menschen und engagiert sich vermehrt auch in der Prävention unter Jugendlichen, wie die Webseite zeigt.

Die christliche Grundlage kommt laut Hans-Jörg Surber darin zum Ausdruck, dass die Blaukreuz-Mitarbeiter den Abhängigen von der Hoffnung auf Christus her Mut machen, in ihrem Ringen um Suchtfreiheit nicht aufzugeben. Das Blaue Kreuz versteht sich als diakonisches Werk der christlichen Kirchen, „jedoch konfessionell unabhängig und politisch neutral“.

Volkswirtschaftlich noch verheerender: der Tabakmissbrauch

Laut den Forschern des IRER sind die materiellen Kosten (für die immateriellen gibt es erst in Australien eine vergleichbare Studie) mit denen in Nachbarländern vergleichbar, wenn man den Aufwand pro Einwohner rechnet. Sie betragen 1,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Das Neuenburger Team vergleicht die Alkoholzahlen auch mit denen des Tabakmissbrauchs, die Gegenstand einer 1998 veröffentlichten Untersuchung waren. Der blaue Dunst kostete die Allgemeinheit im Jahr 1995 10 Milliarden Franken. Dies erklärt sich aus der hohen Zahl der Raucher (fast zwei Millionen in der Schweiz) und der Tatsache, dass das Rauchen in jedem Fall schädlich ist. „Der Tabak verursacht viermal mehr vorzeitige Todesfälle und einen doppelt so hohen Verlust an produktiven Lebensjahren als der Akohol.“

Dokumentation des BAG: www.suchtundaids.bag.admin.ch/themen/sucht/alkohol/evaluation/index.html

Datum: 28.10.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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