Weltweiter Arbeitsmarkt: Wir brauchen Vernunft und Moral

Robert Roth
Das Warenhaus Jobfactory am Dreispitz in Basel.
Modeabteilung in der Jobfactory Basel.
Musicstore Jobfactory
Robi Roth 2006

Robert Roth, Gründer der Job Factory und der Weizenkorn-Werkstätten in Basel, wurde im vergangenen Oktober von der Schwab Foundation als „Social Entrepreneur of the Year 2005 in Switzerland“ ausgezeichnet. Eine Einladung ans Weltwirtschaftsforum WEF in Davos folgte. Fritz Imhof fragte Robert Roth für idea nach seinen Eindrücken und Erfahrungen.

idea: Robert Roth, wie kam es zur Einladung ans WEF?
Robert Roth: Ich wurde im Oktober 05 von der Schwab Foundation als „Social Entrepreneur“ ausgezeichnet, eine Anerkennung für das Konzept der „Job Factory“. Diese gilt als ein guter Lösungsansatz auf das weltweite Problem der Jugendarbeitslosigkeit. Zusammen mit anderen 60 weiteren, weltweit operierenden „Social Entrepreneurs“, die zu drei Vierteln in Entwcklungsländern arbeiten, wurde ich nach Davos eingeladen. Klaus Schwab ist es ein grosses persönliches Anliegen, dass mehr sozial agierende Leute mit unternehmerischem Ansatz am WEF teilnehmen.

Konnten Sie Ihre Ideen und Konzepte in Davos einbringen?
Wir haben uns als „Social Entrepreneurs“ bereits zwei Tage vor dem WEF zum Austausch getroffen. Dabei war es spannend zu sehen, welche Initiativen weltweit – vor allem auch in den Entwicklungsländern – laufen, und welche Konzepte in welchen Ländern erfolgreich Anwendung finden. Das half mir besser zu erkennen, wo wir selbst positioniert sind.

Der Ansatz der Job Factory hat sich als eine ermutigende Möglichkeit bestätigt. Ich begegnete andern Social Entrepreneurs und anschliessend den ordentlichenTeilnehmern des WEF. Dabei kam es zu einem interessanten Dialog, bei dem Lösungen gesucht und entwickelt wurden.

Die fünf Themenschwerpunkte des diesjährigen WEF waren für uns wichtig. Es half mir persönlich auch, die weltweite wirtschaftliche Entwicklung besser zu verstehen. Insbesondere wurde mir deutlich, wie sich die Arbeit heute auf dramatische Art und Weise von West nach Ost verlagert. Das frühere Weltbild mit seinem Ost-West-Gegensatz hat sich total verändert.

„Job creation“ ist eine der ganz grossen Herausforderungen dieser Zeit, dann die Erziehung und Ausbildung, die Umwelt, die wirtschaftliche Entwicklung in China und Indien, Armut und die Nord-Süd-Problematik. Es wurde sehr deutlich, dass in Zukunft im Blick auf die globalen Entwicklungen und Probleme die Wertefragen eine zentrale Rolle spielen werden. Der Titel des diesjährigen WEF’s war der „creative imperative“ – der „schöpferische Befehl“! Basis für die Kreativität und Schaffen müssen Werte sein.

Interessant zu sehen war, wie soziale und familiäre Werte beispielsweise auch für die Gruppe der Young Global Leaders, zu der einmal auch Angela Merkel gehörte, an Gewicht zugenommen haben, um der globalen Herausforderung gewachsen zu sein. In Ergänzung zu dieser Gruppe standen die „social Entrepreneurs“ mit einer starken sozialen Ausrichtung, gepaart mit unternehmerischem Verständnis.

Das WEF führte diese beiden Kategorien zum Dialog zusammen. Sie sollen gemeinsam auf das WEF mehr Einfluss nehmen. Insofern und in persönlichen Begegnungen konnte ich unsere Ideen und Konzepte sehr wohl anbringen.

Wie wurde Ihr Konzept dort aufgenommen?
Ansätze wie die Job Factory haben offenkundig einen Nerv getroffen. Wir stehen heute vor der Situation, dass die Nationalstaaten – gerade auch in Europa – von den riesigen sozialen Problemen und Herausforderungen zusehends überfordert sind. Viele Staaten müssen immer mehr Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Invalidisierte etc. versorgen und vermögen dies immer weniger zu tun. Auch in der Schweiz nehmen diese Gruppen weiter zu.

Das hat aber auch hausgemachte Gründe. Beispielsweise hat in der Schweiz seit 1990 die Einwohnerzahl um 700’000 Menschen zugenommen Die Gesamtarbeitsstellen aber haben um 200'000 Stellen von 3,2 Mio. auf 3,0 Mio abgenommen. Zudem befinden sich die tragfähigen sozialen Mikrostrukturen wie Familien, Nächstenhilfe etc zum Teil in Auflösung und schaffen so dem Staat neue Aufgaben und Kosten.

Es gibt nun viel mehr Menschen, die auf bezahlte Arbeit angewiesen sind, weil sie sonst keine sozial gesicherte Existenz mehr haben. Arbeit gibt es mehr als genug, aber nicht jede Arbeit kann bezahlt werden. Vieles, was früher ehrenamtlich geleistet wurde, muss heute bezahlt werden. Unsere neuen Gesellschaftsentwürfe produzieren sehr hohe Kosten. Zudem werden die Gewinne privatisiert und die Kosten sozialisiert.

Neben der Rationalisierung der Arbeitsplätze hat der Arbeitsmarkt die Möglichkeit, sich die Besten zu holen, während die Schwächeren und zusehends auch die Jugendlichen am Rand bleiben. Vor diesem Hintergrund stösst die Job Factory auf grosses Interesse, weil sie jungen Menschen hilft, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Dass sie diese Aufgabe gar mit marktwirtschaftlichen Mitteln umsetzt, scheint sie faszinierend zu machen.

Haben Sie selbst Anstösse für die weitere Arbeit erhalten?
Wir haben die Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir dürfen Arbeitgeber im besten Sinne des Wortes sein: Leute, die Arbeit geben, die als Ökonomen im Wortsinn auch „Fürsorger“ sind, welche zum volkswirtschaftlichen Gedeihen beitragen können. Die Herausforderung der Ökonomen der Zukunft wird sein, Arbeits- und Firmenmodelle zu schaffen, die viele Menschen beschäftigen.

Ich denke aber auch, dass wir – mit Heiner Geissler gesprochen – für neue Rahmenbedingungen einstehen müssen im Sinne einer Re-Regulierung. Unkontrollierte Prozesse müssen teilweise entschleunigt werden, damit Nationalstaaten nicht geschwächt werden.

Nur starke Nationen können sich in der Globalisierung behaupten und etwas zum Gelingen beitragen. Das hat nichts mit Protektionismus oder Abschottung zu tun, sondern mit Vernunft. Wir brauchen vernünftige und massvolle Akteure in Wirtschaft und Politik, sonst entgleitet uns vieles.

Ich stellte auch neu fest: Der Kunde hat die Macht. Für ihn tut man alles. Aber heute verkommen die Kunden zu Schnäppchenjägern. Sie brauchen ein neues Bewusstsein: Von wem kaufe ich die Arbeit? Was oder wen möchte ich unterstützen? Da kann nicht nur der Preis ausschlaggebend sein. Heute haben wir zu wenig mündige, verantwortungsbewusste Konsumenten.

Wo liegen die Herausforderungen für Christen im Sozialbereich in den kommenden Jahren. Wo gibt es Chancen für innovatives Handeln?
Als Christen müssen wir in den Riss treten und uns den Spannungsfeldern aussetzen. Die Mithilfe bei der Schaffung solider familiärer und solidarischer Strukturen ist eine wichtige Herausforderung: ein Unternehmertum realisieren, das nicht nur auf Profit aus ist, sondern die Arbeit auf viele Menschen verteilt. Vorbildlich ist für mich das Buch von Darrow L. Miller: „Wie sollen wir denn denken?“ Er zeigt eine „radikale Mitte“ auf, die wichtige Werte wie Freiheit und Verantwortung miteinander verbindet“.1

Christen sollen sich in diesem Sinn in Wirtschaft und Politik einsetzen. Dass zum Beispiel nicht alle niederschwellige Arbeit ins Ausland ausgelagert wird. Ebenso für den Ausgleich von Wirtschaft und Politik: lokal – national – global. Der völlige Wirtschaftsliberalismus ist immer mehr von anarchistische Zügen geprägt. Die Wirtschaftspolitik der Zukunft muss Ordnung, Herz und Moral bekommen.

Homepage der Job Factory
www.jobfactory.ch

1 Darrow L. Miller: „Wie sollen wir denn denken?
Asaph-Verlag, 304 Seiten, Fr. 29.80, ISBN: 3-935703-46-5

Datum: 20.02.2006
Autor: Fritz Imhof
Quelle: idea Schweiz

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