Sind die Schweizer Katholiken überhaupt noch römisch-katholisch?

Abendmahl
Bischof Kurt Koch
Hans Küng

Für viel Aufregung hat Anfang Juli die Sonntagspresse gesorgt, als sie die Stellungnahme von Bischof Kurt Koch auf ein Interview mit Hans Küng publizierte. Es ging um die Einhaltung der kirchlichen Vorschriften bezüglich Abendmahl, verbunden mit dem Hinweis, dass fehlbare Priester auch suspendiert werden könnten.

Der Wirbel, der durch die Veröffentlichung zur Eucharistie entstand, hat die Bischöfe überrascht, wie Bischof Kurt Koch im Zischtigsclub vom 13. Juli betonte. Die Bischöfe hätten über die neuen Instruktionen aus Rom noch gar nicht diskutiert. Der Bischof fühlt sich daher von den Medien missbraucht und diffamiert. Allerdings hatten die Bischöfe bereits Ende Juni mitgeteilt, sie wollten an ihrem nächsten Treffen über konkrete Schritte gegen „schwer wiegende“ liturgische Missbräuche wie Interzelebration oder Interkommunion sprechen. Worum geht es?

Praktiken wie gemeinsame Abendmahls- oder Eucharistiefeiern, bei denen Reformierte und Katholiken das Abendmahl bzw. die Kommunion empfangen (Interkommunion) oder wo Pfarrer und Priester unterschiedlicher Konfession gemeinsam einem Abendmahlsgottesdienst oder einer Eucharistiefeier (Interzelebration) vorstehen, sind an vielen Orten zur Gewohnheit geworden. Ebenso dass am katholischen Messgottesdienst am Sonntag (Hochamt) auch so genannte Laien, also nicht geweihte Priester, Gebete sprechen oder predigen. Darunter sind oft auch Frauen; vor Ort herrscht teilweise grosse Freiheit.

Ein ökumenisches Problem?

Wie stark die ökumenischen Auswirkungen eines an sich innerkirchlichen katholischen Problems gewertet werden, zeigt zum Beispiel der gemeinsame Brief des katholischen Pfarrers Moritz Bühlmann und seines reformierten Kollegen Hans Rudolf Helbling von Bolligen, der auch von der Gemeindepräsidentin Margret Kiener Nellen unterzeichnet ist. Er erinnert an die römische Ökumene-Erklärung „Dominus Jesus“, aus der in der Instruktion „Redemptoris sacramentum“ Schlüsse für die Kirche gezogen werden. In dieser werden sowohl Interkommunion wie Interzelebration als Missbräuche bezeichnet. Die Unterzeichnenden des Briefes halten dazu fest: „ Ausdrücklich die römisch-katholische Kirche als ‚eine einzige Kirche‘ zu definieren, erinnert an geistlichen Hochmut, den wir überwunden glaubten. ... Die ‚Interkommunion‘ als ‚schweren liturgischen Missbrauch‘ zu bezeichnen, widerspricht direkt dem Gebet um Einheit der Gläubigen, die Jesus wichtig war (Joh 17). Es bedeutet, dass nichtkatholische Gläubige keine wirklichen Gläubigen sind.“

Sind wir nicht Christen?

Der Gedanke, dass man ja gemeinsam den christlichen Glauben teile, und dass christliches Leben in unsererer Zeit ökumenisch gelebt werde, ist heute in vielen Gemeinden stark verwurzelt. Es ist für die landeskirchliche Bevölkerung selbstverständlich, dass man Anlässe wie etwa den Bettags-Gottesdienst gemeinsam feiert und dass während dem Kirchenjahr weitere Anlässe wie die „ökumenische“ bzw. „eucharistische Gastfreundschaft“ stattfinden, wo die Gläubigen einer Kirchgemeinde bei der Schwesterkirche zu Gast sind und deren Gottesdienst mitfeiern. Gottesdienste in Altersheimen zum Beispiel werden seit längerem abwechselnd von den Vertretern der zwei oder drei Konfessionen geleitet. In Gegenden mit einer konfessionell gemischten Bevölkerung mit vielen „Mischehen“ sind Interkommunion und Interzelebration zur Selbstverständlichkeit geworden. Versuche, hier zurückzubuchstabieren, lösen ungläubiges Kopfschütteln aus.

Viele Katholiken ohne eine enge Bindung an ihre Kirche bekunden offen ihr Unverständnis für die Positionierung ihrer Bischöfe. Bischof Kurt Koch verteidigt sich gegen zahlreiche Vorwürfe, besonders gegen die „Aufforderung zum Denunziantentum“. „Ich habe nie zur Denunziation aufgerufen und werde es nie tun“, sagte er zu einer Meldung des Schweizer Fernsehens, die er als „infame Verleumdung“ bezeichnet. Auch der Einsiedler Abt Martin Werlen beklagte sich bitter über die Reaktionen, die ihm die Verhinderung einer Interzelebration durch den katholischen und den reformierten Ortspfarrer eingetragen hat. Von Druck oder gar Erpressung könne doch nicht die Rede sein, verteidigt er sich gegenüber zahlreichen bösen Zuschriften. Werlen ortet im Kirchenvolk eine Krise im Verständnis der Sakramente. Es gehe nicht nur um innerkirchliche „Spitzfindigkeiten“.

Seelsorgerliches Problem

Auch der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) sieht in der laufenden Diskussion zuerst ein innerkatholisches Problem: die Einhaltung der kirchlichen Regelungen in den Gottesdiensten. Der Kirchenbund sei jedoch insofern betroffen, als eine strenge katholische Praxis grosse seelsorgerliche Probleme für die Menschen in Mischehen bringe, betont Markus Sahli, Leiter der Innenbeziehungen des SEK. Nach katholischer Lehre dürfe der nichtkatholische Partner nicht am katholischen Abendmahl teilnehmen, was für solche Paare sehr schmerzhaft sei. Deshalb werde der Rat des SEK das Thema mit den Bischöfen erneut zur Sprache bringen.
Gegenüber der Kipa betont Bischof Koch dazu, die „besondere Lebenssituation“ der Menschen in Mischehen bedürfe „einer besonderen pastoralen Verantwortung“. Dieser Code kann so interpretiert werden, dass man hier Grosszügigkeit walten lassen will.

Verständnis für Bischöfe

Es gibt aber auch kirchentreue Katholiken, die der Mahnung der Bischöfe mit Verständnis begegnen. So etwa Jean-Marc Bauer*, Mitarbeiter im Pfarreirat seiner fricktalischen Kirchgemeinde. Er sieht in der heutigen Praxis seiner Kirche ein Problem, unter dem er leidet. Er will aber nicht dagegen kämpfen, und es käme ihm nicht in den Sinn, beim Bischof Anzeige zu erstatten. Dieser wisse ja ohnehin Bescheid. Andere kirchentreue Katholiken fordern von den Bischöfen eine noch konsequentere Verteidigung der kirchlichen Lehre und Praxis. Der Redaktor des Schweizerischen Katholischen Sonntagsblattes, Gerd J. Weisensee, beklagt auch die Priesterausbildung. Es gebe Priesterseminare, welche die katholische Lehre gar nicht mehr vermittelten. Er betont die grundlegenden Unterschiede zwischen dem katholischen und dem reformierten Abendmahlsverständnis, die immer weiter eingeebnet würden. Die Erneuerung des Opfers Christi in der Messe werde selbst in der jetzigen Diskussion kaum erwähnt. Weisensee kann sich trotzdem ökumenische Gottesdienste vorstellen, aber ohne Abendmahl.

Biblisches Verständnis hat an Gewicht gewonnen

Daniel Kosch, Bibeltheologe und Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz, stellt fest, dass die Ermahnungen der Bischöfe für viele Kirchenglieder schwer verständlich seien und auch Verunsicherung ausgelöst hätten. Zweifellos sei das Bewusstsein der konfessionellen Unterschiede bei vielen schwächer geworden. Im Bewusstsein vieler Christinnen und Christen beider Konfessionen habe „das biblische Verständnis der Mahlgemeinschaft im Geist Jesu auf Kosten der konfessionellen Besonderheiten im Abendmahls- bzw. Eucharistieverständnis an Gewicht gewonnen“. Die Aspekte der Tischgemeinschaft und der Solidarität würden heute höher bewertet. Dass die katholische Messe die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu verkündige und sich auch das Kirchenverständnis der offiziellen Lehre der katholischen Kirche von jenem der reformierten Kirchen unterscheide, stehe heute für viele Katholiken nicht mehr im Vordergrund.

Auch der Einsiedler Pfarrer Notker Bärtsch, den sein Abt kurz nach der Sitzung der Bischofskonferenz im Juni von einer Interzelebration abhielt, formulierte am Zischtigsclub des Fernsehens DRS offen ein reformiertes Verständnis vom Abendmahl.

Unterschiede verwischt?

Dass die Bischöfe gerade heute wieder an diese Unterschiede erinnern wollen, liegt gemäss Kosch daran, dass es „vermutlich einen gewissen Druck aus Rom“ gebe. Konservative Kreise hätten in Rom geklagt und wünschten eine Änderung der gegenwärtigen Praxis. In Zeiten der Verunsicherung und des Rückgangs der Teilnahme am kirchlichen Leben wachse zudem mancherorts das Bedürfnis nach Klärung der eigenen Identität, was zu einer deutlicheren Abgrenzung gegenüber den Reformierten führen könne.

Was diese nicht unbedingt nachvollziehen können, nicht einmal ihre Theologen. Darauf lassen jedenfalls die Äusserungen von SEK-Präsident Thomas Wipf im Zischtigsclub vom 13. Juli schliessen. Der SEK setze sich für „eine Ökumene der gegenseitigen Ergänzung und nicht der Ausgrenzung ein“, so Wipf. Dagegen betonte Bischof Kurt Koch, dass man erst auf dem Weg zur Einheit sei und dabei die unterschiedlichen Verständnisse des Abendmahls nicht verwischt werden dürften. Dies sei auch im Sinne der „Charta Oecumenica“.

Dass in der Tat der ökumenische Prozess ins Stocken geraten sei, beo_bachtet auch der Präsident des Bundes Schweizer Baptistengemeinden, Peter Deutsch. Die Baptisten sind Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz (AGCK). Angesichts der hierarchischen Struktur der katholischen Kirche äussert er ein „gewisses Verständnis für die Bemühungen, die Priesterschaft an die kirchlichen Ordnungen zu erinnern angesichts der Freiheiten, die er in katholischen Gottesdiensten festgestellt hat“. Er erinnert daran, dass auch seine Kirche Bedingungen für die Teilnahme am Abendmahl stelle, nämlich das persönliche Bekenntnis zu Jesus Christus. Allerdings sei dieses Bekenntnis der persönlichen Verantwortung des Einzelnen überlassen.

Bis der erste Priester wegen „schweren liturgischen Missbräuchen“ suspendiert wird, dürfte es noch eine Weile dauern.

*Name verändert

Datum: 02.08.2004
Autor: Fritz Imhof
Quelle: idea Schweiz

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