Wieviel Land braucht ein Mensch?

Thomas Giudici.
Man kriegt nie genug davon.

Über Geld wird viel gesprochen und geschrieben. Dies, obwohl die wirklich Reichen nicht müde werden zu betonen: „Über Geld spricht man nicht, man hat es.“

Geld ist ein zentrales Thema, wobei mir auffällt, dass die meisten über Geld sprechen, das sie nicht haben. Die einen klagen ständig über ihre Geldnöte und andere protzen mit Dingen, die eigentlich der Bank gehören. Geld gilt als Problemlöser, obwohl es, statistisch betrachtet, die meisten Probleme verursacht. Geld beruhige, wird gesagt. Aber Reiche ängstigen sich, ihr Geld zu verlieren und Arme, nicht genug zu haben. Geld ist wichtig. Deshalb ist die Frage nach unserem Umgang mit diesem bedeutenden Gut Gegenstand der folgenden Gedanken.

„Pleiten, Pech und Pannen“

„Ich bin versucht, die Wirtschaftsmeldungen der letzten Jahre mit diesem geflügelten Wort zu bezeichnen. Nationen, Kommunen, multinationale Konzerne ebenso wie der Laden um die Ecke und die Familie nebenan stehen vor riesigen Schuldenbergen.

Viele Staaten, Unternehmungen und Private können sich nicht mehr leisten, was sie sich leisten. In Deutschland muss bereits ein Viertel des verfügbaren Einkommens für Zinszahlungen ausgegeben werden. 1950 waren es noch sechs Prozent. Die Belastung ist infolge des übermässigen Schuldenwachstums so stark gestiegen.

Selbst in der reichen Schweiz ist jeder dritte Haushalt mit der Abzahlung eines Kleinkredites belastet. Nicht allen gelingt dies: 1996 mussten in der Schweiz gegen jede zehnte Person rechtliche Schritte wegen Zahlungsrückständen eingeleitet werden. Was ist los? Warum geben öffentliche, betriebliche und private Hände mehr und immer mehr aus, als sie einnehmen?

Ein teuerer Preis

Leo Tolstoi (1828-1910) gibt in seiner Erzählung «Wie viel Land braucht ein Mann» eine Antwort: Der Bauer Pachom ist unzufrieden über das wenige Land, das er besitzt. Eines Tages erzählt ihm ein durchreisender Kaufmann, er komme gerade aus dem Land der Baschkiren und habe dort 5’000 Hektar Land gekauft für nur Tausend Rubel. «Die Leute dort sind dumm wie die Hammel, sie geben alles fast umsonst her.» Pachom macht sich auf die Reise, kommt zu den Baschkiren und bittet, Land kaufen zu können. «In Ordnung», sagen sie, «du bekommst so viel Land, wie du willst. Wir haben nur einen Preis: Tausend Rubel für den Tag.» Pachom versteht nicht. Was ist das für ein Mass? Ein Tag? Wie viele Hektar werden das sein? «So viel Land du an einem Tag umgehen kannst, ist dein, und der Preis für den Tag ist tausend Rubel.»

Pachom ist begeistert. Er legt sich früh schlafen, um am nächsten Morgen zeitig aufbrechen zu können. «Von hier gehst du los, zu diesem Stein kehrst du zurück. Alles, was du dann umlaufen hast, gehört dir», sagen ihm die Ältesten. Pachom läuft. Zunächst schnell, mit der Zeit immer langsamer. Als die Sonne im Zenit steht, schmerzen ihn schon alle Glieder, und er ist durstig. Doch er will noch nicht umkehren, denn vielleicht würde er sonst einen Hektar verschenken. Er läuft und läuft. Mit einem Mal sieht er, wie die Sonne sich dem Horizont zuneigt. Und er beginnt nochmals richtig zu rennen, alles zu geben. Er fragt sich: habe ich doch alles falsch gemacht, bin ich zu gierig gewesen? Land habe ich genug, denkt er – gebe Gott, dass ich darauf leben kann!

Die Sonne sinkt immer weiter. Pachom ist verzweifelt: ich schaff‘ es nicht mehr! Dann die letzten Meter. Die Baschkiren sind lachend um den Markstein versammelt. Er schafft es im letzten Moment und sinkt neben dem Stein zusammen. Der Älteste sagt: «Ein wackerer Mann, du hast viel Land erobert. » Doch als sie Pachom aufheben, läuft ihm das Blut aus dem Gesicht. Er liegt da und ist tot. Pachoms Knecht nimmt die Hacke und gräbt ein Grab für ihn. Es ist etwa zwei Meter lang und einen Meter breit. So viel Land braucht ein Mensch.

Thomas Giudici, Dr. rer. pol., selbstständiger Management und Investmentberater verheiratet mit Marion Giudici-Krüger.

Lesen sie morgen den 2. Teil: Wie gewonnen – so zerronnen.

Datum: 30.09.2005
Autor: Thomas Giudici
Quelle: Reflexionen

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