Einfach nur enttäuscht?

Warum Menschen aus Freikirchen austreten

Oft bräuchte es gar nicht viel, um enttäuschte Christen von einem Austritt aus der Gemeinde abzuhalten. Vielleicht einfach mal zuhören und Druck wegnehmen.
Der Austritt aus einer Freikirche ist für die meisten keine einfache Entscheidung.

«Einfach nur enttäuscht – Aussteiger aus Freikirchen». Mit diesem Aufmerksamkeit heischenden Titel luden der Verein für Freikirchenforschung und die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen zu einem Symposium in Bensheim, Hessen, ein. Etwa 50 Personen aus verschiedenen kirchlichen Kreisen trafen sich am 12. und 13. April 2013 im Zentrum der Christoffel Blindenmission, um über Aussteiger in den Freikirchen nachzudenken. Warum kommt es immer wieder vor, dass engagierte Christen plötzlich ihre Gemeinden verlassen? 

Viele mögliche Gründe

Kann es sein, dass in den oft kleineren Gemeinschaften die familienähnliche Nähe und der persönliche Umgang beengend erlebt werden kann? Sind theologische Gründe für die Verabschiedung ausschlaggebend? Spielt der Missbrauch von Autorität und Macht eine Rolle in der Loslösung von einer Gemeinde? Was haben Menschen, die sich aus ihrem freikirchlichen Umfeld gelöst haben, erfahren und wohin sind sie gegangen?

Um solchen Fragen nachzugehen, wurde die Konferenz mit zwei Perspektiven organisiert. Zum einen wurden Beiträge aus soziologischer, theologischer und therapeutisch-seelsorgerlicher Sicht präsentiert. Auf der anderen Seite kamen Personen zu Wort, die eine Freikirche verlassen haben. 

Von der Freikirche zum Islam...

Der aus Berlin stammende Amir Dr. h.c. Mohammed Herzog erzählte, wie er als evangelisierender Baptist auf den Koran stiess, und wie das Lesen dieser Schrift ihn zur Bekehrung zum Islam führte. Sr. Gabriele Funkschmidt OSB berichtete, wie sie auf ihrem Glaubensweg von einer Freikirche kommend eine Ordensfrau wurde.

Eine dritte Biographie schilderte Claudia Schreiber. Sie war in einer evangelikalen Familie in der dritten Generation gross geworden und schilderte, wie die Erwartungen, die Gesetzlichkeit und der hohe moralische Druck sie schliesslich bewegten, neue Wege zu gehen. Obwohl keine der drei Zeugen es sich vorstellen könnten, zurückzukehren, war es ebenso klar, dass die Vergangenheit, wenn auch manchmal schmerzlich erlebt, ihre guten Seiten hatte.

Austritte und ihre Gründe ernst nehmen

Aus soziologischer Sicht berichtete Dr. Barbara Keller über das Phänomen der De-Konversion. Prof. Dr. Christoph Raedel reflektierte aus theologischer Sicht über Inklusion und Exklusion in der christlichen Gemeinde. Pfr. Dr. Reinhard Hempelmann gab eine kritische Analyse der «Wort und Geist»-Bewegung. Schliesslich sprach Dr. med. Bernd Wehner über geistlichen Missbrauch in der Gemeinde. Diese Referate, zusammen mit den geschilderten Biographien, motivierten die Anwesenden, die Realität von Gemeinde-Austritten ernst zu nehmen. Man war sich einig: Christen verlassen ihr freikirchliches Umfeld nicht ohne weiteres. Es gilt, mit ihnen offen und ohne Druck ins Gespräch zu kommen, bevor sie die innere Trennung bereits vollzogen haben. Manchmal tut es schon gut, Menschen nicht wertend zuzuhören, oder engagierten Christen eine Auszeit von ihrem kirchlichen Dienst zu gewähren, damit sie sich vermehrt der Familie oder ihrer Entwicklung im Glauben widmen können.

Datum: 17.04.2013
Autor: Jean-Daniel Plüss
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung