Grosse Chance oder fatale Grenzüberschreitung

Politiker, Forscher und Ethiker vor den Biotech-Verheissungen

Parlament
Zürcher Theologieprofessor Johannes Fischer
Zürcher Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle

Der Bundesrat hat im Herbst dem Drängen von Forschern nachgegeben. Das neue Embryonenforschungsgesetz, das er den Eidgenössischen Räten vorlegt, lässt die Züchtung von Stammzellenlinien aus menschlichen Embryonen (‚überzählig‘, weil nach einer Befruchtung im Reagenzglas nicht mehr gebraucht für eine Schwangerschaft) zu. Damit wird der werdende Mensch, der nicht eingepflanzte Embryo, im Grunde zum Material degradiert; er wird im ersten Lebensstadium dem Nutz-Denken unterworfen. Mit der kühnen Verheissung, einst schwere Krankheiten heilen zu können, erwirken die Forscher, dass Politiker (ob das Parlament dem Bundesrat folgt, bleibt abzuwarten) ethische Grenzen verschieben.

Und manche Ethiker machen mit. Der Zürcher Theologieprofessor Johannes Fischer unterscheidet zwischen werdendem menschlichem Leben und Mensch. Der Bibel gehe es um den Menschen als Geborenen - als von Gott Angerufenen und kommunikativ in die menschliche Gemeinschaft Hineinwachsenden. Ehrfurcht gebührt laut Fischer nicht dem Leben, sondern dem Schöpfer des Lebens. „Die Rede von einer Würde oder gar Heiligkeit des menschlichen Lebens als eines solchen, unabhängig davon, ob es das Leben eines existierenden oder sich erst entwickelnden Menschen ist, ist unbiblisch.“

Wie Fischer in der NZZ schrieb, „kommt die Menschenwürde dem Menschen zu und nicht dem menschlichen Leben, unabhängig davon, ob es das Leben eines Menschen ist. Schutzwürdig ist menschliches Leben dementsprechend, weil es das Leben eines Menschen ist, dessen Integrität zu achten Pflicht ist. Die ganze Diskussion, die darüber geführt wird, ob der Embryo auf Grund seiner Potenzialität (Fähigkeit, als Mensch geboren zu werden; Red.) an der Menschenwürde partizipiert, sei es in vollem Umfang oder in abgeschwächter Weise, führt demgegenüber auf ein fragwürdiges Geleis. Was einzig und allein zählt, ist die Frage, ob es sich bei einem gegebenen Embryo um einen werdenden Menschen handelt oder nicht. Wenn dies der Fall ist, dann verdient er Schutz. Wenn dies nicht der Fall ist, dann entfällt die Pflicht zum Lebensschutz.“

Bei so genannten überzähligen Embryonen handelt es sich nach Johannes Fischer „nicht um werdende Menschen, da bei überzähligen Embryonen die äusseren Voraussetzungen dafür fehlen, dass aus ihnen ein Mensch hervorgehen kann“.

Demgegenüber betont die Zürcher Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle, dass menschliches Leben nicht der Instrumentalisierung unterworfen werden darf, wenn die humane Grundlage unseres Gemeinwesens erhalten bleiben soll. Zur Absicht des Bundesrates, Embryonen zum Zweck der Stammzellgewinnung für die Forschung freizugeben, schrieb Ruth Baumann-Hölzle in der Basler Zeitung: "Bei den Stammzelllinien lassen sich das Verfahren und die Sache selbst bei der Patentierung nicht trennen. Menschliches Leben würde damit auch zur Handelsware.“ Die Ethikerin warnt vor „zu grosser menschlicher Handlungsmacht“: Wenn bei künstlichen Befruchtungen ‚überzählige‘ Embryonen in Kauf genommen würden, bedeute dies nicht, dass mit ihnen geforscht werden dürfe.

Im neuen vom Bundesrat vorgelegten Gesetz geht es um die so genannt verbrauchende Embryonenforschung: Wenn Stammzellen gewonnen werden, geht der Embryo zugrunde. Diese Forschung stellt laut Ruth Baumann-Hölzle „einen qualitativ neuen Schritt dar: Der Respekt vor menschlichem Leben soll in Zukunft Forschungsinteressen untergeordnet werden... Mit diesem qualitativ neuen Schritt werden bisherige Forschungsregeln verletzt: das Prinzip nicht zu schaden (menschliches Leben wird hier für Forschungszwecke getötet), und das Prinzip, todgeweihtes, menschliches Leben nicht für Forschung freizugeben.“ Weil die langfristigen Folgen von Eingriffen in die Keimbahn nicht absehbar sind, plädiert die Zürcher Ethikerin, Mitglied der Nationalen Ethikkommission für Humanmedizin, stattdessen für die Förderung der Forschung an adulten oder Nabelschnur-Stammzellen. Sie warnt vor einem naiven Fortschrittsoptimismus und erinnert daran, dass Forscher von drei P angetrieben werden: der Aussicht auf Power, Prestige und Profit.

Ruth Baumann-Hölzle weist darauf hin, dass die Entfaltung des Menschen als Person in seinem Leib ein Geheimnis bleibt. Durch die Stammzellenforschung „verliert der Mensch seine Scheu im Umgang mit menschlichem Leben... Der Mensch ermächtigt sich zum Homo Faber seiner selbst und verliert zunehmend seine Furcht vor Menschenzüchtung. In der Scheu verbirgt sich der Same keimender Liebe, verbunden mit einem feinen Gefühl der Furcht. Ohne Furcht verfällt der sterbliche Mensch der Selbstüberschätzung, und ohne Scheu verflüchtigt sich die Liebe zum Leben; beides Grundlagen der Menschenwürde und Menschenrechte. Verbrauchende Embryonenforschung ist ein gewagtes Spiel mit der menschlichen Freiheit.“

Datum: 31.12.2002
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung