In Paris und anderen französischen Städten protestierten mehrere tausend Menschen. In Berlin wandten sich rund 1.000 Menschen gegen Pläne verschiedener Bundesländer, das Kopftuch für Lehrerinnen und andere Angehörige des öffentlichen Dienstes zu verbieten. Demonstrationen gab es auch in Grossbritannien, Belgien, Finnland, Kanada, der Türkei sowie im palästinensischen Gaza. An dem friedlichen Protestzug in Paris nahmen nach Polizeiangaben etwa 10.000 Menschen teil. In Strassburg gingen etwa 1.000 Menschen auf die Strasse, in Marseille knapp 2.000. Der Vorsitzende des französischen Islamrates, Dalil Boubakeur, lehnte die Demonstrationen ab. Zwei Monate vor den Regionalwahlen sei es nicht sinnvoll, die Bürger zu erschrecken. Er wies darauf hin, dass sich nur eine geringe Minderheit der rund fünf Millionen Muslime in Frankreich an den Protestzügen beteiligt habe. Der frühere Premierminister Alain Juppe äusserte sich in einem Zeitungsinterview besorgt über eine wachsende Konfrontation zwischen politisch-religiösen Gruppierungen und den gesellschaftlichen Kräften, die die Werte der Republik verkörpern. Das von der französischen Regierung geplante Gesetz zum Verbot "aufdringlicher" religiöser Zeichen, darunter das Kopftuch von Musliminnen, soll ab dem 3. Februar im Parlament beraten werden. In Grossbritannien, Finnland, der Türkei sowie in mehreren arabischen Ländern versammelten sich Demonstranten vor diplomatischen Vertretungen Frankreichs. In London zogen etwa 2.000 Menschen vor die Botschaft. In Grossbritannien sind Kopftuch, jüdische Kippa oder der Turban der Sikhs kein Problem. Unter dem Slogan "Hände weg vom Schleier" demonstrierten in Brüssel rund 300 Personen. Sie verwiesen auch auf christliche Ordensfrauen wie Mutter Teresa, die einen Schleier trügen. Auch im Nahen Osten kam es zu Protestaktionen gegen die französischen Gesetzespläne. Im palästinensischen Gaza nahmen rund 1.000 und in Nablus rund 400 Menschen an einer Demonstration teil. In der libanesischen Hauptstadt Beirut zogen 2.500 zumeist verschleierte Frauen vor die Botschaft. Die baden-württembergische und die niedersächsische Landesregierung haben letzte Woche ein Gesetze verabschiedet, die Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuches in der Schule verbietet. - Mit Bayern liegt damit in drei Bundesländern Deutschlands ein Gesetzesentwurf zum Kopftuchverbot vor. In Stuttgart (Baden-Württemberg) beschloss der Ministerrat einstimmig einen Entwurf, der jetzt dem Landtag zugeleitet wird. Der Zeitplan sieht eine erste Lesung des geänderten Schulgesetzes Anfang Februar vor. Mitte März soll eine Expertenanhörung folgen. Nach der zweiten Lesung am 31. März soll das Gesetz beschlossen werden. Der Gesetzentwurf sieht ein Verbot von "politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen äusseren Bekundungen" an den Schulen vor, die den Schulfrieden gefährden könnten. Bekundungen christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen sollen erlaubt sein. Der von dem Tübinger Verfassungsrechtler Ferdinand Kirchhof formulierte Entwurf wird laut Kultusministerin Annette Schavan (CDU) dem Ziel gerecht, muslimischen Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht zu verbieten und zugleich christlich-abendländische Bildungs- und Kulturwerte gesetzlich zu verankern. In Hannover (Niedersachsen) erklärte Kultusminister Bernd Busemann (CDU), den Lehrkräften sollten grundsätzlich "den Schulfrieden störende" politische oder religiöse Bekundungen untersagt werden. Es gehe also nicht nur um das Kopftuch. Der Entwurf, der nach Ministerangaben auch die Zustimmung der FDP findet, nimmt "christliche und abendländische" Traditionen ausdrücklich von dem Bekundungsverbot aus. Laut Gesetzentwurf soll auch die Einstellung angehender Lehrer untersagt werden, die ihrer Neutralitätspflicht nicht nachkommen. Ausnahmen von der strikten Neutralitätspflicht will das Land bei der Erteilung von Religionsunterricht zulassen. Laut Busemann soll das Gesetz voraussichtlich noch vor Ostern in Kraft treten. - Niedersachsen ist das dritte Bundesland nach Baden-Württemberg und Bayern, das einen Gesetzentwurf zum Kopftuchverbot vorlegt. Der Zentralrat der Muslime (ZMD) kritisierte den Gesetzesentwurf als "verfassungswidrig und integrationshemmend". Mit ihm würden die elementaren Aspekte des Kopftuch-Urteils des Bundesverfassungsgerichts missachtet. Das Kopftuch sei Teil der religiösen Ausübung, erklärte der ZMD-Vorsitzende Nadeem Elyas in Eschweiler. Jeder Versuch, es als politisches Symbol darzustellen, sei falsch. Seine pauschale Verurteilung führe zu weit reichenden Diskriminierungen von Musliminnen in anderen Teilen der Arbeitswelt. "In vielen Diskussionen in Deutschland gilt das Kopftuch als ein Zeichen für die traditionelle Rolle der Frau. Dabei ist es genau umgekehrt: Das Kopftuch wird deshalb relevant, weil muslimische Frauen nicht mehr die traditionellen Rollen übernehmen, sondern in den Bildungssektor vorstossen, in der Öffentlichkeit auftreten und ihre beruflichen Positionen fordern. Das Tragen eines Kopftuches ist also eine Folge der Emanzipation der Frauen und nicht der Versuch, die Frau wieder in die traditionellen Rollen zurückzudrängen." Der deutsche Religionswissenschaftler Hans Gerhard Kippenberg in einem Interview für den in Basel erscheinenden evangelisch-reformierten "Kirchenboten". Als chancenlos und unsinnig hat in Deutschland der Schweizer Urs Baumann, Theologe in Tübingen, Pläne deutscher Bundesländer bezeichnet, muslimischen Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern im Unterricht per Gesetz zu verbieten. Kopftuchgesetze würden Muslime erst recht herausfordern, "religiös Flagge zu zeigen", sagte der Professor. Der am Dienstag vom baden-württembergischen Ministerrat verabschiedete Gesetzentwurf werde vor dem Bundesverfassungsgericht keine Chance haben. Als einen Versuch, "gesellschaftliche Realität zu verschleiern", sieht Baumann der baden-württembergischen Steuerungskommission zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichts die Anstrengungen um Kopftuchgesetze. Es gehe dabei nicht nur um das Kopftuch, sondern um die Darstellung von Religion in der Öffentlichkeit. Der Staat tue sich keinen Gefallen, "wenn er in ein solches Wespennest sticht". Baumann erwartet, dass das Zeigen religiöser Symbole von Staats wegen nach und nach eingeschränkt wird. Er forderte dagegen einen offeneren Umgang mit Religionen. Das Kopftuch ist für den Professor "eine Frage der Mode wie bürgerliche Kleidervorschriften des 18. Jahrhunderts". Quellen: Kipa/LivenetBesorgt über wachsende Konfrontation
Proteste vor französischen Botschaften
Kopftuch- Diskussionen ohne Ende
"Es geht nicht nur ums Kopftuch"
Kritik vom Zentralrat der Muslime
Kopftuch-Tragen eine Folge der Emanzipation
Kopftuchgesetz chancenlos und unsinnig
Datum: 20.01.2004