Hilfe oder Zwang?
Es geht um zeitlich befristete Schutz- und Unterstützungsmassnahmen sowie um Kompetenzen des Bundesrats. Gegen das Gesetz wurde erfolgreich das Referendum ergriffen. Zwei Parlamentarier nehmen dazu Stellung.
Pro
Christian Lohr (59), Fachhochschuldozent und seit 2011 Nationalrat (CVP/Die Mitte, TG), ist Mitglied der parlamentarischen Gruppe «Christ+Politik»:
«Die Corona-Pandemie, die die gesamte Welt seit März vergangenen Jahres im Griff hat, bescherte uns bisher in dieser Form ungekannte Herausforderungen. Zur Bewältigung der epidemiologisch schwierigen Situation galt es für den Bundesrat, Massnahmen zu ergreifen. Diese führten in den verschiedenen Wellen zu unterschiedlichen Beeinträchtigungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Unsere Landesregierung hat unbestritten Verantwortung gezeigt, indem sie Entscheidungen zum Wohle der Gesundheit unserer Bevölkerung getroffen hat. Wie es sich in einem Rechtsstaat wie der Schweiz gehört, sind die aus einem Notrecht entstandenen Beschlüsse inzwischen im Covid-19-Gesetz festgeschrieben worden. Dieses ist vom Parlament in einem gewohnt demokratischen Prozess im September 2020 verabschiedet und bereits wieder weiterentwickelt worden. Zentral sind in diesem Gesetz unter anderem die finanziellen Unterstützungsformen für die Betroffenen geregelt. Diese Hilfsprogramme werden durch das Referendum gefährdet. Die Härtefallprogramme ab September 2021 aufs Spiel zu setzen, das ist nicht nur leichtfertig, sondern auch höchst unsolidarisch. Mit dem Covid-19-Gesetz werden keine undemokratischen Pflichten wie beispielsweise der Impfzwang eingeführt. Alle anderen Behauptungen dieser Art sind falsch. Die Befristung dient dazu, den Zeitrahmen für die Massnahmen transparent darzulegen. Die überlegten nächsten Öffnungsschritte wünsche dabei auch ich mir herbei.
Ich stehe zu diesem Gesetz, weil es notwendig ist und ein vernünftiges Absicherungsnetz darstellt. Für mich ist die Freiheit, darüber an der Urne befinden zu können, sehr wichtig. Das ist eben ein wahres Grundrecht unserer Demokratie.»
Kontra
Andreas Gafner (50), Meisterlandwirt und seit 2019 Nationalrat (EDU, BE), ist Mitglied der parlamentarischen Gruppe «Christ+Politik»:
«Bei jeder Abstimmung über eine Gesetzesvorlage müssen die positiven und die negativen Punkte einander gegenübergestellt werden. Das Covid-Gesetz ist eine zeitlich bis zum 31. Dezember 2021 begrenzte Gesetzesvorlage, die vom Parlament in kurzer Zeit, nämlich binnen eines Jahres, schon zweimal überarbeitet werden musste. Es besteht jedoch die Möglichkeit, durch die Hintertür eine Verlängerung der Geltung um Jahre zu erwirken. Dem Bundesrat werden sehr weitreichende Kompetenzen erteilt, die Covid-Pandemie und die Folgen davon zu bekämpfen.
Dass aber innert so kurzer Zeit die Unterschriften fürs Referendum zusammengekommen sind, lässt aufhorchen und berechtigt doch, die Vorlage auch mit kritischem Auge anzuschauen. Es ist jedoch auch ein Zeichen der funktionierenden direkten Demokratie, denn nun kann der Souverän abstimmen. Das finde ich grossartig an unserem Schweizer System. Es stimmt natürlich, dass die Unterstützungsbeiträge hier ihre gesetzliche Grundlage finden. Es gibt jedoch bereits eine ausgearbeitete Variante auf Vorstossebene, die die Auszahlung der Härtefallgelder und die Unterstützung für Kurzarbeit rechtlich absichern und deren Umsetzung garantieren würde. Die Kompetenzerteilung für den Bundesrat und für das Bundesamt für Gesundheit BAG im Covid-Gesetz geht für mich jedoch klar zu weit, und es ist nur verständlich, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger aufstehen und ihren Unmut kundtun. Das BAG hat mit seinem blinden Regulierungsdrang das Nötige dazu beigetragen und viel Wohlwollen verspielt. Leider werden die immer mehr sichtbaren Kollateralschäden auf gesellschaftlicher, aber auch auf wirtschaftlicher Ebene einfach ausgeblendet.
Mit einem Nein zum Covid-Gesetz zeigen wir dem Bundesrat und dem BAG die gelbe Karte, ohne dass jemand Schaden nimmt.»
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin von IDEA Schweiz.
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Datum: 15.05.2021
Autor: Christian Lohr / Andreas Gafner
Quelle: IDEA Schweiz