Wenn moderne Komponisten immer öfter Spiritualität thematisierten, sei das die Antwort auf eine "Vergötzung" von Tempo und Technik in der Moderne, meinte der Künstlerische Leiter des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Bei den Salzburger Festspielen, dirigiert er zwei biblisch inspirierte Werke; Arnold Schönbergs (1874-1951) "Jakobsleiter" folgt auf Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) "Requiem". Nagano, der als einer der besten Dirigenten weltweit gilt, beklagte, es gebe ein "elektronisches Bombardement" mit ständiger Werbung und pausenlosen Nachrichten. Konsum und Unterhaltungsindustrie hätten die Gesellschaft aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Menschen seien in Gefahr, "die Menschlichkeit zu verlieren". Bei neuen Computern, Mobiltelefonen oder anderer Technik sei Beschleunigung längst das einzige Ziel, "das ist Wahnsinn". Nagano wörtlich: "Das kann doch nicht genug sein. Dafür sind wir nicht hier, das erfüllt die Menschen nicht." Angesichts dessen sei es natürlich, dass die Menschen Fragen stellten, "und wer fragt und sucht, der wird verletzbar bei der Suche nach Erfüllung". Zu seinem Konzert bei den Salzburger Festspielen sagte Nagano, der 2001 zum "Dirigenten des Jahres" gewählt wurde, Schönbergs "Jakobsleiter" und Mozarts "Requiem" seien beide unvollendet. Damit stelle das ganze Konzert dem Zuhörer die Frage nach sich selbst. Meisterwerke der Musikgeschichte definierten sich stets über Zeitlosigkeit und Universalität, "und sie sichern unsere Existenz". Die Musikgeschichte der westlichen Welt sei untrennbar mit Kirche und besonders mit Liturgie verbunden. Das sähen die meisten oder sogar alle Künstler so. Um solche Musik zu verstehen, müsse man nicht religiös sein, sagte Nagano seinen Lehrer Olivier Messiaen (1908-1992) zitierend. Schon wer eine religiöse oder spirituelle Ader habe, höre sicherlich die Bezüge. Aber auch jedem anderen erzählten diese Werke von der Schönheit und Grösse dieser Kunst. Sie seien "Geschenke an die Menschheit"."Die Frage nach uns selbst"
Datum: 10.08.2002
Quelle: Kipa