«Weihnachten ist mein geistiger Geburtstag»
der Mime Carlos Martínez nächstes Jahr sein 30-jähriges Bühnenjubiläum und glaubt, dass Gott zu jeder seiner Vorstellungen kommt.Mit knappen Andeutungen lässt der Carlos Martínez Geschichten in den Köpfen der Zuschauer entstehen. Er wollte alle Sprachen dieser Welt sprechen – jetzt benutzt er kein einziges Wort. Ironie des Schicksals? «Nein», ist sich der spanische Pantomime Carlos Martínez sicher: «Ich glaube, dass jedes Leben ein Symbol für die anderen ist.
Die Lebensgeschichten von verschiedenen Menschen helfen uns dabei, Gottes Sinn für Humor zu verstehen.» Doch sagt nicht genau dieser Gott in seinem Buch, der Bibel, dass am Anfang das Wort und nicht die Stille war? «Nur weil Worte unausgesprochen bleiben, hören sie nicht auf, welche zu sein», erklärt Martínez.
«Die Bibel sagt, dass das Wort Fleisch wurde und meine Arbeit besteht darin, Worte zu Bildern werden zu lassen, zu Gesten, zu Fleisch.» Der Pantomime ist sich sicher, dass Gott zu jeder seiner Aufführungen kommt und dass er am besten für Ihn arbeiten kann, wenn er für sein Publikum arbeitet.
Dem will er vor allem eines aufzeigen: Dass es immer verschiedene Arten gibt, Menschen und die dazugehörigen Leben zu betrachten. «Natürlich sind mir dabei auch Grenzen gesetzt – Farben beispielsweise. Aber meine unsichtbaren Zeichnungen sind nicht nur schwarz-weiss, denn die Fantasie der Zuschauer füllt sie mit Farbe auf.»
Die Welt bereist
Carlos Martínez wurde 1955 als Ältester von vier Geschwistern in Asturien, Spanien, geboren. Die Liebe zum Theater entdeckte er schon als Jugendlicher in einer Laientheatergruppe. Trotzdem schlug er zuerst eine gewöhnliche Berufslaufbahn als Mechaniker ein und entschied sich erst 1982, in Zukunft ganz für die Kunst zu leben.
Da er als Mime auf keine Übersetzung angewiesen ist, bespielt er Bühnen in den meisten europäischen Ländern, in den USA, in Südafrika, in Mittelamerika und auf den Philippinen.
Nachdem ihm im Oktober 2002 in Stuttgart der Preis der ökumenischen Stiftung Bibel und Kultur verliehen wurde, entstand das Programm «My Bible». Ein Jahr später, dem internationalen Jahr der Bibel, tourte er damit durch Deutschland und die Schweiz.
Sein unverkrampfter und unvoreingenommener Zugang zu den biblischen Geschichten sorgte nicht nur in kirchlichen Kreisen für Begeisterung. «Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, mich selbst, aber auch andere zu akzeptieren», erklärt Carlos Martínez und spricht damit auch den Umstand an, dass er als Protestant zu einer katholischen Familie gehört.
Jesus als Weihnachtsgeschenk
Obwohl Carlos Martínez im September zur Welt gekommen ist, hat er auch im Dezember Grund, Geburtstag zu feiern. «Weihnachten ist mein geistiger Geburtstag», erzählt der Mime, «1971 hat mir zum ersten Mal jemand gesagt, dass mich Jesus trotz meiner Sünden liebt – es war am 25. Dezember, als ich anfing, das Ausmass von Gottes Vergebung zu verstehen.
Ich weinte wie ein Kind.» Obwohl Martínez vom göttlichen Weihnachtereignis überzeugt ist, glaubt er, dass auch ohne tiefen Glauben gefeiert werden kann: «Jemand kann Weihnachten feiern, ohne an Gott zu glauben, genau so, wie jemand ein schönes Stück Kunst geniessen kann, ohne den Künstler zu kennen.»
Und die Metapher geht noch weiter: «Als Bühnenkünstler sehe ich Gott als höchsten Drehbuchautor und den Heiligen Geist als Regisseur. Jesus ist der Schauspieler, der auf die Bühne geht und vom Publikum gesehen wird.» Jeder Schauspieler und jeder Regisseur freut sich über volle Reihen während seiner Vorstellungen – wie sieht es also mit Gott aus? Freut Er sich darüber, dass die Kirchen am 24. und 25. Dezember so voll sind – auch wenn Er viele der Besucher nur einmal im Jahr hier sieht?
«Ja», denkt Carlos Martínez, «ob mir sechs, sechzig oder sechshundert Personen zusehen – was mich berührt, ist, dass diese Menschen sich in diesem Moment für mich entschieden haben. Ich zähle nicht die leeren Sitze im Zuschauerraum, sondern die leeren Sofas, welche die Leute verlassen haben, um mich heute Abend zu sehen.
Ich denke, dass Gott etwas Ähnliches fühlt.» Und wie still ist die Stille Nacht im Hause Martínez tatsächlich? «Nicht sehr», sagt der Mime, «es ist eigentlich komisch, dass diese Stille Nacht immer vom Lärm der Festlichkeiten begleitet wird. Mir fehlt die Stille.»
Mine der Stille
In Spanien ist es Tradition, an Weihnachten ins Theater zu gehen, was den Künstlern während der Adventszeit viel Arbeit beschert. Und heuer bringt die Zeit, in der sich das alte Jahr verabschiedet und sich das neue ankündigt, etwas Besonderes mit für Carlos Martínez: 2012 feiert er sein 30-jähriges Bühnenjubiläum.
Am 14. Januar 2012 startet er in der Kulturhalle Glärnisch in Wädenswil mit einer Programmpremiere von «Fata Morgana» hier in der Schweiz. Und auch für die nächsten Jahre scheint noch Potential und Kreativität vorhanden zu sein: «Ich habe eine lange Liste mit vielen Ideen.
Das Schwierigste ist nicht, eine Idee zu finden, sondern zu entscheiden, welche Ideen mich auf die Bühne begleiten werden», erklärt der Spanier. Man darf also gespannt sein, was noch ans Tageslicht befördert wird: «Wenn Schweigen wirklich Gold ist, dann arbeite ich seit 30 Jahren in der Mine der Stille.»
Datum: 20.12.2011
Quelle: SEA