Moskau - Seit der Errichtung regulärer katholischer Bistümer für die "Russländische Föderation" (wie das nachsowjetische Russland heisst) sind die Beziehungen der russisch-orthodoxen Kirche mit dem Vatikan zum Zerreissen gespannt. Was im Februar 2002 mit der Ausladung des vatikanischen "Einheitskardinals" Walter Kasper von seinem vereinbarten Besuch in Moskau begann, hat in der Ausweisung von Bischof Jerzy Masur und anderen katholischen Klerikern bis heute seine Fortsetzung gefunden. Das Moskauer Patriarchat (so der Name der gesamten russisch-orthodoxen Kirche) begründet diese Kampfhaltung mit dem Schutz seines "kanonischen Territoriums". Damit meint es den Anspruch auf bevorzugte, wenn nicht ausschliessliche kirchenrechtliche Zuständigkeit über die ganze ehemalige Sowjetunion. Andere Kirchen und Konfessionen sollen zwischen Ostsee und Fernost nicht missionieren und schon gar nicht orthodoxe Gläubige abwerben. Sie müssten sich mit unauffälliger Ausländerseelsorge - vor allem unter Deutschen und Polen - begnügen, auch das im Einvernehmen mit der russischen "Dominanzkirche". Allerdings gab es die altchristliche Regel, dass es nur einen rechtmässigen Ortsbischof geben soll. Bei allen im Moment negativen Auswirkungen liegt auch jetzt dem Moskauer Standpunkt vom unaufgebbaren kanonischen Territorium der russischen Orthodoxie die Idee zugrunde, dass die Kirche eigentlich unteilbar ist und es daher keine parallelen oder gar "Gegenhierarchien" von Orthodoxen und Katholiken geben sollte. Mit der Ausweitung dieses kanonischen Territoriums der Bischöfe auf grössere Gebiete der Kirchenverwaltung, nämlich auf die Patriarchate, kam es zwischen diesen zu Kompetenzstreitigkeiten. Die Frage der Zugehörigkeit Bulgariens zum kanonischen Territorium von Rom oder Konstantinopel stand im 9. Jahrhundert hinter der ersten, noch vorübergehenden Kirchenspaltung. Beim "Grossen Schisma" zwischen dem christlichen Abend- und Morgenland 1054 war strittig, wer über Süditalien bestimmen durfte. In diese Richtung gehen auch heute die Bemühungen des Konstantinopler Patriarchen Bartholomaios I. (Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie mit Sitz in Istanbul), sein altes kanonisches Territorium in Italien wieder aufzurichten - bis nach Meran in Südtirol. Doch wird dabei, im Unterschied zu den Russen, jede Konfrontation mit Rom vermieden. Das kanonische Territorium der russisch-orthodoxen Kirche nahm seinen Anfang im 14. Jahrhundert: Die Herrscher Moskaus - die Stadt war ursprünglich nur ein Marktflecken - begannen nach dem Tatarensturm und der Zerstörung des alten ostslawischen Zentrums in Kiew mit dem politischen "Sammeln des russischen Landes", der Einverleibung von Fürstentümern in ihren Machtbereich. Das parallele "Sammeln der russischen Kirche" (anschaulich in der von den Moskowitern betriebenen Sammlung der am meisten verehrten Ikonen im Machtzentrum, den Kirchen des Kreml) betraf zunächst nur die Orthodoxen. Die kirchliche Eigenständigkeit von Nowgorod wurde gebrochen, dann jene der alten Kiewer Metropolie in Polen-Litauen, sobald Teilgebiete von jenem - wie Smolensk - an Moskau fielen. Erste Vorstösse, auch die seit 1596 mit Rom unierten Ostkatholiken (orthodox in der Frömmigkeit und Liturgie, aber dem Vatikan verbunden) zur russischen Orthodoxie "heimzuführen", unternahmen im 18. Jahrhundert Peter I. und Katharina II. Zar Nikolaus I. vollendete diese "Abrundung" um 1839. Stalin schanzte dem - 1943 aus der Versenkung geholten und seitdem mit ihm liierten - Moskauer Patriarchat noch die West- und Karpatenukraine zu, als die Rote Armee vordrang. Dieses kanonische Territorium von Kremls Gnaden versucht die russisch-orthodoxe Kirche jetzt auch über das Ende der Sowjetunion hinaus zu behaupten. Autor: Heinz GstreinErbe der alten Kirche: nur ein Bischof am Ort
Ausweitung - und Kompetenzstreitigkeiten
"Sammeln der russsischen Kirche"
Datum: 18.02.2003
Quelle: KIPA