Nach dem Amoklauf: Was tun, damit Jugendliche nicht in mörderische Welten abtauchen?

Wie kann verhindert werden, dass Jugendliche sich in virtuelle Welten absondern?
Ministerpräsident Stoiber und der niedersächsische Innenminister Schünemann forderten am Dienstag ein Verbot digitaler Killerspiele.
Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buss.
Mit dem "Ultimate Game Award" werden Spiele ausgezeichnet, die gewaltfrei sind, dem Stand der Zeit entsprechen und die Freude am Spiel fördern.

Der Amoklauf eines 18-Jährigen in Emsdetten im Münsterland hat die Diskussion über Gewalt verherrlichende Videos und Computerspiele neu entfacht. Wie kann verhindert werden, dass Jugendliche sich in virtuelle Welten absondern, in denen nur der Killer überlebt?

Führende Unions-Politiker wie der bayrische Ministerpräsident Stoiber und der niedersächsische Innenminister Schünemann forderten am Dienstag ein Verbot digitaler Killerspiele. Stoiber erklärte, diese «völlig unverantwortlichen und indiskutablen Machwerke» dürften in der Gesellschaft keinen Platz haben. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sagte bei einem Besuch in Emsdetten, Gewalt-Videos und PC-Spiele hätten «im Kinderzimmer nichts zu suchen».

Fachleute stellten sich gegen die Absicht, das Problem mit Verboten lösen zu wollen. "Es ist durchaus nötig, derlei aggressive Spiele von bestimmten Altersgruppen fernzuhalten und den Jugendschutz zu wahren. Ein alleiniges, generelles Verbot von Killerspielen bringt allerdings nichts", äusserte die österreichische Medienpädagogin Ingrid Geretschläger. "Die Gesellschaft sollte sich Gedanken machen, womit die Jugendlichen da eigentlich konfrontiert sind und was nötig ist, um sie vor bedenklichen Inhalten zu schützen."

„Wegschauen und mangelnde Zuwendung“

Volker Beck von den Grünen plädierte für Massnahmen, «um sinnvolle Computernutzung zu fördern und Isolation zu vermeiden». Der Chef der Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen Frank Richter forderte, statt über PC-Spiele müsse über die Rolle von Eltern, Freunden, Nachbarn, Vereinen und Lehrern sowie über «Gleichgültigkeit, Wegschauen und mangelnde Zuwendung» gesprochen werden.

Der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buss, hob ebenfalls die Verantwortung des Einzelnen für sein Umfeld hervor: «Wir sind mitverantwortlich für einander», äusserte der Theologe und erinnerte an den ersten Brudermord in der Bibel. „Kain erschlägt seinen Bruder Abel aus Zorn und Verzweiflung, denn Kain blieb die Anerkennung versagt.“ Damit stelle sich die Frage: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“

In seinem Amoklauf hatte der 18-jährige Sebastian B. am Morgen des 20. November 2006 die Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten überfallen und wahllos um sich geschossen. Dabei wurden fünf Personen verletzt, drei davon schwer. Anschliessend tötete sich der Täter, der sich mit seiner Gewaltbereitschaft im Internet gebrüstet hatte, selbst.

Vom begabten Kind zur Zeitbombe

"Wie wurde aus einem aufgeweckten, sogar als überdurchschnittlich intelligent beschriebenen Kind zuerst ein Sonderling, dann eine lebende Zeitbombe?“ Die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gestellte Frage zeigt die Bestürzung darüber an, dass niemand die Isolation von Sebastian B. durchbrochen hatte. Präses Buss: „Wir sind auch unseres Bruders Hüter.“ Ereignisse wie der Amoklauf machten dies bewusst. Daran werde „die Verletzlichkeit menschlichen Lebens furchtbar deutlich“.

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Kässmann hat nach dem Amoklauf eine «Kultur der Achtsamkeit» gefordert. Es hätte jemand merken müssen, dass der 18-Jährige am Schluss sehr isoliert gewesen sei. Es gebe in der Gesellschaft eine zunehmende Isolation, klagte Kässmann. Die Familien würden kleiner. Jeder kümmere sich nur um sich selbst. Es sei gerade bei Jugendlichen, die sich ausgegrenzt fühlten, entscheidend, dass sie Orte hätten, wo sie willkommen seien. Die Kirchen stossen laut der Bischöfin in ihrem Bemühen, Orte der Begegnung zu schaffen, an finanzielle Grenzen.

Eltern müssen erziehen

Die Vorsitzende des Bundeselternrates, Anja Ziegon, forderte den Einsatz von Sozialarbeitern und -pädagogen an Schulen – auch wenn dies mehr koste. Doch weder ein Lehrer noch ein «Pate» aus der siebten Klasse könnten ein Auffangsystem schaffen für Kinder, deren Eltern ihrer Erziehungsarbeit nicht gerecht würden.

Die deutschen Lehrergewerkschaften kritisieren das Vorhaben des Bundestags, ein Verbot von Killerspielen durchzusetzen. Man müsse die Kinder zum Sprechen bringen, was mit Polizeimethoden nicht zu erreichen sei. Verbote seien, heisst es, leicht zu umgehen, da Spiele aus dem Internet heruntergeladen werden könnten.

Familientaugliche Games fördern

Die Wiener Spiele Akademie hat in diesem Jahr erstmals einen eigenen Preis für familientaugliche Games ausgeschrieben. Mit dem "Ultimate Game Award" werden Spiele ausgezeichnet, die gewaltfrei sind, dem Stand der Zeit entsprechen und die Freude am Spiel fördern. Eine Auswahl davon kann von Interessierten im Rahmen des Österreichischen Spielefests vom 24. bis 26. November 2006 getestet werden.

Quellen: Livenet / epd, idea, pte

Datum: 24.11.2006
Autor: Peter Schmid

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