Nicht-tödliche Biowaffen

Heidelberg. Noch vor einigen Jahren konnte sich kaum jemand vorstellen, dass jemand ernsthaft vor hat, Biowaffen einzusetzen: Einmal freigesetzt, würden virulente Erreger aus den Waffen nicht nur den Gegner, sondern auch die eigenen Truppen oder gar die eigene Bevölkerung gefährden. Doch das ist Vergangenheit. Mit molekularbiologischen Methoden lassen sich Organismen nicht nur zur Produktion von Massenvernichtungswaffen optimieren, sondern vielleicht auch in Präzisionswaffen verwandeln: Etwa um Objekte zu markieren, gegnerische Infrastruktur und Kriegsgerät zu zersetzen oder um Drogenpflanzen auszurotten.

Gentechnisch veränderte Pilze sollen Gebäude markieren

"Mit den neuen technischen Möglichkeiten wachsen nun auch die Begehrlichkeiten", so Jan van Aken von der Nicht-Regierungsorganisation "Sunshine-Projekt". Ein aktuelles Beispiel: Die USA setzen sich zwar gegen die Verbreitung biologischer Massenvernichtungswaffen ein, haben aber selbst Interesse, nicht-tödliche Biowaffen zu entwicklen. So blockierten sie im November Verhandlungen über Ergänzungen zur Biowaffenkonvention von 1972. Die Konvention verbietet auch die Produktion nicht-tödlicher Biowaffen. Denn als Biowaffen definiert die Konvention alle Organismen, die nicht zu friedlichen Zwecken hergestellt, verarbeitet und gelagert werden.

Auf einer Veranstaltung der Europäischen Molekularbiologischen Gesellschaft in Heidelberg wies van Aken darauf hin, dass die USA bereits Pilze speziell gegen Schlafmohn und Coca-Pflanzen entwickelt haben, die fast einsatzbereit sind. "Das untergräbt die Biowaffenkonvention", sagte van Aken. Dem widersprach Dr. Volker Beck, der die Bundesregierung zur Biowaffenkontrolle berät. Für ihn ist der Zweck entscheidend. Würden Pilze verwendet, um Pflanzen für Nahrungsmittel abzutöten, sei dies eine Biowaffe. Pilze, die speziell Drogenpflanzen befallen, sieht Beck eher als moderne Unkrautvernichter.

Material-zersetzenden Keimen

Doch die US-Armee will sich nicht mit Pilzen gegen Coca begnügen: Sie hat bereits mehrere Forschungsanträge zur Entwicklung Material-zersetzender Bakterien gestellt. Die Anträge werden jetzt von der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA begutachtet und liegen auch dem "Sunshine-Project" vor. Darin wünschen sich die Militärs etwa Erreger, die Gummi, Kunstoffe und andere Erdölprodukte abbauen, und sich am besten auf ein Signal hin an- und abschalten lassen. Dies ist grundsätzlich möglich: Es gibt bereits gentechnisch veränderte Bakterien die Erdöl-kontaminierte Böden reinigen. Und dank neuer molekularbiologischer Techniken können bestimmte Gene, etwa über Schwermetallionen, gezielt aktiviert werden.

Noch wie Science-Fiction klingt dagegen eine andere Punkt auf der Militär-Wunschliste: Organismen, die ein Ziel markieren, welches konventionelle Waffensysteme dann erkennen und zerstören. So könnte etwa ein Gebäude mit einem gentechnisch veränderten Pilz infiziert werden, dieser wächst zunächst unsichtbar an der Fassade. Wird der Pilz aktiviert, sendete er Licht einer bestimmten Wellenlänge aus. Das Gebäude beginnt plötzlich nachts zu leuchten und wird kurz darauf von einer Rakete vernichtet. Immerhin: Mikroorganismen zu züchten, die auf ein chemisches Signal hin zu leuchten beginnen, ist bereits möglich.

Andere Ideen für nicht-tödliche Biowaffen ergeben sich auch ohne militärischen Einfluss. Van Aken nannte als Beispiel ein US-Unternehmen, das Mais mit Antikörper gegen menschliche Spermien entwickelt. Daraus soll ein Kontrazeptivum entstehen. Zwar müssen die Antikörper aus der Pflanze isoliert und dann bei Männern injiziert werden, um zu wirken, doch lassen sich vielleicht auch Pflanzen herstellen, die die Fruchtbarkeit mindern, wenn sie gegessen werden. Und dann wären sie ebenfalls als Biowaffen geeignet.

Aber auch unspektakuläre Techniken, die etwa Aerosole zur Unkrautbekämpfung stabilisieren oder Arzneien zur Inhalation lungengängig machen, können, so Beck, zur Biowaffenherstellung und Verbreitung benutzt werden. Potentielle Waffenproduzenten könnten zudem in Publikationen fündig werden, in denen beschrieben wird, wie Krankheitserreger nach gentechnischen Veränderungen plötzlich virulenter werden.

Forscher sollten daher Wege zur Selbstkontrolle finden und überlegen, ob etwas publiziert werden darf, wenn davon möglicherweise eine Gefahr ausgeht. "Am schlimmsten wäre es, wenn eine Behörde festlegt, was veröffentlich werden darf", warnte der Biowaffenexperte.

Datum: 12.12.2002
Quelle: Ärztezeitung

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