"Die Banken geben nur den Reichen"

Die Jungunternehmerin in Paris erhielt einen ADIE-Kredit.
Geld

Man muss sich Georges Tapero als einen glücklichen Menschen denken. Er arbeitet viel und verdient auch ganz ordentlich. Der Polsterer und Möbelrestaurator ist selbstständig. Dass der über 50-Jährige diesen Schritt vor drei Jahren wagen konnte, hat er nicht seiner Bank zu verdanken. Das fehlende Geld schoss dem Langzeit-Arbeitslosen ein Verein zu: die "Vereinigung für das Recht auf wirtschaftliche Initiative" (Association pour le droit à l'initiative économique - ADIE). Sie ist Teil einer weltweiten Bewegung, auf welche die Vereinten Nationen 2005 mit dem "Internationalen Jahr der Kleinkredite" aufmerksam machen wollen.

Tapero arbeitet im Norden der französischen Hauptstadt, im 18. Pariser Stadtbezirk. Er hat eine Werkstatt mit Laden gemietet, wo er auch Antiquitäten und Dekorationsobjekte verkauft. Kleinkredite sind das Zauberwort, mit dem ADIE-Gründerin und -Präsidentin Maria Nowak zwar nicht Frankreichs Wirtschaft revolutionierte, aber immerhin zur Schaffung von Tausenden von Stellen beigetragen hat. 23.000 Arbeitsplätze wurden seit 1989 geschaffen.

Nötig war zunächst eine Gesetzesänderung. Denn Vereine durften in der Vergangenheit nur Kredite für eigene Projekte aufnehmen. Geld zu leihen, um es wieder zu verleihen, war ihnen verboten. Das ist jetzt anders. Dank des Erfolgs sind es inzwischen renommierte Banken, die ihr Geld an ADIE geben - damit es von dort aus weiter in die Hände der Bedürftigen geht.

Nach drei Jahren existierte noch die Hälfte

Nicht alle unterstützten Unternehmen waren von Dauer. Nach zwei Jahren bestanden noch zwei Drittel von ihnen, nach drei Jahren noch gut die Hälfte. Aber insgesamt wurden rund 75 Prozent derer, die einen Kredit erhielten, wieder in den Arbeitsmarkt integriert. ADIE-Präsidentin Nowak nennt ganz unterschiedliche Gründe, warum ein Betrieb zu existieren aufhört. Veränderte Familienverhältnisse oder ein attraktives Job-Angebot könnten ebenso dazu gehören wie das Scheitern des geplanten Modells.

ADIE hilft, dass es nicht zum Scheitern aus wirtschaftlichen Gründen kommt. "Wir geben nicht nur Kredite", sagt Maria Nowak. "Wir helfen auch bei allem, was man zur Unternehmensgründung braucht." Und das sei in Frankreich vor allem Hilfe bei unendlich viel Papierkram, aber auch beim Ausarbeiten eines tragfähigen Unternehmensplans.

ADIE hat inzwischen 292 Angestellte und rund 670 Freiwillige in etwa 100 Filialen. In rund 300 Orten Frankreichs werden regelmässige Sprechstunden abgehalten. Aus der Initiative ist ein mittelständisches Unternehmen geworden. Und doch gibt es mehr Anfragen, als Kredite gewährt werden können.

In Bangladesh kennengelernt

Das Konzept der Kleinkredite hat Nowak bei der inzwischen weltberühmten Grameen-Bank von Mohammed Yunus in Bangladesch kennen gelernt, als sie dort für die staatliche französische Entwicklungshilfe tätig war. Als Paris sie zur Weltbank abordnete, propagierte sie das Konzept in Afrika. Und später fragte sich die energische Frau, warum das denn nicht auch in Frankreich funktionieren sollte. Inzwischen im Ruhestand, ist Nowak heute als Vollzeit-Präsidentin für ihre Organisation tätig.


Sehr durchmischte Kundschaft

Extrem bunt gemischt ist die Kundschaft, die über ADIE an Geld zur Unternehmensgründung kommt. Rund vier Prozent sind Analphabeten; jeder sechste kann nicht mehr als lesen, rechnen und schreiben. Zwei Fünftel der Kreditnehmer haben einen Berufsabschluss - aber immerhin ein Fünftel hat sogar einen Universitätsabschluss. Gemeinsam ist fast allen Kreditnehmern, bereits seit langer Zeit von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe zu leben. Gemeinsam ist ihnen auch, dass die geliehenen Gelder zurückbezahlt werden. "6,2 Prozent der Kredite kriegen wir nicht zurück. Das ist für Kredite zur Unternehmensgründung im Vergleich zu Banken eine extrem niedrige Quote", so Nowak. Nur wenn wirklich mutwillig betrogen wird, greift ADIE auf juristische Schritte zurück.

Georges Tapero, der Polsterer und Möbelschreiner, hat seine Schulden längst zurückbezahlt. Nach eigenen Angaben verdient er inzwischen "sogar besser als früher als Angestellter". Wichtig ist ihm, dass die ADIE-Experten ihm weiter zur Seite stehen - etwa bei der Buchhaltung: "Das können die besser als ich." Der Polsterer hat inzwischen sogar regelmässig Praktikanten. Und dass er irgendwann selbst zum Arbeitgeber werden könnte, ist nicht ausgeschlossen.

Datum: 30.12.2004
Quelle: Kipa

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